Genossenschaftswohnen – bezahlbar, beständig und modern
Wie modern die Beständigkeit sein kann, zeigten die Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland rund um das 100. Jubiläum: Mit Slogans wie "Fairness hat bei uns Tradition und Zukunft", "Unsere Lieblingssprache ist die Mitsprache" und "Hier wohnt das Wir" wird auf Plattformen wie Spotify für die Initiative geworben – und damit bewusst die junge Zielgruppe auf den Genossenschaftsgedanken aufmerksam gemacht. Die Botschaft: Gesellschaft braucht Genossenschaft.
Allein in Deutschland gibt es rund 2.000 Wohnungsgenossenschaften. Und die Zahl wächst – vor allem in den vergangenen 20 Jahren gab es einige Neugründungen.
Genossenschaftsgedanke: Demokratisch, nicht-gewinnorientiert
Woher kommt diese Entwicklung? "Wohnraum wird immer teurer. Wohnungsgenossenschaften sind ein bewährtes Gegenmodell mit ihrem 'lebenslangen' Wohnrecht und fairen Mieten", begründet Dr. Iris Beuerle, Direktorin beim Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen (vbw), den Trend. Bürgerinnen und Bürger, aktuell auch Kommunen gründeten wieder vermehrt Genossenschaften, weil sie gerade in der heutigen Zeit der Wohnraumknappheit Ziele so leichter (finanziell) realisieren könnten.
"Gemeinsam können in einer Genossenschaft Wohnprojekte umgesetzt werden, die für den Einzelnen zu groß oder zu komplex und zu teuer wären." Neben der demokratischen Organisation zeichne nicht-gewinnmaximierendes Wirtschaften die Form der Genossenschaft aus. Mit Wohnraum werde bei den nicht spekuliert. Vielmehr seien die Angebote generationenübergreifend und leisteten einen zentralen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Land.
Genossenschaftsidee seit 2016 immaterielles Kulturerbe
Genossenschaften gibt es nicht nur im wohnungswirtschaftlichen Bereich, sondern auch im Handel, im Kreditwesen und im Handwerk. Mit insgesamt rund 23 Millionen Mitgliedern und 780.000 Erwerbstätigen sind Genossenschaften ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und eine stützende Säule für die Gesellschaft. Das sieht auch die UNESCO so und hat den Genossenschaftsgedanken daher 2016 in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen.
"Eine Genossenschaft ist eine freiwillige Vereinigung von Menschen mit gleichen Interessen, die individuelles Engagement und Selbstbewusstsein fördert", erklärte die UNESCO die Entscheidung. Gefördert werde die soziale, kulturelle und ökonomische Partizipation der Mitglieder, da diese durch den Erwerb von Genossenschaftsanteilen zu Miteigentümern werden.
Auch die Forschung befasst sich mit dem Genossenschaftsgedanken. An vielen Hochschulen gibt es eigene Forschungsstellen oder Lehrstühle dazu. Das Europäischen Bildungszentrum (EBZ) hat seit diesem Jahr ein eigenes Institut für wohnungsgenossenschaftliche Zukunftsfragen: Das eG21 will Vordenker und Treiber in der Branche und der Öffentlichkeit sein. Gleichzeit sollen Genossenschaften als attraktive Arbeitgeber stärker in das Bewusstsein qualifizierter Nachwuchskräfte gerückt werden.
"Besondere Nähe zu den Quartieren und Mitgliedern"
Dr. Torsten Bölting ist seit Mai 2019 Professor für Sozialwissenschaften, Wohn- und Raumsoziologie an der EBZ Business School und Geschäftsführer von InWIS, einem wohnungswirtschaftlichen Institut am EBZ. Im Interview spricht er über die gesellschaftliche Bedeutung von Genossenschaften.
Herr Dr. Bölting, welche gesellschaftliche Relevanz haben Wohnungsgenossenschaften?
Dr. Torsten Bölting: Etwa 2,2 Millionen genossenschaftliche Wohnungen gibt es in Deutschland – das sind mehr als fünf Prozent aller Wohnungen oder mehr als zehn Prozent aller Mietwohnungen. Damit stellen die Genossenschaften eine wichtige Gruppe am (professionellen) Vermietermarkt dar. Sie bieten ihre Wohnungen zudem verhältnismäßig günstig an – im Durchschnitt liegen sie beim Preis knapp 30 Cent pro Quadratmeter unter dem ohnehin noch vergleichsweise günstigen Preis, den die ehemals gemeinnützige Wohnungswirtschaft insgesamt erzielt. Zugleich haben allein die Genossenschaften in Deutschland fast 10.000 Neubauwohnungen fertiggestellt.
Gibt es hier einen Unterschied zwischen kleinen und großen Wohnungsunternehmen?
Wohnungsgenossenschaften sind – auch wenn es einige größere mit mehr als 10.000 Wohnungen gibt – eher klein. Sie verfügen im Durchschnitt "nur" über etwa 1.200 Wohnungen. Zum Vergleich: Die Kapitalmarktgesellschaften haben im Durchschnitt mehr als 4.000 Wohnungen, hier gibt es auch sehr große Unternehmen mit mehr als 100.000 Wohnungen. Dadurch entsteht bei den Genossenschaften oft eine besondere Nähe zu den Quartieren und Mitgliedern, die dort leben.
Was sind die größten Herausforderungen, vor denen Wohnungsgenossenschaften heute stehen?
Auch die Genossenschaften beteiligen sich an der Bekämpfung des Klimawandels, indem sie Bestände modernisieren und neue Konzepte zur Energieversorgung erproben. Viele der Unternehmen waren und sind insbesondere infolge der ad-hoc-Änderungen an den Förderprogrammen und der sich weiter verschärfenden Regulatorik ähnlich ratlos wie viele andere Wohnungsunternehmen auch. Selbst wenn die Genossenschaften oft besonders günstige Wohnungen anbieten können: zaubern können sie auch nicht. Es wäre es wohl kaum im Sinne der Mitglieder, wenn die mit den Mieten die Defizite von Modernisierungsprojekten tragen müssten.
Die kommunale Wärmeplanung könnte Ihnen entgegenkommen ...
Durch die Orientierung am Quartier eröffnet die anstehende kommunale und kleinräumige Wärmeplanung gerade für Genossenschaften gute Perspektiven. Sie erreichen schnell – zumal, wenn sie untereinander zusammenarbeiten – im Quartierszusammenhang die "kritische Masse", die für die Entstehung von Nahwärmenetzen und Ähnlichem notwendig ist. Hier gilt es, die Genossenschaften in der Konzeption und Planung mit den Stadtwerken und anderen Akteuren zu unterstützen.
Überaltern Wohnungsgenossenschaften oder ziehen Sie auch Jungvolk an?
Der demografische Wandel wirkt sich bei den Genossenschaften deutlich aus. Mehr und mehr ältere Menschen leben hier und brauchen für passende Wohnungsangebote und Serviceleistungen. In dem Zusammenhang verändert sich aber auch die Mitgliederstruktur. Zugleich haben sich die Formen gesellschaftlicher Teilhabe und des Engagements für eine gemeinsame Sache weiterentwickelt – die klassische Gremienarbeit mit Vertreterversammlung oder Ausschüssen ist heute nicht mehr so interessant, aber von ihrer Verfasstheit sind Genossenschaften darauf angewiesen. Gerade alte Wohnungsgenossenschaften suchen daher nach neuen Formen der Aktivierung von Mitgliedern.
Worin unterscheiden sich Genossenschaften in der Schweiz und Österreich zu unseren?
In beiden Ländern hat das Genossenschaftswesen eine große Tradition im Wohnungsmarkt. In Österreich sind genossenschaftliche Wohnungen meistens noch viel stärker mit der öffentlichen Förderung von Wohnraum verbunden – der Begriff "Wohnungsgenossenschaft" steht hier pars pro toto für den gemeinnützigen Wohnungsbau. Ähnlich ist es in der Schweiz.
In dem kleinen Land gibt es mehr als 1.500 Wohnungsbaugenossenschaften, die ähnlich wie in Deutschland für etwa fünf Prozent des Bestands stehen. Trotz der unzweifelhaften wirtschaftlichen Bedeutung der Genossenschaften blieb ihr Wirken allerdings auch in der Schweiz eher ein wenig im Verborgenen. Bekannter sind die großen Konsumgenossenschaften, wie etwa die Migros. Mit einer Ausnahme: Im Großraum Zürich mit einem extrem knappen Wohnungsmarkt haben in den vergangenen Jahren vor allem – auch neue – Wohnungsbaugenossenschaften aufsehenerregende Projekte realisiert, die bezahlbares Wohnen mit hohen Ansprüchen an Klimaschutz und Ökologie kombiniert haben.
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