Wenn kommunale Genossenschaften günstige Wohnungen bauen
Im Jahr 2018 stand die Stadt Detmold vor einem Dilemma. Ihr eröffnete sich die Chance, von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) große Teile der sogenannten Britensiedlung – einer ehemaligen Wohnanlage für Familien britischer Soldaten – zu erwerben und durch die Schaffung von günstigem Wohnraum einen Beitrag gegen die zunehmende Wohnungsknappheit zu leisten. Doch für die notwendige Sanierung der Bestandsgebäude fehlten der Kommune (die über keine eigene Wohnungsbaugesellschaft verfügt) die Kapazitäten.
Da kam der Vorschlag von Michael Hoppenberg, Partner der auf die Rechtsberatung von Kommunen spezialisierten Kanzlei Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte Partnerschaft mbB in Münster, gerade recht: Warum nicht eine Genossenschaft gründen, an der die Kommune maßgeblich beteiligt ist?
Tatsächlich wurde im Sommer 2019 die Kommunale Wohnungsgenossenschaft Britensiedlung eG aus der Taufe gehoben, die Anfang 2020 ihre Tätigkeit aufnahm und in der Folge 44 Doppel- und Reihenhäuser in der Britensiedlung modernisierte. Gründungsmitglieder der Genossenschaft waren die Stadt Detmold, die Detmolder Gesellschaft für Stadtentwicklung mbH und die Pyramis Immobilien Entwicklungs GmbH, deren Geschäftsführer Hoppenberg ist. Dabei brachte die Kommune die von ihr gekauften Grundstücke der Britensiedlung als Sacheinlage ein.
Wohnungsbau: Kommune hat politische Kontrolle
Mittlerweile sind laut Hoppenberg nach dem Detmolder Modell 20 Projekte realisiert worden oder in Planung, wobei bisher rund 70 Wohneinheiten fertiggestellt worden sind. Zwei der Vorhaben wurden im Dezember 2022 auf den Weg gebracht: In Halle (Westfalen) beschloss der Stadtrat die Gründung der Wohnungsbaugenossenschaft Alter Postweg eG, und in Jüchen (Rhein-Kreis Neuss) machte das Parlament den Weg für die Gründung der Wohnungsbaugenossenschaft Jüchener Wohnen eG frei.
Das Prinzip ist dabei immer gleich, wie Initiator Hoppenberg erläutert: "Jede Genossenschaft hat drei Gründungsmitglieder: die Kommune, die als Sacheinlage ein Grundstück einbringt, eine kommunale Gesellschaft wie zum Beispiel die Stadtentwicklungsgesellschaft sowie die Pyramis Immobilien Entwicklungs GmbH." Diese Gründungsgenossen bilden den Aufsichtsrat, wobei die Kommune und ihre Gesellschaft vier von fünf Aufsichtsratsmitgliedern stellen. Den fünften Sitz nimmt Hoppenberg ein. "Damit", sagt dieser, "hat die Kommune die politische Kontrolle inne".
Detmolder Modell: Kommune haftet nicht
Warum aber gerade dieses Modell? "Die Möglichkeit, ohne eigenen Personaleinsatz und ohne den Einsatz städtischer Haushaltsmittel schnell bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, über den wir dauerhaft als Stadt verfügen können, hat letztlich den Ausschlag für diese Lösung gegeben", sagt der Jüchener Bürgermeister Harald Zillikens (CDU). Die Kommune übernehme bei dem Modell keinerlei Haftung gegenüber den Banken, bestätigt Pyramis-Geschäftsführer Hoppenberg. Trotzdem bekomme die Genossenschaft Kredite zu kommunalwirtschaftlichen Konditionen, da die Finanzinstitute die Genossenschaft als "Teil des kommunalen Konzerns" betrachteten.
Ein zweiter Vorteil liegt nach Ansicht der Befürworter dieses Modells darin, dass eine Genossenschaft nicht an die Vergaberichtlinien öffentlicher Unternehmen gebunden ist. Dadurch lasse sich Zeit einsparen, und bei den Bauarbeiten kämen vorrangig lokale Handwerksbetriebe zum Zug. Schließlich werde die Kommune entlastet, weil Pyramis die Planung und Projektsteuerung übernehme. Die dafür nötige Sachkenntnis bringt der zweite Pyramis-Geschäftsführer mit: Michael Kirchner ist Inhaber des Immobilienunternehmens Kirchner-Gruppe in Telgte.
Aber könnte eine Kommune nicht auch eine kommunale GmbH gründen? Im Prinzip schon, sagt Hoppenberg. "Eine kommunale Gesellschaft hätte aber mehrere Nachteile". Die Kommune müsste für die Finanzierung geradestehen, und die GmbH würde dem öffentlichen Vergaberecht unterliegen. Zudem brauche eine GmbH einen Geschäftsführer, was mit hohen Kosten verbunden sei, da sich diese Aufgabe nicht mehr nebenamtlich vom Kämmerer oder einem anderen Vertreter der Stadtverwaltung wahrnehmen lasse.
Quartiersgenossenschaften: Vorwurf Schattenhaushalt
Nach dem Detmolder Modell wird für jedes Projekt eine eigenständige Genossenschaft gegründet. "Mit solchen Quartiersgenossenschaften, die nicht mehr als 40 bis 60 Wohnungen umfassen, wollen wir den genossenschaftlichen Selbstverwaltungsgedanken bewahren", begründet dies Hoppenberg. In der Satzung festgelegt ist, dass die Mieter Mitglieder der Genossenschaft werden.
Ebenfalls in jeder Satzung festgeschrieben ist, dass der Wohnraum bezahlbar sein muss. Diese Vorgaben können später nur mit Zustimmung der Kommune geändert werden. Dabei handelt es sich nicht um öffentlich geförderte Sozialwohnungen, sondern um frei finanzierten Wohnraum für die Mittelschicht. In der Detmolder Britensiedlung betrug die Anfangsmiete 6,30 Euro pro Quadratmeter. Bei den jetzigen Neubauprojekten sei eine so niedrige Miete natürlich nicht mehr möglich, sagt Hoppenberg. Kalkuliert werde jetzt mit Nutzungsentgelten zwischen zehn und zwölf Euro pro Quadratmeter. Diese deckten lediglich die Kosten; einen Überschuss wollten die Genossenschaften nicht erzielen.
Nicht stehen lassen will Hoppenberg den Vorwurf, mit den kommunalen Genossenschaften werde eine Art Schattenhaushalt geschaffen. "Unser Modell bedeutet keine Schattenwirtschaft, da die Kommune nicht für die Kredite der Genossenschaft haftet", betont er. Und auch den Kritikpunkt, auf diese Weise werde bestehenden Wohnungsunternehmen Konkurrenz gemacht, weist er zurück. "In Gemeinden, in denen gut funktionierende Wohnungsgenossenschaften oder kommunale Wohnungsbaugesellschaften preiswerten Wohnraum schaffen, braucht es unser Modell nicht. Wir wollen keine Konkurrenz zu diesen Unternehmen sein. Helfen wollen wir dort, wo ein Marktdefizit festzustellen ist."
Wohnungsbau-Modell: Von Detmold in die ganze Welt?
Umgesetzt worden ist das Detmolder Modell bisher schwerpunktmäßig in Klein- und Mittelstädten in Nordrhein-Westfalen. Einzelne Projekte gibt es jedoch auch in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Die Pläne gehen aber weit darüber hinaus: Perspektivisch, sagt Hoppenberg, sei es denkbar, die gesamte DACH-Region (also Deutschland, Österreich und die Schweiz) abzudecken. Grundsätzlich funktioniert das Modell nach Ansicht des Initiators in Städten jeder Größenordnung. "Wir haben allerdings die Erfahrung gemacht, dass sich Großstädte damit schwertun, sodass wir uns auf Kommunen mit 10.000 bis 100.000 Einwohnern konzentrieren."
Bleibt eine Frage: Warum engagiert sich eine private GmbH, die mit einer Rechtsanwaltskanzlei verbunden ist, überhaupt für die Schaffung von günstigem Wohnraum? Darauf antwortet Michael Hoppenberg mit entwaffnender Offenheit: "Von der Gründung der Genossenschaften profitiert letztlich auch die Kanzlei Wolter Hoppenberg, da sie dadurch Folgeaufträge in den Standortkommunen akquirieren kann."
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