Welche Faktoren sorgen für eine höhere Mitarbeiterfluktuation?
Neben der Förderung der Arbeitgeberattraktivität ist die Mitarbeiterbindung aktuell eines der Topthemen im praktischen Personalmanagement. Dabei gibt es eine Vielzahl von Ratgeberliteratur mit Maßnahmen, wie die aus Arbeitgebersicht nicht gewollte Fluktuation gesenkt werden kann. So nennt beispielsweise Softgarden (2015) fünf Maßnahmen, mit denen Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen gebunden werden können: richtige Führung ("Mitarbeiter kommen wegen des Jobs – und gehen wegen des Chefs"), kreative und fordernde Arbeitsbedingungen, ein attraktives Arbeitsumfeld, flexible Arbeitszeitmodelle und Förder- und Nachwuchsprogramme.
Studien zur Mitarbeiterbindung haben Schwächen
Sofern solche Maßnahmenprogramme empirisch unterlegt sind, beruhen sie auf Beschäftigtenbefragungen wie zum Beispiel dem Gallup Engagement Index, bei denen die Bindung ebenfalls befragungsbasiert als emotionale Bindung oder Kündigungsneigung operationalisiert wird. Diese Studien haben durchaus eine personalwirtschaftliche Berechtigung, weisen aber insbesondere zwei Schwächen auf: Erstens unterstellen sie implizit, dass Unzufriedenheit der einzige Treiber für Unternehmenswechsel ist, und zweitens zielen sie nicht auf die Erklärung der tatsächlichen arbeitnehmerseitigen Kündigungen ab. Während aber – je nach Befragung – bis zu 50 Prozent der Beschäftigten über einen Arbeitgeberwechsel nachdenken, ist der Anteil tatsächlicher Kündigungen deutlich geringer: So liegt die arbeitnehmerseitige Kündigungsquote in den letzten 20 Jahren zwischen circa vier und acht Prozent pro Jahr, wobei die Schwankung im Wesentlichen konjunkturbedingt ist (Erlinghagen, 2017, S. 19 auf Basis der Daten des Sozioökonomischen Panels für Westdeutschland).
Welche Faktoren tragen zu einer Kündigung des Arbeitnehmers bei?
Vor dem Hintergrund der praktischen Relevanz des Themas wollen wir im Folgenden der Frage nachgehen, welche Faktoren arbeitnehmerseitige Kündigungen vorhersagen können. Wir konzentrieren uns wegen der Vielzahl der – weitgehend bekannten – theoretischen Erklärungsansätze auf die empirischen Befunde. Einen aktuellen Überblick zu den über einhundert Jahren Forschung zu dem Thema und den jeweiligen Theorien geben Hom et al. (2017), für eine Diskussion zukünftiger Entwicklungen verweisen wir auf Lee et al. (2017).
Unsere Ausführungen stützen sich hauptsächlich auf eine aktuelle Metaanalyse von Rubenstein et al. (2018), die unter dem Titel "Surveying the forest" eine exzellente Zusammenfassung der empirischen Studien zu freiwilligen Unternehmenswechseln gibt. Die Messung von Unternehmenswechseln ist in diesen Studien in der Regel dichotom, das heißt, entweder man hat das Unternehmen gewechselt (kodiert mit 1) oder eben nicht (kodiert mit 0). Deshalb sind die berichteten Korrelationskoeffizienten sogenannte punktbiseriale Korrelationen, die etwas anders berechnet werden als die häufiger verwendeten Pearson-Korrelationen. In ihrer Aussage sind sie aber ganz vergleichbar. Zu beachten ist weiterhin, dass sich für unsere Fragestellung häufig negative Korrelationskoeffizienten ergeben, da zum Beipiel mehr Gehalt zu weniger Unternehmenswechseln führt.
Viele Einflussfaktoren führen zu einem Unternehmenswechsel
Ein wichtiges Ergebnis ist das sehr breite Spektrum verschiedener Einflussfaktoren. Es gibt also nicht die zwei oder drei Hauptfaktoren für Unternehmenswechsel, sondern ein Mosaik verschiedenster Einflussfaktoren. Wir gehen im Folgenden auf diese verschiedenen Bausteine ein. Dazu berichten wir eine – selbst für unsere Verhältnisse – große Anzahl einzelner Zusammenhänge. Die einfachen Antworten sind manchmal nicht die richtigen, auch wenn sie leichter zu erzählen sind. Wir gruppieren die einzelnen Faktoren ähnlich wie Rubenstein et al. (2018) in ihrer Metaanalyse, ohne näher auf die verschiedenen theoretischen Entwicklungen innerhalb der Forschung zu Unternehmenswechseln einzugehen.
Charakteristika der Mitarbeiter
Als erste Gruppe von Einflussfaktoren betrachten Rubenstein und Kollegen (2018) Charakteristika der Mitarbeiter. Hier zeigt sich für Alter ein erwarteter negativer Effekt: Je höher also das Alter der Mitarbeiter ist, desto geringer ist bei ihnen die Wahrscheinlichkeit, aus eigenen Stücken das Unternehmen zu verlassen. Insgesamt 121 Studien mit in der Summe 209.588 Teilnehmern wurden zur Berechnung dieses Effekts zusammengefasst ( hier gelangen Sie zur entsprechenden Abbildung).
Die insgesamt sehr große Anzahl an Studien spiegelt die zentrale Bedeutung von Unternehmenswechseln in der Personalforschung wider, wodurch die hier berichteten Effekte als sehr belastbar einzuschätzen sind. Der Effekt ist allerdings mit einer Korrelation von r = -0,21 eher schwach bis mittelstark, kann also nur einen kleinen Teil der Unternehmenswechsel vorhersagen.
Jüngere Mitarbeiter haben oft höhere Erwartungen an den Arbeitgeber
Weitere Studien zeigen, dass jüngere Mitarbeiter höhere und teilweise vielleicht sogar überzogene Erwartungen an den Arbeitgeber haben und ihr Glück entsprechend etwas häufiger als ältere Arbeitnehmer bei einem neuen Unternehmen suchen. Ähnlich stark ist mit r = -0,20 der Einfluss von Kindern auf die Bleibewahrscheinlichkeit. Kinder im eigenen Haushalt führen also dazu, eher im Unternehmen zu bleiben. Überraschen mag dagegen die sehr geringe Aussagekraft von Geschlecht und Ausbildung. Frauen und Männer wechseln mit gleicher Wahrscheinlichkeit das Unternehmen und auch eine höhere Ausbildung führt nur zu einer marginal höheren Wechselwahrscheinlichkeit (r = 0,04).
Bei der Forschung zum Einfluss von Persönlichkeit der Mitarbeiter auf deren Wahrscheinlichkeit, das Unternehmen zu wechseln, wurden von vielen Forschern die Big Five als Persönlichkeitsmodell verwendet. In der Meta-Analyse von Rubenstein et al. (2018) ergaben sich für emotionale Stabilität (r = -0,19), Gewissenhaftigkeit (r = -16) und Offenheit für Erfahrungen (r = 0,14) kleine bis mittelstarke Effekte, wogegen die Vorhersagekraft von Verträglichkeit (r = -0,08) und Extraversion (r = 0,02) eher gering ist. Die Persönlichkeit potenzieller Mitarbeiter ließe sich also bei der Personalauswahl als möglicher Prädiktor für Unternehmenswechsel nutzen, in der Summe ist deren Vorhersagekraft aber begrenzt und viele weitere Faktoren spielen eine ähnlich wichtige Rolle.
Charakteristika des Arbeitsplatzes
Neben interindividuellen Unterschieden spielt auch die Gestaltung des Arbeitsplatzes eine relevante Rolle für die Bleibewahrscheinlichkeit der Mitarbeiter. So wechseln Mitarbeiter mit höherem Gehalt und höherer Arbeitsplatzsicherheit seltener das Unternehmen, die Effekte sind allerdings mit r = -0,17 bzw. r = -0,23 weitaus weniger stark als oftmals angenommen. Interessant ist darüber hinaus der negative Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung und Wechselwahrscheinlichkeit (r = -0,10). Mitarbeiter mit einer höheren Arbeitsbelastung verlassen also seltener das Unternehmen. Dies mag überraschen, könnte aber dadurch erklärt werden, dass Mitarbeiter eine überdurchschnittliche Arbeitsbelastung eher als Herausforderung wahrnehmen und es erst bei übermäßiger Belastung in Stress und andere negative Effekte umschlägt.
Insgesamt sind die Effekte des Arbeitsplatzes schwach bis mittelstark, zeigen aber dennoch, dass sich Unternehmenswechsel nicht nur aus genereller Unzufriedenheit mit der Arbeit ableiten lassen, sondern Unternehmen gezielt versuchen können, durch Maßnahmen zur Arbeitsplatzgestaltung der Wechselwahrscheinlichkeit entgegenzuwirken.
Organisationaler Kontext: Unterstützung und Klima wichtig
Bei den Faktoren auf der Unternehmensebene fällt zunächst auf, dass die Organisationsgröße (r = 0,03) wie auch das Prestige der Organisation (r = -0,06) keine große Rolle für die Wechselwahrscheinlichkeit der Mitarbeiter spielen. Wichtiger dagegen sind die wahrgenommene Unterstützung durch die Organisation (r = -0,19) und das Organisationsklima (r = -0,24), beides Faktoren, die vom Unternehmen aktiv gestaltet werden können.
"People don‘t quit their jobs, they quit their bosses", heißt es so oder ähnlich häufig, um die Bedeutung der Führungskräfte für Unternehmenswechsel der Mitarbeiter herauszustellen. Tatsächlich zeigt die Meta-Analyse anhand von 42 Einzelstudien einen kleinen bis mittelstarken Effekt zwischen Führung und freiwilligen Unternehmenswechseln (r = -0,24), kann aber letztlich, anders als das Zitat es suggeriert, nur einen kleinen Teil der Unternehmenswechsel erklären. Sogar noch etwas bedeutsamer ist der Fit zwischen Mitarbeiter und Unternehmen, denn wenn Mitarbeiter eine hohe Passung zwischen sich und dem Unternehmen und dem Job wahrnehmen, verlassen sie seltener das Unternehmen (r = -0,29). Ebenfalls gut untersucht sind die Bedeutung von Beziehungen mit den Kollegen und wahrgenommene Gerechtigkeit, beide mit kleinen bis mittelstarken Effekten (r = -0,14 bzw. r = -0,17).
Arbeitseinstellungen und Verhalten der Mitarbeiter
Die oben diskutierten Charakteristika der Mitarbeiter beinhalten zeitlich stabile Faktoren, die entsprechend teilweise schon bei der Personalauswahl miteinbezogen werden können. Arbeitseinstellungen dagegen sind stärker situationsabhängig. Der stärkste Faktor aus dieser Gruppe sind Kündigungsgedanken, die mit r = 0,56 einen starken Einfluss auf tatsächliche Unternehmenswechsel haben. Der nächste Schritt, die aktive Jobsuche, ist ebenfalls stark mit Unternehmenswechseln korreliert (r = 0,40). Dies mag wenig überraschen, vereinfacht aber die Einordnung der Bedeutung von auf den ersten Blick weniger relevant erscheinenden Einflussfaktoren.
Die beiden bedeutendsten Arbeitseinstellungen sind Arbeitszufriedenheit und organisationales Commitment, welche beide einen mittelstarken negativen Zusammenhang mit der Wechselwahrscheinlichkeit aufweisen (r = -0,28 bzw. r = -0,29). Beide Effekte wurden in jeweils über einhundert Einzelstudien untersucht, stellen somit ein gesichertes Fundament für die Bedeutung von Arbeitseinstellungen dar. Neuer und entsprechend weniger untersucht ist die Bedeutung von Engagement auf die Wechselwahrscheinlichkeit, bei der sich aus den vier in der Meta-Analyse betrachteten Einzelstudien zu diesem Zusammenhang ein Korrelationskoeffizient von r = -0,20 ergibt. Ähnlich bedeutsam ist der von Mitarbeitern wahrgenommene Stress, der mit einem Korrelationskoeffizienten von r = 0,21 zu mehr Unternehmenswechseln führt.
Verlassen leistungsstarke Mitarbeiter das Unternehmen eher?
In der Praxis wird häufig angeführt, dass gerade die leistungsstarken Mitarbeiter das Unternehmen schnell wieder verlassen. Dies zeigt sich in den 86 Studien mit insgesamt fast einer halben Million Mitarbeitern nicht; die Wechselwahrscheinlichkeit ist bei höherer Leistung sogar etwas geringer (r = -0,08). Allerdings dürfte dies eher in der methodischen Schwäche der einfachen Betrachtung von Korrelationen begründet liegen, die grundsätzlich eine lineare Beziehung zwischen Variablen unterstellen.
Bezüglich der Leistung ist jedoch eher ein u-förmiger Verlauf zu vermuten, das heißt, dass besonders leistungsschwache und auch besonders leistungsstarke Mitarbeiter eher kündigen als Beschäftigte mit durchschnittlicher Leistung. Tatsächlich lässt sich dieser u-förmige Verlauf in Einzelstudien nachweisen (Salamin/Hom, 2005; Trevor et al, 1997). Für Fehlzeiten und Verspätungen sind die Ergebnisse dagegen intuitiv: Mitarbeiter mit vielen Fehlzeiten (r = 0,23) und Verspätungen (r = 0,14) verlassen etwas eher das Unternehmen.
Mitarbeiterfluktuation: Zusammenfassung und Fazit
- Die Evidenz zu Einflussfaktoren auf freiwillige Unternehmenswechsel ist umfangreich und zeigt die Bedeutung einer Vielzahl verschiedener Faktoren auf.
- Bei den demografischen Einflussfaktoren zeigt sich, dass ein höheres Alter und Kinder die Wechselwahrscheinlichkeit verringern, wogegen Geschlecht und Ausbildung keinen substanziellen Einfluss haben.
- Gehalt und Arbeitsplatzsicherheit verringern die Wechselwahrscheinlichkeit, jedoch sind diese Effekte beide nicht sehr stark.
- Führung und Fit zwischen Mitarbeiter und Unternehmen haben einen mittleren Effekt auf Unternehmenswechsel.
- Arbeitseinstellungen spielen eine wichtige Rolle für Unternehmenswechsel, hierunter besonders Arbeitszufriedenheit und organisationales Commitment.
Literaturverzeichnis:
Erlinghagen, M. (2017): Langfristige Trends der Arbeitsmarktmobilität, Beschäftigungsstabilität und Beschäftigungssicherheit in Deutschland (No. 2017-05). Duisburger Beiträge zur soziologischen Forschung.
Hom, P. W./Lee, T. W./Shaw, J. D./Hausknecht, J. P. (2017): One hundred years of employee turnover theory and research. Journal of Applied Psychology, 102(3), 530.
Lee, T. W./Hom, P. W./Eberly, M. B./Li, J.J./Mitchell, T. R. (2017): On the next decade of research in voluntary employee turnover. Academy of Management Perspectives, 31(3), 201-221.
Rubenstein, A. L./Eberly, M. B./Lee, T. W./Mitchell, T. R. (2018): Surveying the forest: A meta-analysis, moderator investigation, and future-oriented discussion of the antecedents of voluntary employee turnover. Personnel Psychology, 71(1), 23-65.
Salamin, A./Hom, P. W. (2005): In search of the elusive U-shaped performance-turnover relationship: are high performing Swiss bankers more liable to quit? Journal of Applied Psychology, 90(6), 1204.
Softgarden (2015): Mitarbeiterbindung: Die Top-5-Maßnahmen.
https://www.softgarden.de/blog/mitarbeiterbindung/
Trevor, C. O./Gerhart, B./Boudreau, J. W. (1997): Voluntary turnover and job performance: Curvilinearity and the moderating influences of salary growth and promotions. Journal of Applied Psychology, 82(1), 44.
Erschienen im Wissenschaftsjournal PERSONALquarterly 4/2018.
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