"Unternehmen sollten stärker auf Employer-Branding achten"
Frau Märten, durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens wegen der Pandemie waren viele Firmen gezwungen, Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken und die Geschäftsprozesse – in manchen Fällen von heute auf morgen – digital umzustellen. Welchen Einfluss hat das auf die Unternehmen?
Sabine Märten: Von Unternehmensinhabern, Geschäftsführern sowie Führungskräften erhalte ich ein durchgehend positives Feedback. Selbst Unternehmensstandorte mit 2.500 Mitarbeitern funktionieren reibungslos, wenn 90 Prozent der Mitarbeiter vom Homeoffice aus tätig sind. Auch das Abhalten von Meetings scheint per Videokonferenz effizienter zu funktionieren als bei realen Zusammenkünften. Führungskräfte berichteten, dass die Agenda zielgenauer aufgesetzt wird, alle Mitarbeiter besser vorbereitet sind – und vor allem konzentrierter an dem virtuellen Meeting teilnehmen und fokussierter kommunizieren. Es fehlt allerdings der kreative, spontane Ideenaustausch wie er nur in einer persönlichen Gesprächssituation entsteht. Auf Dauer sollte das durch ein durchdachtes Anwesenheitskonzept aufgefangen werden.
"Für Low-Performer kann es ungemütlich werden"
Wie gehen die Mitarbeiter mit der aktuellen Situation um?
Das Empfinden der Mitarbeiter in dieser Situation hängt wesentlich von deren individuellen Stärken und persönlichen Rahmenbedingungen ab. Die einen können sich selbst motivieren und haben eine eigenständige, strukturierte Arbeitsweise. Es gelingt ihnen, die gewonnene Zeit durch wegfallende Arbeitswege zu genießen und zu Hause in Ruhe zu arbeiten.
Die anderen, die die Situation als eher belastend empfinden, sind oftmals Singles, die sich einsam fühlen, oder Eltern, die sich eine kleine Wohnung mit Kindern teilen. Wenn sich ein Elternteil im Schlafzimmer und der andere im Wohnzimmer im Homeoffice einrichtet, parallel kleine Kinder ganztägig beschäftigt beziehungsweise Homeschooling strukturiert werden soll, dann ist effizientes Arbeiten eine echte Herausforderung. Gleiches gilt für Mitarbeiter, die nun für Eltern oder Großeltern einkaufen gehen oder verstärkt einspringen müssen, wenn Pflegekräfte ausfallen.
Bremst das die Mitarbeiter denn merklich?
Mein Eindruck ist, dass die Kandidaten das bis jetzt noch relativ gelassen aufnehmen und sich mit der Situation arrangiert haben. Für Low-Performer kann es allerdings etwas ungemütlich werden. Offensichtlich tritt ungenügendes Leistungsvermögen unter den aktuellen Bedingungen stärker zu Tage. Für alle ist das jetzt auf jeden Fall eine große Chance, sowohl Kommunikation als auch Führung und Prozesse im Rahmen der Digitalisierung zu optimieren und im Schnellverfahren Stärken und Schwächen kennenzulernen.
"Mit aktiver Personalsuche einen Vorteil verschaffen"
Wie können Wohnungs- und Immobilienunternehmen jetzt Fachkräfte für sich gewinnen?
Der Fachkräftemangel wird meines Erachtens auch nach der Krise anhalten. Bis März arbeitete ein Großteil der Mitarbeiter an der Kapazitätsobergrenze und in vielen Fachbereichen konnten offene Positionen nur sehr schwer oder gar nicht besetzt werden. Auch ist es in der Immobilienbranche bisher nur bei wenigen Unternehmen zu Kurzarbeit oder gar Entlassungen gekommen. Aufgrund der Stimmungslage werden nicht nur die akut von der Krise betroffenen Mitarbeiter eine Neubewertung vornehmen. Sie werden sich hin zu Unternehmen orientieren, die ihnen Wertschätzung entgegenbringen, die über ein renommiertes Image sowie bewährte Geschäftsmodelle verfügen und ihnen einen sicheren Arbeitsplatz bieten.
Was schlagen Sie vor?
Unternehmen sollten jetzt verstärkt auf ihr Employer-Branding achten und die eigenen Stärken aktiv kommunizieren. Die bisher genutzten Recruiting-Tools sollten fortgeführt werden. Ich beobachte zudem, dass Initiativbewerbungen auf Expertenebene seit Mitte März abnehmen. Diese tendieren dazu, in der aktuellen Situation abzuwarten. Ganz anders verhält es sich bei der Direktansprache von Kandidaten. Ich stelle fest, dass gerade jetzt die Kandidaten eine hohe Gesprächsbereitschaft haben, sehr gut erreichbar sind und sich die Zeit nehmen, über berufliche Optionen nachzudenken. Daher können sich renommierte Unternehmen gegenwärtig durch eine aktive Personalsuche einen Vorteil verschaffen.
Mitarbeiter in der Immobilienbranche halten und gewinnen
Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter?
Der Digitalisierungsgrad ist schon relativ weit fortgeschritten. Unternehmen schalten Stellenanzeigen weitgehend online, der gesamte Bewerbungsprozess kann über Onlinetools abgewickelt werden. Auch ein Erstinterview via Video ist grundsätzlich aussagefähig. Aufgrund des kleinen Körperausschnitts und der oft ungünstigen Bildqualität stößt man – meiner Erfahrung nach – jedoch bei der Einschätzung der Persönlichkeit, insbesondere bei der Stärken- und Schwächenanalyse, an Grenzen.
Hier könnten klassische Persönlichkeitstests und gegebenenfalls KI-Programme zur Persönlichkeitsanalyse, wie zum Beispiel Precire oder Retorio unterstützen, sofern sich die Bewerber darauf einlassen. In der Personalberatung aber bleiben die beiden wichtigsten Schritte die aktive Identifizierung der genau passenden Kandidaten im Markt und deren persönliche, professionelle Ansprache, um sie für die Position zu gewinnen – und damit eng verknüpft, die analoge Tätigkeit eines erfahrenen Beraters.
Was können Unternehmen tun, um qualifizierte Mitarbeiter auch in der aktuellen schwierigen Situation zu halten?
Wenn es die finanzielle Situation zulässt: Die Mitarbeiter nicht in Kurzarbeit schicken, oder wenn doch nötig, das Kurzarbeitergeld aufzustocken. Ebenso wichtig ist eine klare, offene Kommunikation über die Situation und die geplanten Schritte, auch in Szenarioform, und dabei Zuversicht auszustrahlen. Eine zusätzliche Demotivation oder Arbeitsbelastung durch zum Beispiel aufschiebbare Reorganisationen oder die Neueinführung von IT-Systemen ist zu vermeiden. Die Motivationslage und Nöte der Mitarbeiter sollten beobachtet werden.
"Qualitäten der Führungskräfte kommen auf den Prüfstand"
Wie funktioniert das, wenn man sich nicht persönlich begegnet?
Nicht jeder Mitarbeiter offenbart seinem Chef, dass er beruflich oder privat überfordert ist. Zumal diese Gefühlslagen im Videochat oft schwer erkennbar sind. Die Führungskräfte sollten im kontinuierlichen Gespräch mit den Mitarbeitern stehen und sie individuell unterstützen. Kreativität ist gefragt. Gegebenenfalls kann gegenseitige Hilfe und Austausch unter Kollegen, auch im privaten Bereich, organisiert werden. Ist das Arbeitsaufkommen reduziert, könnten Weiterbildungsangebote via Webinar gut ankommen. Um der Abwanderung wichtiger Mitarbeiter vorzubeugen, können zum Beispiel Langfristboni oder gezielte Benefits vereinbart werden.
Hand aufs Herz: Welche Kompetenzen sind von Führungskräften in dieser Krisenzeit besonders gefordert?
Die Leadership Qualitäten der Führungskräfte kommen jetzt auf den Prüfstand. Die aus meiner Sicht fünf wichtigsten Kernkompetenzen sind aktuell eine präzise Analysefähigkeit, Lösungsentwicklung und -umsetzung, Organisations- und motivierendes Kommunikationsvermögen sowie Resilienz. Erfolg haben werden die tatkräftigen Entscheider, die Aufgaben delegieren können, Ruhe ausstrahlen sowie Zuversicht kommunizieren und profitable Geschäftsmöglichkeiten erkennen.
Wie wird die Coronakrise den Personalbereich in der Immobilienbranche und das Recruiting verändern?
Wir werden eine andere Situation als in der Finanzkrise 2008 / 2009 erleben. Damals kam es in einzelnen Fachbereichen zu Entlassungen, auf Ebene der Führungskräfte wurde deutlich reduziert und Neueinstellungen auf Expertenebene nur zögerlich vorgenommen. Um Kosten zu sparen haben Unternehmen versucht Positionen, auch wenn es sehr lange dauerte, selbst zu besetzen. Großunternehmen bauten zum Teil eigene Direct-Recruiting-Abteilungen auf. Sofern wir bis Ende Mai, Anfang Juni 2020 wieder einigermaßen zur Normalität übergehen, wird es meines Erachtens in der Branche zu wenig Entlassungen kommen. Der Kandidatenmarkt wird, bis auf Nischenspezialisten im Retail- oder Hotelbereich, daher ähnlich angespannt sein wie noch vor März dieses Jahres.
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