Lebenslanges Lernen: Sind Sie Spezialist oder Generalist?

Eine gute Zukunft braucht lernende Menschen. In einer digitalisierten Welt ist das so leicht wie nie: Jederzeit verfügbares Wissen in einer Tiefe, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war. Ein Auszug auch dem Buch "Wir können Zukunft" von Vera Schneevoigt.

Die Frage, ob man sich beruflich besser spezialisiert oder breit aufstellt, will gut überlegt sein. Beides hat seine Berechtigung. Insbesondere in der Wissenschaft und in Berufen, die ein profundes Detailwissen erfordern, ist eine Spezialisierung erforderlich.

Es gibt Menschen, die in der Spezialisierung so hervorragend sind, dass der Karriereweg vorgezeichnet ist. Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss nicht, dass Spezialistinnen und Spezialisten immer auch für Führungsposten geeignet sind – wohin sie aber als Anerkennung ihrer Leistungen gern befördert werden.

Generalisten fürs Management

Ab einem gewissen Managementlevel – dem mittleren, oberen und obersten Management – würde ich immer nur Generalistinnen einsetzen, weil die Vielfalt der Aufgaben, die zu entscheiden sind, einfach so groß ist. Auf diesen Ebenen kann es sich eigentlich niemand erlauben, nicht wenigstens den Hauch einer Ahnung zu haben, worum es bei den jeweiligen Themen geht, weshalb ein breites Wissen und Lernfähigkeit einem hohen Spezialwissen überlegen sind.

Gerade in Deutschland gibt es im Topmanagement viele Personen, die geradezu reflexhaft kommunizieren: Wenn du dich nicht im Detail auskennst, dann kannst du das nicht entscheiden. Das ist Unsinn und dient nur der Abschottung und der Selbstüberhöhung. Statt ausgewiesener Spezialisten brauchen die Führungsetagen unternehmerisch denkende und unternehmerisch handelnde Menschen, die in der Lage sind, sich schnell einzulesen, einzufinden und einzuarbeiten, in welche Situation auch immer.

Personalabteilungen als Service-Units

Auch in Personalabteilungen wäre mehr Generalistentum wünschenswert. In vielen Unternehmen beschränken sich die Personalverantwortlichen auf Verwaltungsaufgaben, ähnlich wie in einer Öffentlichen Verwaltung. Dabei wäre es so viel zielführender, wenn sich die Personalabteilungen als Service-Units im Unternehmen positionieren.

Personalarbeit müsste abseits von verwaltungstechnischen Prozessen wie etwa Gehalts- und Lohnabrechnung, Sozialversicherungsfragen und der Erfüllung von gesetzlichen Anforderungen komplett neu gedacht werden. Sie müsste in der Lage sein, die besten Ressourcen am Markt zu finden, alle Bewerberinnen und Bewerber professionell, adäquat und angemessen zu betreuen und Mitarbeitende und Führungskräfte individuell weiterzuentwickeln. Das Ressort müsste viel stärker mit der Unternehmensstrategie, mit der Geschäftsentwicklung und mit den Geschäftsmodellentwicklungen verknüpft sein. Dann wären auch endlich die oft sehr starren Weiterbildungsangebote Geschichte.

Am Ende hat jedes Unternehmen Gewinnerzielungsabsichten. Man müsste einfach einmal einen Business-Case daraus machen und die Kosten von Weiterbildung in Korrelation mit dem Wert setzen, den sie bringt.

An Weiterbildung nicht sparen

Dummerweise sparen Unternehmen als Erstes an Reisekosten und Weiterbildung, sobald der Kostendruck steigt. Das geschieht meist ohne weitere Erklärung und ist absolut unsinnig. Über Reisekosten kann man streiten. Aber an Weiterbildung zu sparen, ist gefährlich. Gerade wenn sich viel verändert, müssen Unternehmen dafür sorgen, dass die Mitarbeitenden Schritt halten.

Am Ende hat jedes Unternehmen Gewinnerzielungsabsichten. Man müsste einen Business-Case daraus machen und die Kosten von Weiterbildung in Korrelation zu dem Wert setzen, den sie schafft. Christian Friedrich, Experte für Digitales Lernen, bringt die Situation gut auf den Punkt, wenn er sagt: "Wenn die Welt sich dreht, ist Stehenbleiben keine Möglichkeit, weil Menschen und die Unternehmen, in denen sie arbeiten, sonst den Boden unter den Füßen verlieren."

Kontinuierliches Lernen ist ein elementarer Erfolgsfaktor, egal, wie es dem Unternehmen gerade wirtschaftlich geht. Statt Weiterbildung mit der Gießkanne stattfinden zu lassen oder in einer Art Overselling jede und jedem alle möglichen Lerneinheiten anzubieten, ist eine zielgerichtete Weiterbildung zugeschnitten auf jede einzelne Person sehr viel effizienter. Eine planwirtschaftliche, bürokratische Organisation von Lernen, wie sie derzeit in vielen Unternehmen stattfindet, hat in einem dynamischen Umfeld nichts zu suchen. Gerade in Branchen mit hohem Innovationsbedarf müssen Budgets für Weiterbildung zur Verfügung stehen.

Wirtschaftlicher Erfolg mit Weiterbildung

Die Unternehmensberatung McKinsey untersuchte für die Studie "Performance through People" 1.800 börsennotierte Unternehmen weltweit mit Blick auf die Fragen, wie erfolgreich die Firma wirtschaftlich und wie zufrieden die Mitarbeitenden in den vergangenen zwölf Jahren waren.

"Weniger als jede zehnte Firma schafft es, in beiden Bereichen top zu sein. Diese Firmen aber, die sowohl ihre Zahlen als auch das Wohl und vor allem die Weiterentwicklung der Belegschaft gut im Blick haben, haben eine anderthalbmal so große Wahrscheinlichkeit wie die anderen, auch erfolgreich zu bleiben", erklärt McKinsey-Manager Julian Kirchherr in einem Interview mit dem "Manager Magazin". Die Studie belegt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Investitionen in die Weiterbildung der Mitarbeitenden und dem wirtschaftlichen Erfolg.

Mittlerweile absolvieren viele Menschen aus eigenem Antrieb Online-Kurse. Jeder hat eine andere Form zu lernen, der eine mag es, unter Menschen zu gehen, die andere lernt lieber für sich allein. Es gibt heute unendlich viele Möglichkeiten und Tools.

Lernen um des Wissens willen

Ich bin in den vergangenen Jahren immer mehr Personen begegnet, die aus einer intrinsischen Motivation lernen und privates Geld und Zeit investieren, um sich weiterzubilden. Mein Eindruck ist, dass viele Mitarbeitende in diesem Punkt schon deutlich weiter sind als diejenigen, die Unternehmen führen. Bei einer Veranstaltung an der Fachhochschule Dresden erzählte mir einer der Studierenden, für ihn sei das Wichtigste bei einem Arbeitgeber, dass er genügend Zeit bekomme, um sich weiterzubilden.

Dieser junge Mann absolvierte seinen Master-Studiengang nicht nur, um sich für einen Beruf fit zu machen, sondern auch für sich selbst, um des Wissens willen. Auch in den Technologieunternehmen bin ich etlichen jüngeren Kolleginnen und Kollegen begegnet, die nicht wegen des nächsten Karriereschritts, sondern aus Neugier und Lernwillen promoviert haben. Sie wollten Sachverhalte verstehen und vertiefen, um ihre Erkenntnisse aus dem wissenschaftlichen Arbeiten anschließend in der praktischen Arbeit umzusetzen.

Das ist wundervoll. Solchen Menschen geht es darum, Probleme zu lösen, damit die Welt ein bisschen besser wird, etwa indem sie Alternativen zur Verbrennungstechnologie suchen oder effiziente Wärmepumpen entwickeln oder die Wasserstoffnutzung für verschiedene Anwendungen erforschen. Sie sind intrinsisch motiviert, immer mehr zu lernen und zu wissen, weil sie etwas zum Guten verändern wollen.

Heute ist Wissen demokratisch.

Digitalisierung: Schwelle zum Wissen – so niedrig wie nie

Führungskräften auf der Managementebene fehlt häufig schlicht die Zeit, sich weiterzubilden. Außerdem fühlen sich viele gut für alle Aufgaben gerüstet, weil sie studiert haben. Sie sind überzeugt, dass ihr Wissen ihre Karriere lang hält. Ein echtes Interesse, etwas dazuzulernen, ist mir in den Führungsetagen der Unternehmen nicht oft begegnet.

Im Gegenteil: In eher konservativeren Kreisen wird es als Schwäche angesehen, wenn man einräumt, etwas nicht zu wissen. Stattdessen wurden hinter verschlossenen Türen Sessions organisiert, in denen ein, zwei Experten einem erlauchten Führungskreis eine Informationsdruckbetankung verpassten. Diese Haltung ändert sich gerade. Ich habe im Oktober 2023 an einem Weiterbildungsinstitut der Universität Köln eine Weiterbildung zum Agile Basic Master absolviert, an der erstaunlich viele Menschen meiner Altersgruppe teilgenommen haben.

Das Konzept des Herrschaftswissens hat mit der Digitalisierung dankenswerterweise ausgedient. Früher bekam man als Führungskraft regelmäßig einen Ordner mit Clippings auf den Tisch. Darin waren alle relevanten Informationen über das eigene Unternehmen, die Branche und wichtige Fachartikel gebündelt. Dieser Ordner wanderte von Schreibtisch zu Schreibtisch, sodass alle im Führungskreis immer auf dem gleichen Stand waren. Später kamen diese Nachrichten per E-Mail. Man konnte sich darauf verlassen, dass die Informationen relevant, sorgfältig ausgewählt und valide waren. Es war gut aufbereitetes Wissen, das aber nur einem definierten kleinen Personenkreis zur Verfügung stand. Heute ist Wissen demokratisch.

Alle können sich jederzeit über das Internet zu jedem denkbaren Thema informieren. Wenn ich mich für etwas besonders interessiere, kann ich mich bis ins Detail bei etlichen Quellen schlaumachen. Es gibt kein Gebiet mehr, zu dem sich nichts findet. Ich kann mich interessengeleitet selbst bilden und habe so viele Möglichkeiten des Selbstmanagements beim Lernen wie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Ich kann lernen, wann immer ich es will, wo immer ich es will – ich brauche nur einen digitalen Zugang. Im Zweifel kann ich mich auch noch einer ganzen Reihe von Assistenzfunktionen bedienen, zum Beispiel Übersetzungs-Apps, um Sachverhalte zu verstehen. Die Schwelle zum Wissen ist so niedrig und das Angebot so groß, dass niemand mehr sagen kann, Wissen läge in der Macht Einzelner. Heute können sich nahezu alle, die das wollen, Wissen aneignen. Was für ein Geschenk!

Hier geht es zum Buch "Wir können Zukunft" von Vera Schneevoigt


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