Fristlose Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit?

Eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit kann die fristlose Kündigung rechtfertigen. Die Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist jedoch hoch: Die fristlose Kündigung eines Lageristen hat das Landesarbeitsgericht Köln kassiert. Sein Vorgesetzter hatte ihn während seiner Krankschreibung in einer Pizzeria beobachtet.

Nebenbeschäftigung oder Freundschaftsdienst? Ein Vorgesetzter beobachtete seinen Mitarbeiter, wie er in der Pizzeria seines Bekannten Pizzakartons in ein Auto packte. Der Arbeitgeber vermutete eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit und sogar eine nicht angegebene Nebentätigkeit und kündigte fristlos. An eine solche Verdachtskündigung stellen Gerichte allerdings hohe Anforderungen, wie auch die vorliegende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln (LAG Köln) zeigt. Insbesondere muss es dem Arbeitgeber, der eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit vermutet, gelingen, die hohe Beweiskraft, die einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) zukommt, vor Gericht zu erschüttern.  

Mitarbeiter während Arbeitsunfähigkeit in Pizzeria entdeckt

Der Arbeitnehmer war als Lagerist in einem Logistikcenter tätig. Er war über einen längeren Zeitraum von seiner Hausärztin wegen Magen-Darm-Problemen, Unwohlsein und Ermüdung arbeitsunfähig geschrieben. Während dieser Zeit beobachtete ein Vorgesetzter den Mitarbeiter dabei, wie er abends in einer Pizzeria Pizzakartons und andere Speisen in Alu-Behältern in Styroporwarmhaltebehälter zur Kundenauslieferung umlagerte und diese in einen Lieferwagen brachte. Der Arbeitgeber kündigte nach diesem Vorfall fristlos.

Fristlose Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

Er war überzeugt, dass der Mitarbeiter die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht habe. Die AU-Bescheinigung und somit auch die Entgeltzahlung durch den Arbeitgeber habe der Arbeitnehmer unberechtigterweise erschlichen. Weiter ging er davon aus, dass der Arbeitnehmer in der Pizzeria einer unangemeldeten Nebentätigkeit nachging. Mit seinem Verhalten habe er schon deswegen eine Pflichtverletzung verübt, da er damit seine Genesung verschlechtert habe.

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Freundschaftsdienst trotz Krankmeldung?

Der Mitarbeiter wehrte sich vor Gericht gegen die Kündigung. Er trug vor, dass der Inhaber der Pizzeria ein Bekannter sei, dem er während der Wartezeit mit seinen Tätigkeiten lediglich einen Freundschaftsdienst geleistet habe. Zudem befand er sich zu der Zeit in psychotherapeutischer Behandlung wegen depressiver Verstimmung.

LAG Köln: Kündigung unwirksam

Das LAG Köln entschied, dass die fristlose Kündigung des Mitarbeiters ebenso wie die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung keinen Bestand haben. Für eine wirksame Verdachtskündigung habe der Arbeitgeber weder den Kündigungsgrund der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit noch des genesungswidrigen Verhaltens oder einer pflichtwidrigen Nichtanzeige einer Nebentätigkeit schlüssig vorgetragen. 

Das Gericht stellte klar, dass das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich ein "wichtiger" Grund für eine fristlose Kündigung sei. Das Verhalten stelle regelmäßig einen Betrug dar. Es setze aber voraus, dass der Arbeitnehmer – unter Vorlage eines Attests – der Arbeit fernbleibt und sich Entgeltfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt.

Dem Arbeitgeber sei es jedoch im Kündigungsschutzprozess nicht gelungen, den hohen Beweiswert der AU-Bescheinigung zu erschüttern und darzulegen, dass die Krankheit nur vorgetäuscht war. Dazu hätte er objektive Tatsachen etwa zur attestierten Erkrankung vortragen müssen, die ausreichende Zweifel an der Richtigkeit des Attests begründeten. Dies sei nicht erfolgt, sodass das Gericht von der Richtigkeit des Attestes ausgehen musste.

Für die Schlussfolgerung des Arbeitgebers, der Beschäftigte sei während seiner Krankschreibung einer Nebentätigkeit nachgegangen, sah das Gericht ebenfalls keine überzeugenden Beweise. Der Arbeitgeber konnte seine außerordentliche Kündigung auch nicht darauf stützen, dass der Lagerist seinen Heilungserfolg durch grob genesungswidriges Verhalten gefährdet habe. Dafür reichten die Beobachtungen, dass der Mitarbeiter während einer kurzen Zeit Pizzakartons ins Auto geräumt habe, nicht aus.

Hinweis: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 10. Dezember 2021, Az: 8 Sa 491/20


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