"Recruiting sollte als Vertriebsjob verstanden werden"
Haufe Online-Redaktion: Wie relevant für den Recruiting-Erfolg ist es, dass Unternehmen das Thema Recruiting neu denken und ihre Recruiting-Organisation neu aufstellen?
Mirjam Ferrari: Unter den gegebenen Marktentwicklungen ist das sehr relevant. Das ist unter anderem daran zu erkennen, wie sich zahlreiche Unternehmen neu aufstellen. So auch wir. Zunächst ist es allerdings wesentlich, dass die businesskritische Rolle der Recruiting-Funktion erkannt wird.
Haufe Online-Redaktion: Wie sieht das in Ihrem Unternehmen aus?
Ferrari: Wir steuern unser Unternehmen nach drei Kernzielen, den "three bottom lines". Das heißt, wir wollen Arbeitgeber, Anbieter und Investor erster Wahl sein. Mit dem Recruiting zahlen wir auf alle drei Bausteine ein und leisten damit einen wichtigen Unternehmensbeitrag. Erstens: Wenn sich ein Arbeitgeber gut präsentiert, den Bewerbungsprozess einfach gestaltet und so Zufriedenheit bei den Bewerberinnen und Bewerbern generiert, sorgt er für eine überzeugende Nutzererfahrung. Sie ist die Eintrittskarte in unser Unternehmen und bereitet den Boden für eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit. Zweitens gilt es, genügend gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum richtigen Zeitpunkt an Bord zu holen, um einen Beitrag zur Qualität der Produkte und Services zu leisten. Drittens sorgen wir für Effizienz, indem wir Technologie zur Digitalisierung und Automation einsetzen. Damit leisten wir auch mit Blick auf die Kosten einen wichtigen Beitrag für den "Investor of Choice".
"Wie ein Unternehmen Personal sucht, findet und an Bord bringt, hat starke Parallelen zum Vertrieb, deshalb organisieren wir uns auch so." Mirjam Ferrari, Deutsche Post DHL Group
Haufe Online-Redaktion: Was bedeutet das für die Organisationsform?
Ferrari: Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Recruiting als ein Vertriebsjob verstanden und Ende zu Ende gemanagt wird. Wie ein Unternehmen Personal sucht, findet und an Bord bringt, hat starke Parallelen zum Vertrieb, deshalb organisieren wir uns auch so. In unserem Verständnis von Recruiting gibt es Menschen, die sich um das Thema "Finden" kümmern, zum Beispiel beim Employer Branding oder durch HR-Marketing. Hier sind Fähigkeiten gefragt wie Kenntnisse im Online-Marketing oder Programmatic Advertising, die man sonst aus der Produktwerbung kennt. Dann gibt es Kolleginnen und Kollegen, die dafür sorgen, dass es sehr einfach ist, sich bei uns zu bewerben – das hat stark mit der Usability, Candidate Journey und der Ausrichtung an den gewohnten Erfahrungen der Kandidatinnen und Kandidaten zu tun. Bewerben muss so einfach sein wie eine Online-Bestellung. Schließlich gibt es Recruiterinnen und Recruiter, die Menschen dann persönlich davon überzeugen, bei uns zu arbeiten. Im Vertrieb sind das die Personen, die den Vertrag final zum Abschluss bringen.
Haufe Online-Redaktion: Das heißt, Sie haben Spezialisten, die sich gezielt mit einem dieser Themen beschäftigen?
Ferrari: Für all diese Tätigkeiten arbeiten bei uns im Kollegium Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihr jeweiliges Thema professionell umsetzen und Hand in Hand miteinander agieren. Die Grundidee, die hinter unserer Organisation steckt, ist der Sales Cycle, der alle Schritte eines Verkaufsprozesses vom ersten Kundenkontakt über die Vermarktung bis zur Nachbetreuung durch Aftersales beschreibt. Es geht darum, dass jeder seinen Beitrag in diesem Kreislauf kennt, um erfolgreich zu sein.
Recruiting erfordert eine ähnliche Logik wie der Vertrieb
Haufe Online-Redaktion: Bevor Sie ins HR-Marketing und Recruiting wechselten, waren Sie Vice President Sales Projects. Kam die Idee, das Recruiting an der Vertriebsthematik auszurichten, von Ihnen?
Ferrari: Man kann sagen, dass der vorherige Job eine inspirierende Wirkung hatte. Was dort die Customer Centricity im Sales war, ist heute die Candidate Centricity im Recruiting. Adressatengerechte Ansprache und Prozesse sind wesentlich für den Erfolg. Wenn ein Unternehmen beispielsweise einen Spezialisten oder eine Spezialistin für ein IT-Thema sucht, ist eine andere Herangehensweise erforderlich, als wenn viele Personen mit dem gleichen Jobprofil eingestellt werden sollen. Das erfordert eine ähnliche Logik wie im Vertrieb, der zwischen dem Key Account Management für große Kunden mit komplexen Herausforderungen und dem Tagesgeschäft unterscheidet. Beim Recruiting von Data Scientists zum Beispiel, die wir im Konzern im Zuge der digitalen Transformation zunehmend brauchen, sprechen wir gezielt und möglichst individuell infrage kommende Personen an. Das Recruiting von operativen Kräften erfolgt zwar auch individualisiert, ist aber gleichzeitig hoch automatisiert, digitalisiert und standardisiert.
"Die hohe Kunst besteht darin, eine möglichst gute Quote zwischen den vom #Recruiting angesprochenen Personen und den tatsächlichen Einstellungen zu generieren." Mirjam Ferrari @DeutschePostDHL
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Haufe Online-Redaktion: Was ist beim Recruiting von operativen Kräften die größte Herausforderung und wie viele Stellen haben Sie in diesem Bereich zu besetzen?
Ferrari: Wir bewegen uns bei den Stellenbesetzungen in einem signifikanten fünfstelligen Bereich. Folglich sprechen wir eine große Zahl potenzieller Kandidatinnen und Kandidaten an. Es ist ja nicht so, dass eine Bewerbung eine Einstellung generiert, sondern die Recruiterinnen und Recruiter müssen mehrere Gespräche führen, damit es zu einer Einstellung kommt. Die hohe Kunst besteht darin, eine möglichst gute Quote zwischen den vom Recruiting angesprochenen Personen und den tatsächlichen Einstellungen zu generieren. Dafür gibt es unterschiedliche Maßnahmen, unter anderem im HR-Marketing, das Targeting zu verbessern, also genau die Leute insbesondere online zu erreichen, die gesucht werden.
Haufe Online-Redaktion: Welche weiteren Maßnahmen setzen Sie ein?
Ferrari: Eine weitere Maßnahme ist eine intelligente Vorsortierung, damit die Recruiterinnen und Recruiter wissen, wen sie zuerst anrufen sollen, weil bei dieser Person die Einstellungswahrscheinlichkeit besonders groß ist. Auch hier gibt es Parallelen zum Vertrieb: Im Predictive Selling bekommt man Kunden mit der höchsten Abschlusswahrscheinlichkeit angezeigt. Wir können das natürlich nicht eins zu eins adaptieren, aber wir haben eine Logik, die besagt: Es gibt Grundvoraussetzungen, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfüllen müssen. Wer von fünf Punkten fünf erfüllt, wird priorisiert angesprochen. Wer nur zwei Punkte mitbringt, rückt durch diese Einstufung nach hinten. Es geht darum, den Aufwand zu reduzieren und schnell agieren zu können. Geschwindigkeit ist gerade bei den operativen Kräften ein entscheidender Faktor.
Im HR-Marketing arbeiten Online-Profis
Haufe Online-Redaktion: Welche Tools unterstützen Sie dabei?
Ferrari: Beim Performance Marketing nutzen wir die gesamte Bandbreite an Tools von Analytics bis SEO-Optimierung. Wir haben festgestellt, dass es entscheidend ist, für das HR-Marketing Online-Profis einzustellen, die zum Beispiel aus dem E-Commerce kommen, SEO-Expertise mitbringen und spezifische Kenntnisse in der Conversion Optimierung oder User Experience haben. Im nächsten Schritt ist es wichtig, ein leistungsfähiges Bewerbermanagementsystem einzusetzen, in dem ein hohes Maß an Automatismen eingebaut ist. Darüber hinaus haben wir einige Spezifika in unseren Prozessen, die wir berücksichtigen müssen. Auch diese haben wir alle zusammen mit dem Anbieter im System umgesetzt.
Haufe Online-Redaktion: Können Sie ein Beispiel nennen?
Ferrari: Wichtig ist, dass sich die Recruiterinnen und Recruiter bei der Entwicklung des Systems einbringen können. Auf diese Weise konnten wir beim Systemaufbau berücksichtigen, was sie für ihren Tagesablauf und ihre Arbeit konkret benötigen. Für die Bewerbertage, die wir regelmäßig durchführen, gibt es im System ein Bewerbertageportal. Die Bewerberinnen und Bewerber werden automatisch eingeladen. Der Wunsch aus dem Recruiting war, nicht nur im System sehen zu können, wer an welchen Bewerbertagen teilnimmt, sondern auch diese Liste ausdrucken zu können, um vor Ort die Anwesenden ganz praktisch abhaken zu können. Deshalb haben wir einen Button mit einer Druckfunktion eingebaut. Das ist ein schönes Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen der Recruiting-Abteilung in der Zentrale und im Betrieb. Auf so eine Idee kommt man einfach nicht, wenn man nicht eng mit den Nutzern zusammenarbeitet.
Die aktuellen HR-Systeme sind verbesserungswürdig
Haufe Online-Redaktion: Wo sehen Sie die größten Schwachstellen bei den Systemen, die aktuell auf dem Markt sind?
Ferrari: Es ist herausfordernd für die Systeme, im Sinne einer Ende-zu-Ende-Logik den gesamten Prozess von der ersten Kontaktaufnahme bis zum Onboarding abzubilden. Es gibt zwar viele Systeme, die das können und einige Module zur Verfügung stellen. Aber diese Module können noch besser werden. Die meisten Systeme decken den Kern des Bewerbermanagements sehr gut ab, aber sind noch ausbaufähig, was die nach vorn und nach hinten gelagerten Prozessschritte betrifft. Zum Beispiel steckt in der softwaretechnischen Abbildung von Onboarding noch ein großes Entwicklungspotenzial. Es gibt mittlerweile einige Startups, die sich mit der Recruiting-Thematik beschäftigen.
Haufe Online-Redaktion: Vor einem Jahr haben Sie einen Whatsapp-Chatbot eingerichtet, der sich an Stellensuchende im Bereich Paket- und Postzustellung, Lager und Transport richtet. Wie hat sich der Chatbot bewährt? Haben die Bewerbungen seitdem zugenommen?
Ferrari: Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung unserer Whatsapp-Chatbot-Funktion. Diese hat aber keinen Einfluss darauf, dass sich mehr Personen beworben haben, sondern sie dient als ein vereinfachter weiterer Bewerbungskanal mit hoher Usability. Der Whatsapp-Chatbot stellt einen Parallelkanal zu unserer Landingpage dar. Eine erfreuliche Erkenntnis ist: Die Conversion Rate ist höher als auf der Landingpage. Schon auf der Landingpage haben wir eine gute Conversion Rate. Aber Whatsapp funktioniert noch besser.
Die Bewerbungsprozesse an das Nutzerverhalten anpassen
Haufe Online-Redaktion: Wie wichtig ist es, bei den operativen Kräften die Zeitspanne zwischen Bewerbung und Einstellung zu verkürzen?
Ferrari: Das ist extrem wichtig. Deshalb ist es so relevant, die Prozesse aus Effizienzgesichtspunkten zu designen, mit Technologie zu unterstützen und gleichzeitig maximal nutzerfreundlich zu sein. Wenn die Technologie die Anwenderinnen und Anwender unterstützt und intuitiv nutzbar ist, wirkt sich dies positiv auf die Schnelligkeit der Prozesse aus. Das kennt man im privaten Bereich von Dienstleistungen wie etwa beim Bezahlen per Paypal. So gestaltet sich auch unser Anspruch an eine Landingpage: Die Nutzung muss so einfach und intuitiv sein wie bei einer Online-Bestellung. So ist das gelernte Verhalten. Wir müssen uns nach dem Nutzerverhalten richten und nicht die Nutzerinnen und Nutzer nach uns, weil das so besser in unsere Prozesse passt.
"Recruiting ist eine businesskritische Funktion. Deshalb müssen diejenigen, die das #Recruiting verantworten, die gleiche Sprache sprechen wie das Business." Mirjam Ferrari @DeutschePostDHL
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Haufe Online-Redaktion: Wie wichtig sind für Sie Kennzahlen?
Ferrari: Unser Recruiting ist extrem zahlengesteuert. Auch hier zeigt sich die Parallele zum Vertrieb, bei dem alles über KPIs gesteuert wird. HR muss diese Sprache genauso sprechen, denn HR ist ein Teil vom Business. Das Recruiting kann nur erfolgreich funktionieren, wenn das Tracking gut beherrscht wird, wenn die KPIs passend definiert werden und der Prozess danach ausgerichtet und schlank gesteuert wird; wenn die Recruiting-Organisation ihren internen Kunden, also den Kollegen und Kolleginnen, zeigen kann, was ihr Mehrwert ist und wie viele Einstellungen generiert wurden.
Da sind wir wieder bei der Ausgangsfrage, was sich in HR ändern muss. Recruiting ist eine businesskritische Funktion. Deshalb müssen diejenigen, die das Recruiting verantworten, die gleiche Sprache sprechen wie das Business. Wir managen unseren Erfolg mit Dashboards. Einmal in der Woche findet unser Performance-Dialog statt, bei dem wir kennzahlenbasiert unsere Aufgaben besprechen, prüfen, was wir ändern müssen und welche Tendenzen wir erkennen können. Es ist wichtig, das, was man tut, in Zahlen zu übersetzen, weil man dadurch transparent sieht, was gut läuft und wo man nachsteuern muss. Nur so lässt sich auch der Wertbeitrag der eigenen Funktion für die Organisation dokumentieren.
Zur Person: Mirjam Ferrari arbeitet seit 2003 bei der Deutsche Post DHL Group. Heute verantwortet sie als Vice President das HR-Marketing und Recruiting im Unternehmen. Zuvor war sie in unterschiedlichen Managementfunktionen im Vertrieb und Marketing tätig.
Dieses Interview ist zuvor im Sonderheft "Personalmagazin plus: Trends im Recruiting 2020" erschienen. Darin finden Sie auch einen Überblick zu den Anbietern der relevanten Jobbörsen und Stellenmärkte, Software-Produkten und Dienstleistern aus dem Recruiting-Bereich. Das Sonderheft können Sie hier kostenlos als PDF herunterladen.
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