„Bevor man einen Pilotprozess startet, sollte die Roadmap für das Gesamtunternehmen stehen.“


Digitalisierung: Roadmap für Gesamtunternehmen erstellen

Die Digitalisierung erfordert neue Fähigkeiten in den Finanzbereichen. Damit Projekte ihre Ziele erreichen, sind bei Zielbildung, Projektorganisation und Change Management bestimmte Faktoren zu beachten. Im zweiten Teil dieses Interviews gibt Oleg Brodski, Digitalisierungsexperte von KPMG, Empfehlungen für die Projektorganisation und Pilotprozesse mit Quick-win-Potenzial.

Der Interviewpartner

Oleg Brodski ist Partner bei KPMG Consulting und verantwortlich für den Bereich Digital Finance in Deutschland, in dem rund 250 Mitarbeiter ca. 80 bis 100 Projekte pro Jahr bearbeiten. Herr Brodski ist seit fünf Jahren bei KPMG, zuvor war er 15 Jahre bei Ernst & Young in der Beratung für Digital Finance sowie zu Business Intelligence aktiv.

Das Interview führten Sabrina Preisinger und Günther Lehmann aus der Finance-Redaktion der Haufe Group.

Bei Veränderungen gehen die Unternehmen oft mit einem Modellprojekt oder -prozess vor. Können Sie sich bei der Digitalisierung auch vorstellen, dass man einfach mit einem Pilotprojekt oder -prozess startet? Oder sollte man zuerst das große Bild, das Big Picture, und die Roadmap für das Gesamtunternehmen haben?

Brodski: Für mich ist es keineswegs eine Entweder-oder-Frage. Ich würde stets empfehlen, beide Ansätze parallel zu verfolgen. Ohne das Big Picture vor Augen zu haben, ist es grundsätzlich schwierig, eine Veränderung zu managen. Transformationsprojekte sind in der Regel langwierig und arbeitsintensiv. Unternehmen hingegen möchten schnelle Erfolge sehen. Daher ist es empfehlenswert, bereits auf dem Weg der Transformation erste merkbare Fortschritte zu erzielen. Mit Pilotprojekten zu spezifischen Prozessen lassen sich sehr schnell konkrete Verbesserungen erzielen, die wiederum eine Signalwirkung für das ganze Unternehmen haben können.

Kann dieses Big Picture sich überhaupt auf den Finanzbereich allein beschränken oder muss dieses nicht für das Gesamtunternehmen erst erstellt werden?

Brodski: Das ist ein wichtiger Punkt. Natürlich sollte das Big Picture die digitale Transformation des gesamten Unternehmens miteinbeziehen, nicht nur des Finanzbereichs. Während der Zusammenarbeit mit unseren Kunden haben wir jedoch immer wieder feststellen müssen, dass einige Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Geschäftsmodelle im Rahmen der Digitalisierung nicht weit genug denken. Lassen Sie mich das an einem fiktiven Beispiel erklären. So hat ein Unternehmen in der Vergangenheit bestimmte Geräte, wie etwa Anlagen zum Lastentransport stückweise verkauft. In der Zukunft möchte die Firma aber nicht nur einzelne Anlagen verkaufen, sondern eine Leistung, einen Managed Service, anbieten. Das könnte zum Beispiel eine Transportleistung von A nach B für 100 Tonnen Erz sein.

Die Umstellung des Geschäftsmodells auf Managed Services wäre für das Unternehmen natürlich sehr interessant und attraktiv. Damit aber auch der Finanzbereich das Ganze adäquat abbilden kann, wäre eine Veränderung des Steuerungskonzepts notwendig: „Was soll im unternehmerischen Sinne bezüglich Profitabilität gesteuert werden – Produkt oder Service oder beides?“ Die Veränderung des Geschäftsmodells würde demnach auch eine Veränderung in der Finanzabteilung zur Folge haben. Daher ist eine strikte Trennung des Finanzbereichs von anderen Geschäftsfeldern innerhalb des Unternehmens mit einem hohen Risiko verbunden. Hier gilt der Grundsatz: „Ändere ich mein Geschäftsmodell, ändere ich auch die Prozesse meines Finanzbereichs." Gleichwohl gibt es auch Standardprozesse in einer Finanzabteilung, mit denen man einen „Quick Win“ bei der Digitalisierung erreichen kann. Natürlich sollten diese Bemühungen in Übereinstimmung mit dem Big Picture stehen.

Können Sie aus der Erfahrung heraus, aus den Projekten und den Unternehmen, die Sie kennen, bestimmte Prozesse nennen, die sich für so ein Pilotprojekt anbieten?

Brodski: Ja, einige Prozesse eignen sich tatsächlich besonders gut für „Quick Wins“. Grundsätzlich ist es ratsam, mit einzelnen Teilprozessen und nicht mit dem gesamten Prozess zu starten. Die Veränderung eines Gesamtprozesses erweist sich oftmals als äußerst kompliziert, da dort nicht nur die Finanzabteilung involviert ist, sondern auch operative Frontoffice-Bereiche. Um schnellere Ergebnisse zu erzielen, reicht es daher meist schon, sich konkrete Schritte aus einem Prozess herauszugreifen. Ein konkretes Beispiel wäre hier der Rechnungseingangsprozess mit OCR und Automatisierung des Workflows.

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