50 Prozent Sozialwohnungen: Norderstedt verärgert Wohnungswirtschaft
Die Gespräche über ein Bündnis für das Wohnen in Norderstedt haben der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) und der BFW Landesverband Nord in einem gemeinsamen Schreiben an Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD), die das Bündnis mit ins Leben gerufen hatte, für beendet erklärt.
"Mit dieser nicht abgestimmten und einseitigen Entscheidung eines der Partner gibt es keine Geschäftsgrundlage für vertrauensvolle Verhandlungen auf Augenhöhe mehr", begründeten VNW-Direktor Andreas Breitner und Dr. Verena Herfort, Geschäftsführerin des BFW Landesverband Nord, ihre Entscheidung. Eine starre 50-Prozent-Quote führe dazu, dass viele Wohnungsbauprojekte angesichts hoher Grundstückspreise und dramatisch gestiegener Baukosten nicht mehr umgesetzt werden können, so die Verbände-Vertreter.
Norderstedt will Vorreiter in Schleswig-Holstein sein
Norderstedt, eine Gemeinde im Hamburger Speckgürtel, ist die erste Kommune in Schleswig-Holstein, die eine 50-Prozent-Quote für Sozialwohnungen bei neuen Bauprojekten beschlossen hat.
Je 25 Prozent der Wohnfläche soll künftig nach dem sogenannten ersten und zweiten Förderweg gebaut werden. Die Einkommensgrenzen für Singles sollen bei 1.700 Euro beziehungsweise 2.040 Euro brutto liegen. Familien mit zwei Kindern dürfen maximal 3.300 Euro oder 3.960 Euro verdienen.
Den Antrag für 50 Prozent hatten CDU, SPD, Grüne und Linke gemeinsam eingebracht. Er wurde mit 24 zu zehn Stimmen angenommen. Gegen den Antrag stimmten die FDP, die AfD und die Wählergemeinschaft "Wir in Norderstedt". Bisher mussten Wohnungsbauunternehmen in Norderstedt 30 Prozent der Wohnfläche als geförderte Wohnungen ausweisen, so wie es in vielen anderen deutschen Kommunen auch üblich ist.
Verbände: 30-Prozent-Quote plus Konzeptausschreibung ausreichend
30 Prozent gelten zum Beispiel auch in der Landeshauptstadt Kiel oder in Hamburg. In der Hansestadt sind BFW und VNW seit dem Jahr 2011 Partner in einem Bündnis für das Wohnen. Dort habe sich die Vorgabe bewährt, öffentliche Grundstücke grundsätzlich im Wege der Konzeptausschreibung zu vergeben und ein Drittel der Wohnungen öffentlich zu fördern, erklärten Breitner und Herfort. So würden die sozialen Belange berücksichtigt und könnten zugleich Wohnungsbauprojekte wirtschaftlich betrieben werden.
In bestimmten Stadtteilen könne eine Quote von 40 oder auch 49 Prozent eventuell sinnvoll sein, so Breitner. Würden 50 Prozent Sozialwohnungen vorgeschrieben, steige der Druck, das Geld auf dem freien Markt wieder zu bekommen.
Kiel will die Entscheidung Nordersteds nicht 1:1 umsetzen
Für Kiel lasse sich die Entscheidung Norderstedts nicht 1:1 umsetzen, sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD). In Kiel seien weniger hohe Mieten erzielbar als im Hamburger Speckgürtel und für Investoren müsse sich eine Mischkalkulation lohnen. Laut Kämpfer waren in Kiel im vergangenen Jahr bereits 43 Prozent der neuen Wohnungen Sozialwohnungen, obwohl nur 30 Prozent vorgegeben sind.
Der Kieler Oberbürgermeister würde sich wünschen, dass der Anteil weiter steigt. Man dürfe aber nicht nur bezahlbaren Wohnraum für Geringverdiener im Blick haben, sondern auch geeigneten Wohnraum für junge Familien, damit sie nicht ins Grüne abwandern wie zum Beispiel in die Kreise Rendsburg-Eckernförde oder Plön.
Freiburg im Breisgau: Hier gelten 50 Prozent für Sozialwohnungen seit 2015
Der Gemeinderat im baden-württembergischen Freiburg hatte bereits im Mai 2015 mit 25 zu 24 Stimmen einen zu 50 Prozent geförderten Mietwohnungsbau für neue Bauprojekte beschlossen. Unter anderem die Grünen und die CDU stimmten dagegen. Die Quote in Freiburg soll nur gelten, wenn durch einen Bebauungsplan Baurecht für ein zuvor nicht für den Wohnungsbau vorgesehenes Areal geschaffen wird.
Als es 2018 um den geplanten neuen Stadtteil "Dietenbach" ging, kochte die Debatte noch einmal hoch. Dieses Mal sprachen sich auch die Grünen dafür aus, dass zu 50 Prozent Sozialwohnungen realisiert werden sollen. Die Höhe des Anteils geförderter Wohnungen in Freiburg war lange bundesweit einmalig, nicht aber das Prinzip, Projektentwickler zum Bau von Sozialwohnungen zu zwingen.
Geplante 50-Prozent-Quote in Lübeck wieder vom Tisch
Die nordrhein-westfälische Stadt Münster erwartet bei einem Mischkonzept sogar einen Anteil von 60 Prozent – wenn die Stadt selbst baut, auf Bauland, das sie zunächst neu erworben hat. Vergibt die Stadt diese Flächen stattdessen an Investoren, bietet sie das Grundstück nicht zum Höchstpreis, sondern zu einem gutachterlich berechneten Festpreis an – und verkauft es dann an den Investor, der die geringste Startmiete und 30 Prozent Sozialwohnungen verspricht, berichtet der Deutschlandfunk.
In der Hansestadt Lübeck hatte Anfang des Jahres nach dem Bauausschuss auch der Sozialausschuss eine 50-Prozent-Quote für Sozialwohnungen beschlossen, wenn das Grundstück der Stadt gehört. Wirtschaftssenator Sven Schindler (SPD), warnte damals in den Lübecker Nachrichten vor einem "Kurswechsel in die falsche Richtung". Investoren würden abgeschreckt, geplante Bauprojekte gefährdet. Die Pläne wurden Ende März 2019 in der Bürgerschaft von der Großen Koalition aus SPD und CDU gekippt. Jetzt gilt auch weiterhin die 30-Prozent-Quote.
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