3 Fragen an KPMG-Partner Robert Betz

Robert Betz ist Partner bei KPMG und beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der IT- und Softwarelandschaft in der Immobilienbranche. 3 Fragen zur Aareon-Übernahme, dem Schicksal halbfertiger Softwareprodukte und grünen Wiesen und Feldern.

Herr Betz, was bedeutet die Aareon-Übernahme durch Private-Equity-Investoren für die dem Gemeinwohl verpflichtete deutsche Wohnungswirtschaft?

Robert Betz: Man kann jetzt natürlich eine gewisse Bedrohungslage herbeizitieren und darüber sprechen, dass dies eine marktbeherrschende Stellung ist, dass alle die gleichen Softwareprodukte haben und dass vielleicht auch die Preise angezogen werden könnten beziehungsweise anziehen werden.

Das ist alles korrekt, aber ich habe mal in meine Unterlagen geschaut. Wir haben 2020/2021 eine Studie zur Digitalisierung in der Wohnungswirtschaft durchgeführt, in der wir gefragt haben, wo Innovationen eigentlich abgefragt werden.

Das Ergebnis: Sie werden an zweiter Stelle bei den ERP-Software-Herstellern angefragt. Das heißt, die Wohnungswirtschaft hat sich eigentlich schon immer auf ihr Kernsystem verlassen und das wird auch, glaube ich, weiterhin der Fall sein. Wenn man auch sieht, dass es kaum Budgets gibt, die in den letzten Jahren für Innovationen allokiert wurden, dann ändert sich eigentlich für den Einzelnen relativ wenig.

Denn da, wo wenig Bewegung drin ist, wird man jetzt auch nur wenig Innovation bekommen. Beziehungsweise dann vielleicht für die gleiche Innovationskraft ein bisschen mehr bezahlen müssen, weil man sich eben nicht breit aufgestellt hat. Diesen Preis muss die Wohnungswirtschaft für das Verhalten der vergangenen Jahre wahrscheinlich bezahlen.

Was wird von den vor der Übernahme durch Aareon eingekauften Produkten Bestand haben?

Es ergibt natürlich Sinn, die Softwarelandschaft zu konsolidieren, denn die Anzahl der Produkte, die man in einer in einer Firma für die gleiche Zielgruppe vorhalten kann, bringt keine Skalierungs- und keine Synergieeffekte. Ich gehe davon aus, dass hier eine Technologieadaption stattfindet – dass Funktionalitäten, wenn sie auf der einen Technologie vorhanden sind, in andere Systeme mit übernommen werden.

Ich erwarte, dass sich die Anzahl der Produkte signifikant reduzieren wird und dass Softwaresysteme, die jetzt eher ergänzend am Rande des Produktspektrums sind, vielleicht später durch Aareon Connect durch andere Anbieter mit eingebracht werden können. Die Rand-Softwareprodukte, die aus der Immobilienfondsecke kommen, sehe ich eher als gefährdet als die Kernprodukte.

"Mit einer gefestigten Softwarelandschaft kann man gut in neue Märkte vordringen"

Mit Blick auf die Kernprodukte: Alles, was halbfertig ist, würde ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr fertig entwickeln, wenn ich an Aareons Stelle wäre. Aber das ist die Entscheidung des Vorstands, die kann ich nur ein bisschen aus Portfoliomanagement-Sicht vorhersehen.

Was vielleicht auch noch eine Chance ist – und das wird, glaube ich, der spannendere Teil: Welche Produkte sind internationalisierungs- und globalisierungsfähig? Der deutsche Softwaremarkt ist einigermaßen abgedeckt. Alle Wohnungswirtschaftler haben inzwischen Software, in vielen Fällen sogar von Aareon. Da wird also kein großartiger Lizenzzuwachs vorhanden sein.

Die Internationalisierung und Globalisierung der Softwareprodukte, des Marktes und des Marktzugangs in die anderen Aareon-Länder wird, glaube ich, der Teil sein, auf den die neuen Investoren spekulieren. Denn mit einer gefestigten Softwarelandschaft, die funktioniert, kann man natürlich gut in neue Märkte vordringen.

Ein ERP-Systemwechsel ist wie eine Operation am offenen Herzen, weshalb viele Unternehmen verständlicherweise zum Verbleib beim aktuellen Softwareprovider tendieren. Ist das die richtige Strategie?

Nachdem wir in der erwähnten Umfrage von 2020 und der "Road to Disruption", die wir aktuell als Studie rausgebracht haben, festgestellt haben, dass die ERP-Systeme teilweise 15 bis 20 Jahre im Einsatz waren, kann ich jedem nur empfehlen, ein grundlegendes Reengineering beziehungsweise einen Greenfield-Ansatz in den Systemen durchzuführen.

Da gilt dann, die "harte Lösung" zu wählen, den Umweg zu gehen – Anforderungen zu überdenken, das Geschäftsmodell oder auch das Datenmanagement. Gerade im ESG-Umfeld kommen viele neue Datenanforderungen auf die Immobilien- und Wohnungswirtschaft zu. Das gilt es alles zu überdenken und klar zu strukturieren.

Dabei kann herauskommen, dass man beim selben System bleibt, weil es die beste Abdeckung ist. Ich würde aber jedem empfehlen, die jetzt anstehenden Systemumstellungen immer für ein Durchdenken der nächsten 10 bis 15 Jahre zu nutzen.