Nach der Krise ist digitales Immobilienmanagement gefragt
Nicht nur den Markt für Einzelhandels- und Hotelimmobilien treffen die Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie mit voller Wucht, selbst der sonst recht krisenresistente Wohnungsmarkt könnte davon mehr oder weniger stark gebeutelt werden – zumindest mittelfristig. So prognostizierte das Forschungsinstitut Empirica kürzlich, dass in den deutschen Metropolen die Wohnungspreise zunächst um zehn bis 25 Prozent fallen könnten.
Endgültige Schlussfolgerungen hält Thomas Meyer, Vorstandschef der Wertgrund Immobilien AG, für verfrüht. "Es gibt gerade in der aktuellen Situation zu viele Faktoren, die die Angebots- und Nachfrageentwicklung und somit die Preise von Wohnimmobilien beeinflussen", sagt er. Wenn sich das Wirtschaftsleben wieder halbwegs stabilisiert habe, sei eine verlässlichere Datenbasis für Preisprognosen vorhanden.
Digitale Analyse als Grundlage für nachhaltiges Investment- und Bestandsmanagement
Hierfür werden digitale Analyseinstrumente immer wichtiger. Das gelte sowohl für die Vorbereitung von Immobilientransaktionen als auch für die Hausverwaltung sowie die Steuerung von Vermietungsprozessen, meint Wertgrund-Chef Meyer. Ein digitales AnalyseInstrumentarium für diesen Anwendungsbereich hat zum Beispiel das Softwareunternehmen 21st Real Estate in seiner Produktpalette. "Wir haben Tools zur Untersuchung und Bewertung von Lagen, Einzelobjekten und Immobilienportfolien entwickelt", sagt Nicolai Wendland, Mitgründer und Chief Information Officer (CIO) des Berliner PropTechs.
Wendland ist stolz auf den "Datenschatz", den 21st Real Estate inzwischen angehäuft hat: Auf 1,3 Milliarden Datenpunkte und mehr als 65 Millionen Miet- und Kaufpreise kann für Bewertungs- und Analysezwecke zugegriffen werden. Damit lassen sich Investitionsszenarien durchspielen – etwa solche: Wie wirken sich die Mietpreisbremse oder der Mietendeckel auf die Immobilienpreise in Berlin aus? Interessiert an den Daten oder Tools zur digitalen Lagebewertung des Marktes sind neben Bauträgern auch große Makler- und Fondshäuser oder Immobilienbanken, wie die Berlin Hyp.
Das Tool "Relas" von 21st Real Estate zur digitalen Lagebewertung von Immobilien hat der gewerbliche Immobilienfinanzierer aus der Sparkassengruppe bereits mit großem Interesse registriert und sieht sich durch die Corona-Pandemie in seiner Strategie bestätigt, die Digitalisierung des Kreditvergabeprozesses forciert voranzutreiben. "Insgesamt verfolgen wir das Ziel, die vielfältigen Aspekte der Immobilienbewertung in einer modularen digitalen Lösung zusammenzufassen", erklärt Piet Kok, Leiter Wertermittlung bei der Berlin Hyp AG.
Standardisierte Datenbanken für Planungen und Reporting werden unverzichtbar
Auch die Wertgrund Immobilien AG ist vom Know-how der 21st Real Estate durchaus angetan. "Die setzen bei ihren Analyse-Tools auf künstliche Intelligenz, um Entwicklungen und deren Auswirkungen auf Immobilienportfolien möglichst treffsicher vorherzusagen", sagt Vorstandschef Meyer. Gerade in Zeiten großer Ungewissheit sei es gewinnbringend, schnell entscheiden zu können, welche Immobilien man behalten will, welche man besser verkaufen und von welcher man am besten die Finger lassen sollte.
Für das Bestands- und Transaktionsmanagement, so Meyer, würden digitale Tools zur Zusammenführung aller Informationen in einer standardisierten Datenbank für Planungen samt Reporting zunehmend unverzichtbar. Sein Unternehmen nutzt für diesen Bereich die Lösung "Bison Box" – eine modular aufgebaute Standard-Software der Control.it GmbH mit Hauptsitz in Bremen. "Das heißt aber nicht, dass man auf die Begutachtung vor Ort verzichten sollte", gibt Meyer zu bedenken.
Diese Ansicht teilt auch Sascha Kilb, Partner und Geschäftsführer von Drees & Sommer, einem Immobilienberater, dessen Kundenkreis sich von Family Offices über Fonds bis zur öffentlichen Hand erstreckt. "Für die Beratung, etwa zur Vorbereitung einer Transaktion, sind Daten und Vergleichskennziffern zwar extrem bedeutsam – doch die Beurteilung einer Immobilie vor Ort, kann sie dennoch nicht ersetzen", sagt Kilb.
Immobilienwirtschaft mit digitalen Lösungen
Der Geschäftsführer von Drees & Sommer gibt zu bedenken: "Eine Immobilie wird jeden Tag älter und verändert sich. Da bräuchten wir schon einen digitalen Zwilling, um allein vom Desktop aus eine fundierte Investitionsentscheidung fällen zu können". Es gebe bereits mehrere Pilotprojekte in diese Richtung – doch dabei, fundierte Investmententscheidungen bei Immobilien nur anhand digitaler Daten treffen zu können, dürfte wohl frühestens in fünf Jahren etwas herauskommen, meint Kilb.
Was den Input digitaler Marktdaten betrifft, kooperiert Drees & Sommer unter anderem mit Bulwiengesa. Die Berliner Immobiliendatenexperten verfügen mit RIWIS (Regionales Immobilienwirtschaftliches Informationssystem) über einen umfangreichen und hochwertigen Datenpool. Gemeinsam habe man außerdem mit "Asset-Check" ein digitales Benchmarking-Tool entwickelt, so Kilb. Damit könne man eine Immobilie vollautomatisch mit dem Datenbestand beider Unternehmen abgleichen und auf Knopfdruck verlässliche Werte zu Kosten- und Marktdaten liefern.
Neben stärker datengesteuerten Investmententscheidungen hat die Covid-19-Pandemie der digitalen Kommunikation zum Boom verholfen. So wurde etwa die Besprechung von Homeoffice zu Homeoffice per Video-Konferenz binnen weniger Wochen zur gelebten Normalität. Sebst bei der Vermietung von Wohnungen ist Digitalität mittlerweile Trumpf.
Corona-Pandemie pusht digitale Vermietung
"Wir haben bei uns den Vermietungsprozess fast durchgehend digitalisiert", sagt Lisa Borgmann von der Baugenossenschaft Landkreis Osnabrück. Vor der Covid-19-Pandemie lief das noch so ab: Sobald eine Wohnung frei geworden ist, wurde sie per Kleinanzeige auf dem Webportal Immowelt zur Vermietung angeboten. "Am Wochenende gingen dann die Anfragen per Telefon oder E-Mail bei uns ein", erinnert sich Borgmann. Und am darauffolgenden Montag mussten Interessenten von Mitarbeitern kontaktiert sowie Bewerberdaten in Excel-Listen zeitaufwändig eingepflegt werden.
Mit einer Software der Ever Real GmbH aus München werden jetzt die Kontaktanfragen, die Vereinbarung von Besichtigungsterminen und der Bewerbercheck komplett automatisiert und digitalisiert. "Sogar eine virtuelle Besichtigung und der digitale Abschluss des Mietvertrages lässt sich in den Prozessablauf integrieren", erklärt Ever Real-Geschäftsführer Nessim Djerboua. Im nächsten Schritt will die Baugenossenschaft bis Ende 2020 auch den An- und Verkauf von Wohnungen mit einer Softwarelösung des Münchner Unternehmens digitalisieren.
Wertgrund kooperiert bei der Digitalisierung des Vermietungsprozesses mit Wohnungshelden, einem Konkurrenten von Ever Real, insbesondere beim Management der Schnittstellen zu Webportalen wie Immoscout24. "Uns ist es wichtig, möglichst alle Daten, die unsere Mieter betreffen, bei uns zu behalten", betont Meyer. Bei Cloud-Lösungen habe er Zweifel, ob dies gewährleistet sei. "Die Mieter sind unsere wichtigsten Kunden. Ihre Daten helfen uns, besser zu verstehen, wie sie ticken", sagt er. "Diesen Schatz würden wir nie in fremde Hände geben und auf eine Cloud auslagern."
Bei der Digitalisierung von Prozessen in der Immobilienverwaltung favorisiert Wertgrund hingegen prinzipiell eigene Lösungen statt Konzepte externer Software-Anbieter. "Wir sind dabei, für unseren gesamten Immobilienbestand eine einheitliche Informationsplattform zu konzipieren", verrät Meyer abschließend – dort sollen zu allen Objekten beispielsweise Daten über deren Zustand und anstehende Sanierungsmaßnahmen hinterlegt werden.
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