New Recruiting: Wie Unternehmen um Talente buhlen
Recruiting muss derzeit zwei großen Herausforderungen begegnen: Einerseits verändern sich die Arbeitsanforderungen dramatisch infolge der Digitalisierung. Neue Arbeitsinhalte bedeuten automatisch andere, in der Regel steigende Anforderungen an die Qualifikation von Arbeitnehmern. Gleichzeitig ermöglich die Digitalisierung andere Formen der Arbeitsorganisation. Tägliche Anwesenheiten im Büro oder der Produktionsstätte sind nicht mehr erforderlich. Stattdessen lassen sich viele Tätigkeiten auch von zu Hause aus erledigten. Die Arbeit kann, entkoppelt von Raum und Zeit, wesentlich flexibler und damit zumeist auch arbeitnehmerfreundlicher erfolgen.
Andererseits verändert sich auch die Mentalität der potenziellen Mitarbeiter. Bewerber bevorzugen Unternehmen, mit denen sie sich identifizieren können. Persönliche Werte sollen sich in Unternehmenswerten widerspiegeln. Die Generation Z, also die nach 1995 Geborenen, wollen – privat und beruflich – Spaß haben, bevorzugen Strukturen, streben nach Sicherheit und sinnhaften Tätigkeiten. Themen wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Sharing-Ökonomie sind für diese Bewerbergeneration wichtig und erzeugen konkrete Erwartungen an künftige Arbeitgeber.
Die Konsequenz: Das Recruiting muss neue Wege gehen. Stellenangebote auf der unternehmenseigenen Homepage oder in den sozialen Netzwerken zu platzieren, genügt da längst nicht mehr. Kandidaten wollen keine langen Web-Formulare mehr ausfüllen, die relevanten persönlichen Daten sind längst an anderer Stelle, beispielsweise auf Networking-Plattformen wie Xing oder LinkedIn abgelegt. Eine Bewerbung muss so schnell und einfach wie möglich erfolgen; das Unternehmen soll sich bemühen und nicht der Bewerber. Kurzum: New Recruiting beschreibt innovative, unkonventionelle und meistens auch digitale Möglichkeiten zur Mitarbeitergewinnung.
Robot Recruiting: Kandidatenpool ausweiten
Robot Recruiting bedeutet, dass verstärkt Algorithmen und Analyseprogramme zur Bewerbersuche und Kandidatenvorauswahl genutzt werden. Hierdurch lassen sich auch Kandidaten berücksichtigen, die sich gar nicht explizit beworben haben, sondern deren Daten irgendwo im Web, beispielsweise in beruflichen Netzwerken, bereits existieren. Robot Recruiting hilft beim Matching, also dem Abgleich von Kandidaten- und Stellenprofil und erstellt ein Ranking. Für den Recruiter bleibt somit „nur“ noch die endgültige Entscheidung für einen Kandidaten auf Basis der vom Robot erzeugten Vorschläge.
Chatbots im Recruiting können inzwischen viel mehr als Fragen rund um Karriere und Stellenanforderungen zu beantworten. Inzwischen lassen sich mit Hilfe dieser auf Künstlicher Intelligenz basierten Systeme bis zu 90 Prozent aller für eine Bewerbung relevanten Daten in einem natürlich-sprachlichen Dialog mit dem Kandidaten zusammentragen. Weiterer Pluspunkt: Die Bots lernen dazu. So können sie im Laufe der Zeit mehr und mehr Fragen zum Job, Onboarding oder der persönlichen Karriere korrekt beantworten – und sogar Termine für Bewerbungsgespräche vergeben. Bei einem Test von Karriere-Chatbots deutscher Unternehmen zeigen sich allerdings recht schnell die Grenzen dieser Systeme: konkrete Fragen, beispielsweise nach Einstiegsgehältern, beantworten sie nicht und bei mehreren möglichen Einsatzstandorten ignorieren sie den Bewerberwunsch.
Mobile Recruiting: Per Standortsuche zum Job
Bewerben per Smartphone oder Tablet: Das verspricht Mobile Recruiting. Denn durch das mobile Internet sind prinzipiell alle webbasierten E-Recruiting-Formen auch mobil nutzbar. Allerdings sollte die Darstellung an die Displaygrößen von Smartphones beziehungsweise Tablets angepasst sein. Die Standortpositionierung (GPS) mobiler Endgeräte kann auch im Zusammenhang mit Rekrutierung genutzt werden, beispielsweise indem sie einem Nutzer anzeigen, welche Unternehmen im Umkreis aktuell Jobs anbieten.
Mobile Recruiting erleichtert Bewerbern nicht nur den mobilen Zugriff auf Stellenanzeigen, sondern vereinfacht den Bewerbungsprozess insgesamt. Eine umfangreiche Dateneingabe, wie bei webbasierte E-Recruiting-Tools, ist bei mobilen Endgeräten aufgrund der fehlenden physischen Tastatur schwierig. Abhilfe schaffen hier Karriere- und Lebenslaufprofile, wie sie von Nutzern in Business Netzwerken angelegt werden. Per Link lässt dieses Profil an eine vom Smartphone initiierte Bewerbung „anheften“. Noch einfacher funktioniert die „15-Sekunden-Bewerbung“. Hierbei gibt ein Interessent lediglich Vorname, Name, gewünschten Einsatzbereich, E-Mail-Adresse und Mobilfunk-Nummer ein, ferner kann ein Lebenslauf als Dateianhang mitgeschickt werden. Dieses Schnellverfahren ersetzt nicht die traditionelle Bewerbung, ermöglicht aber eine direkte Interessensbekundung auf ein Stellenangebot. Kandidaten erfahren dabei via Push-Benachrichtigung vom Stellenangebot. Auch eine Kombination mit analogen Stellenanzeigen, beispielsweise in Zeitungen oder auf Plakaten ist möglich: Über einen QR-Code ladet der Interessant bei der Anzeige.
Video Recruiting: Unternehmen machen sich schick
Über Video-Plattformen wie Youtube stoßen Stellensuchende auf Recruiting-Videos von Unternehmen, die dadurch ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigern wollen. Im Vordergrund steht eine authentische Darstellung: Die kurzen Clips zeigen „echte“ Mitarbeiter an „echten“ Arbeitsplätzen.
Videotelefonie wird für erste Kennenlerngespräche genutzt. Vorteil: Der Kandidat muss nicht anreisen und hinterlässt dennoch einen persönlichen Eindruck. Videos lassen sich außerdem zur Persönlichkeitsanalyse im Rahmen von Auswahl- und Assessmentprozessen nutzen. Der Bewerber beantwortet bestimmte Fragen, Sprache und Mimik werden aufgezeichnet und ausgewertet. Die Sprache wird in kleinste Einheiten zerlegt und auf linguistische Auffälligkeiten hin untersucht. Dabei geht es nicht um Inhalte, sondern um Sprachkonstruktion, Stimme, Tonlage und Unterbrechungen. Diese sollen Rückschlüsse auf unbewusste Anteile einer Person zulassen. Die Verfahren sind jedoch methodisch wie datenschutzrechtlich umstritten.
Recrutainment und andere Kreativ-Methoden
Recrutainment kombiniert Informationsangebote rund um Bewerbung und Karriere (Recruiting) mit spielerischen, unterhaltsamen Elementen (Entertainment). Hauptsächlich richten sich diese Anwendungen an Schüler und Quereinsteiger, die noch keine konkreten Vorstellungen von den Anforderungen des beworbenen Jobs haben. Bei einem virtuellen Unternehmensrundgang stellt beispielsweise Tchibo verschiedene Abteilungen und Jobmöglichkeiten für Berufseinsteiger vor. In kurzen Video-Sequenzen präsentieren Tchibo-Mitarbeiter, die selbst erst kurz im Unternehmen sind, ihren bisherigen Berufsweg und ihre typischen Aufgaben. In einem Multiple-Choice-Quiz bildet das Modeunternehmen Peek & Cloppenburg typische Situationen im Arbeitsalltag eines Verkäufers ab. Interessierte können sich so einen ersten Eindruck der beruflichen Anforderungen machen. Ein ähnliches Format setzt auch die Commerzbank ein, um für die Berufsausbildung zur Bankkauffrau/-mann zu werben.
In Anlehnung an das Trojanische Pferd versucht das Trojan Recruiting, Jobangebote an Kandidaten zu übermitteln, die bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt sind. Im wohl bekanntesten Beispiel lieferte ein Pizzaservice im Auftrag einer Werbeagentur kostenlose Pizzen an die Mitarbeiter eines Wettbewerbers aus, wobei die Tomatensauce in Form eines QR-Codes auf die Karriereseite der Agentur verwies.
Zum Autor: Wilhelm Mülder ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach und leitet das Institut GEMIT (Geschäftsprozessmanagement und IT).
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