Brandschutz: Hürde im innerstädtischen Wohnungsbau
Wenn man mit Planern und Bauherren von Wohnbauten spricht, werden die Brandschutzanforderungen als einer der wesentlichen Gründe für immer teurer werdenden Wohnungsbau genannt. Selbst Unternehmen und Mieter empfinden die Forderungen als oft überzogen, da man Geld investieren muss und keinen spürbaren Nutzen davon hat. Sehr groß wird der Zorn, wenn Brandschutzforderungen geplante Projekte und vor allem Umbauten im Bestand erschweren, stark verteuern oder sogar gänzlich verhindern. Schnell sind dann politisch Verantwortliche bereit, diese Argumentation zu übernehmen, da sie von den eigentlichen Ursachen ablenkt. Große Tageszeitungen haben in Folge die Feuerwehren mit ihren angeblich immer höheren Forderungen als Sündenbock ausgemacht.
Aufklärung tut Not
Keine Frage, Brandschutz gilt gleich nach der Tragwerksicherheit als wesentliche Anforderung im Hochbau. Im Gegensatz zum Schall- und Wärmeschutz hat es im Brandschutz aber keine wesentliche Veränderung gegeben, die Schutzziele zur Rettung von Menschen und Tieren sowie der Schutz von Sachwerten haben sich seit Jahrzehnten nicht verändert.
Personen sollen im Brandfall sich selbst retten können und die Feuerwehren sollen schnell Verletzte retten und den Brand bekämpfen können. Richtig ist allerdings, dass Brandschutz Ländersache ist und jedes Bundesland sein eigenes Länderbaugesetz mit Brandschutzanforderungen betreibt. So kann es schon passieren, dass die Umsetzung der Schutzziele verschieden geregelt ist. Daher gibt es vielfältige Ausführungsvorschriften, die den Besuch bei den Bauaufsichten spannend machen.
Die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (VFDB) fordert seit Jahren ein einheitliches Gesetz zum Brandschutz, analog der Musterbauordnung des Bundes. Sie dient als Grundlage für die Ländergesetze, um ein zu starkes Auseinanderdriften der Regelwerke zu verhindern. Fakt ist aber, dass die Anforderungen an die Rettungswege grundsätzlich in allen Gesetzen gleich sind.
Beteiligung der Feuerwehren
Die Feuerwehren werden bei Wohnungsbauten seit fast Jahrzehnten nicht mehr beteiligt, die Aufgabe übernehmen Nachweisberechtigte und Sachverständige für Brandschutz. Während ein Prüfstatiker in der Regel ein Bauingenieurstudium absolviert und im Studium der Architektur mehrere Pflichtsemester Statik zu absolvieren hat, wird bundesweit in keiner dieser Fachrichtungen verpflichtend Brandschutz gelehrt. Befragungen bei Architekten belegen, dass ihre Kenntnisse im Brandschutz eher dürftig sind.
Nachweislich werden aber in der Planungsphase die entscheidenden Parameter zur Sicherheit und Wirtschaftlichkeit eines Gebäudes gelegt. Beim Thema Sicherheit verlässt man sich auf einen Brandschutzplaner, der aber meistens weit nach der Planungsphase hinzugezogen wird. Die Abfrage nach der Leistungsfähigkeit der zuständigen Feuerwehr findet zu spät oder überhaupt nicht statt.
Der zweite Rettungsweg
Aus jedem Gebäude muss die Flucht auf zwei unabhängigen Wegen möglich sein. Daher müsste jede Wohnung über zwei baulich vorhandene Treppen verfügen, was allein aus wirtschaftlicher Sicht ein Unding und im Normalfall völlig überflüssig wäre. Dieses Problem hat der Gesetzgeber durch zwingende Aufstellung von Feuerwehren in jedem Ort gelöst. Alle Baugesetze der Länder lassen es daher zu, dass anstatt eines zweiten baulichen Rettungsweges, die Leitern der Feuerwehren genutzt werden können. Vor Jahrzehnten wurde festgelegt, dass alle Feuerwehren mit tragbaren Leitern, die auf dem Dach der Feuerwehrfahrzeuge mitgeführt werden, ausgestattet sind. Die zulässige Rettungshöhe wurde bundesweit einheitlich für diese Leitern auf 8 m festgelegt. Die Fenster von Gebäuden dürfen daher die Brüstungshöhe von 8 m zum Erdboden nicht überschreiten.
Oberhalb dieser 8 m bis zu einer Höhe von 23 m müssen die Kommunen Drehleiterfahrzeuge vorhalten, um diese Aufgabe zu übernehmen. Verfügt die Feuerwehr nicht über ein solches Fahrzeug, sind keine Gebäude über 7 m Höhe Oberkante Fußboden des höchsten Aufenthaltsraumes möglich, es sei denn, sie verfügen über einen zweiten baulichen Rettungsweg. Bei der Frage nach der Leistungsfähigkeit geht es im Wohnungsbau eigentlich nur um die Frage, ob die Feuerwehr im Brandfall Personen über ihre Leitern aus dem Gebäude retten kann. Was einfach klingt, führt aber oft zum Desaster.
Praxisbeispiel 1: Aufstockung im Bestand
Eine dreigeschossige Wohnhausgruppe, die abseits einer Straße über einen Fußweg erschlossen ist, soll um ein Geschoss erhöht werden. Das Gebäude rutscht damit in der Gebäudeklassifikation nach oben, wodurch je nach Bundesland erhöhte bauliche Anforderungen an den Treppenraum und an die tragenden Wände und Decken gestellt werden können. Dies ist in der Regel relativ einfach zu realisieren, zum Beispiel durch Anbringung von nicht brennbaren Verkleidungen unter der Geschossdecke.
Vergessen wird aber die Prüfung des zweiten Rettungsweges über die Leitern der Feuerwehr. Das alte Gebäude konnte noch mit den tragbaren Leitern erreicht werden, da die höchste Fensterbrüstung noch unterhalb von 8 m lag. Jetzt muss die Rettung aber mit einem Drehleiterfahrzeug durchgeführt werden. Diese Fahrzeuge wiegen circa 16 t und müssen von einem festen Fahrweg das Gebäude erreichen können. Der Abstand darf nicht 3 m unterschreiten und nicht mehr als 12 m von der Fassade entfernt sein, zusätzlich dürfen keine Hindernisse wie zum Beispiel Bäume den Weg versperren.
Jetzt beginnen die Probleme: Der Weg ist zu schmal und liegt zu dicht am Gebäude und eine Verbreiterung ist wegen der Grundstücksgrenze ebenfalls nicht möglich. Es bleiben nur noch zwei Möglichkeiten, die Endabnahme des Bauwerks zu erwirken: Entweder wird die Gartenanlage durch eine Feuerwehrzufahrt verunstaltet und für die Bewohner kaum nutzbar, oder es müssen ebenfalls auf der Gartenseite alle Wohnungen durch zusätzliche Außentreppen, zum Beispiel aus Stahl, erschlossen werden.
Praxisbeispiel 2: Umbau des Dachgeschosses
Ein vor 40 Jahren errichtetes Wohn- und Geschäftshaus soll komplett zu Wohnzwecken umgenutzt werden, ebenfalls soll der leere Dachraum oberhalb des dritten Geschosses für neuen Wohnraum umgebaut werden. Mittlerweile wurde aber die Straße verkehrsberuhigt und für die Anwohner mehr Parkraum geschaffen, indem die Pkw quer zu den Häusern parken. Die damals gepflanzten Bäume sind mittlerweile über 15 m hoch und spenden Schatten. Der Bauantrag wurde gestellt, aber nicht genehmigt, da bei der Überprüfung durch den Sachverständigen für Brandschutz die Leistungsfähigkeit der Feuerwehr nicht mehr nachgewiesen werden konnte: Die quer parkenden Pkw vergrößern den Abstand von der Straße zur Fassade auf 15 m und die Bäume verhindern zusätzlich das Aufrichten der Drehleiter.
Rechtlich besteht für die alte Nutzung noch Bestandschutz, der aber durch den Bauantrag erlischt. De facto ist das Gebäude spätestens seit der Errichtung der neuen Stellplätze für die Pkw ohne zweiten Rettungsweg. Leider arbeiten in vielen Städten die Planungsämter nicht genügend zusammen, die Belange der Feuerwehr wurden in der Vergangenheit vielerorts nicht mitberücksichtigt. Daher ist in vielen Städten bei älteren Gebäuden öfters der zweite Rettungsweg über Leitern der Feuerwehr nicht mehr möglich.
Bei einem neuen Bauantrag kommt dann das böse Erwachen für den Bauherrn. Was tun? Das Erreichen der Wohnungen durch Leitern der Feuerwehr ist nach wie vor zwingend. Wenn durch Wegnahme von Parkplätzen, Zurückschneiden von Bäumen oder die Feuerwehrzufahrt durch den Garten nicht gewünscht ist, gibt es noch eine Möglichkeit: Die Ertüchtigung des Treppenraumes zu den Wohnungen als Sicherheitstreppenraum.
Anstatt der Leitern der Feuerwehr gibt es im Baurecht aller Länder die Möglichkeit, einen sicheren Treppenraum zu bauen, der im Falle eines Brandes nicht von Feuer und Rauch beeinträchtigt werden kann. Seit Jahrzehnten werden diese Treppenräume in Wohnhochhäusern bis 60 m Höhe genutzt. Die Wände und die Treppen dürfen nur aus nicht brennbaren Baustoffen hergestellt werden und müssen über einen Rauchabzug verfügen. Zusätzlich haben diese Treppenräume eine Schleuse vor der Treppe, die das Eindringen von Feuer und Rauch verhindert. Der nachträgliche Einbau ist allerdings selten möglich.
Zurzeit werden sichere Treppenräume ohne Schleuse diskutiert, die durch moderne Anlagentechnik einen ähnlichen Sicherheitsstandard ermöglichen sollen. Darüber hinaus sind ebenfalls sogenannte "Rettungsbrücken" zwischen den Balkonen der Wohnungen denkbar, notfalls als Erweiterung der Balkone mit einem Laubengang davor, der nur im Notfall genutzt wird.
Fazit: Frühzeitige Abklärung wichtig
Beim gewissenhaften Studium der Regelwerke sollten die oben aufgeführten Fälle eigentlich nicht eintreten. Die Forderung des zweiten Rettungsweges ist im Gegensatz zu erhöhter Schall- und Wärmedämmung nicht neu und seit jeher wesentlicher Bestandteil der Bauordnungen der Länder. Bei der Erfassung aller Randbedingungen muss die Rettung von Menschen aus Gebäuden schon allein aus moralischen Gründen einen hohen Stellenwert haben. Die frühzeitige Abklärung des ersten und zweiten Rettungsweges in der Planungsphase erspart daher unnötigen Ärger und ermöglicht eine möglichst wirtschaftliche Umsetzung der zweifellos notwendigen Maßnahme.
Dieser Artikel erschien im Fachmagazin "DW Die Wohnungswirtschaft", Ausgabe 01/2020.
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