Von Tieren Führung lernen
Früher hat man Führungsqualitäten bei der Bundeswehr erworben. Wer laut genug brüllen konnte, war hinreichend qualifiziert. Die Androhung von 20 Liegestützen hat als Mitarbeiter-Motivation meist schon genügt, und der dezente Hinweis, dass die Kompanie mit Zahnbürsten übers Wochenende den Sanitärbereich schrubben muss, wenn der Hindernisparcours nicht binnen einer bestimmten Zeit überwunden wird, hat wahre Wunder bewirkt. Nach 12 Jahren Offiziers-Dasein ist man in die Wirtschaft gewechselt und hat dort weitergebrüllt. Führung war im Grunde nicht kompliziert …
Führung im agilen Unternehmen
Aber schreien Sie mal Mitarbeiter an, die weit weg im Homeoffice sitzen … Es ist nicht so, dass es die stimmgewaltigen Brüller nicht mehr gäbe. Jedes Großraumbüro kennt den Kollegen (ja, es sind doch eher die Männer, an der Stelle muss nicht gegendert werden), der jedenfalls bei Ortsgesprächen eigentlich kein Telefon bräuchte, weil man ihn im Umkreis von zwei Kilometern auch ohne Telefon noch gut hören würde. Aber die Zeiten sind vorbei, in denen das noch gereicht hat, um subalterne Niedriglohngruppen durch die Werkshalle zu scheuchen. Und wenn nicht, geht es meistens nicht gut aus. "Strenge Hierarchien führten Volkswagen in den Abgas-Skandal", lautete später die Analyse.
Aber wie führt man denn dann heutzutage? Die agilen Mitarbeiter haben unablässig Sprint-Reviews, Retro-Sitzungen und Planning-Sessions. Und dazwischen soll man nicht stören. Um von Zeit zu Zeit zu beweisen, dass man als Führungskraft noch existiert, muss man sich ins Daily einladen lassen ...
Wertvolle Ratgeber helfen
Kein Wunder also, dass die Führungskräfte auf der Suche nach neuen Wegen sind. Und welch Glück, dass es an guter Literatur zu moderner Führung nicht mangelt!
Erst unlängst habe ich wieder ein Rezensionsexemplar auf den Tisch bekommen: "Leadership ohne Leine. Was Führungskräfte von Hunden lernen können" - Vom Wau-Effekt zum Wow-Effekt.
Von Hunden lernen? Ein Blick aus dem Fenster zeigt, wie weit Hunde uns mit ihren Führungsqualitäten bereits enteilt sind. Von zehn Spaziergängern, die ich dort mit Hund vorbeigehen sehe, zieht bei acht der Hund den Menschen hinterher und nicht umgekehrt. Es scheint also was dran zu sein an den Leadershipkompetenzen unserer Vierbeiner. Aber unternehmen Sie nicht den Versuch, sich von Ihrem eigenen Hund - oder dem eines Nachbarn, falls Sie zu den wenigen Menschen gehören, die nach anderthalb Jahren Pandemie noch immer keinen Hund haben - etwas abgucken zu wollen. Nein. Wo denken Sie hin? Führungscoaching funktioniert natürlich nur mit echten "Leadership Dogs®"!
Die Zügel in die Hand nehmen
Das sind diese Momente, in denen man überlegt, ob jetzt alle anderen irre sind, oder man selbst. Mir passiert das in letzter Zeit häufiger ...
Kaum lege ich das Wau-Buch zur Seite, kommt der nächste Vorschlag ins Haus: "Nimm die Zügel in die Hand: Fünf Gründe, wieso das pferdegestützte Coaching wirklich sinnvoll ist."
Wie jetzt? Hund oder Pferd? Das Ziel eines pferdegestützten Coachings ist es, als Führungskraft ein ehrliches Feedback zu bekommen, lese ich da. Ich bin gelegentlich auf einem Pferdehof. Nein. Nicht um mir Feedback abzuholen. Ich habe eine Tochter, da sind Pferdehöfe quasi unvermeidbar. Mich glotzt das normale Ross immer nur teilnahmslos an (vielleicht auch eine Art von Feedback), nur das Pferd, auf dem meine Tochter reitet, sabbert mich jedes Mal gierig voll, weil ich dereinst den Fehler gemacht habe, mich mittels Pferdeleckerli mit ihm anfreunden zu wollen. Was man auf dem Pferdehof lernen kann? Mit wacher Beobachtungsgabe und einer guten Nase wird die ein oder andere Führungskraft wertvolle Parallelen zum eigenen Unternehmen entdecken: Dass sich auch durch klügste Reorganisation aller Prozesse nicht verhindern lässt, dass das, was am Ende hinten rauskommt, oft ...
Aber Führungsqualitäten? Stehen sechs Pferde gemeinsam im Offenstall und bilden damit quasi eine Herde, verklopfen sie sich so lange gegenseitig, bis die Rangordnung klar geregelt ist. Ich bin mir unsicher, ob ich von Führungskräften geführt werden möchte, die sich ihr Führungsverhalten von Pferden abgeguckt haben ...
Teamwork statt straffe Hierarchie
Aber lassen wir Hund und Pferd beiseite. Die Tierwelt hat weitaus mehr zu bieten: Entdecke den Mungo in Dir! Vom Zwergmungo kann man "Führungskultur" lernen, lese ich. Bei den Mungos (nicht Mangos! Googeln Sie im Bedarfsfall den Unterschied!) stehen alle Gruppenmitglieder füreinander ein, im Mittelpunkt steht die Konzentration auf gemeinsame Aufgaben (Kobras bekämpfen), die oft schwierig sind. Rangkämpfe sind weitestgehend unbekannt. Mungos halten untereinander stets zusammen, ohne eine Hierarchie zu kennen. Das scheint mir die passende Tierart für die Verfechter der These zu sein, dass das mittlere Management im Grunde überflüssig ist ...
Gnadenlos auf dem Weg nach oben
Da sollten sich Unternehmen mit Meerschweinchen-Kultur mal fragen, ob nicht mehr Mungo möglich wäre ... Meerschweinchen-Kultur? Kennen Sie nicht? Nein, das ist keine Ertragssteigerungs-Strategie und hat nichts damit zu tun, zwei in einen Käfig zu stecken und nach einem halben Jahr bereits 23 zu haben ... Meerschweinchen beißen sich gnadenlos nach oben. Sie gehen keinem Kampf aus dem Weg, um sich an die Spitze der Gruppe zu setzen. Das bedeutet aber auch: Meerschweinchen-Chefs können sich nicht lange halten. Ihre Amtszeit verkürzt sich mit jedem machtbewussten Tier in der Gruppe. Nicht selten stirbt der Gewinner der Machtkämpfe an stressbedingten Herzversagen - und die Kämpfe beginnen wieder von vorn.
Gutes Aussehen kann entscheidend sein
Löwen sind perfekt im Delegieren unliebsamer Arbeit, Delfine raffiniert im Eingehen strategischer Allianzen und Piranhas vorbildlich in Teamarbeit und Ressourcenmanagement. Ratten sitzen in der Effizienzfalle, Vampire spenden sich kollegial Blut, Parasiten haben eine große Autonomie und sind kaum zu kontrollieren (wer pocht immer so auf seine Autonomie? Waren das nicht die Kollegen von Forschung und Entwicklung???) und Stichlinge folgen einfach dem bestaussehendsten Mitglied ihres Schwarms.
Das nächste Buch, das mir weismachen möchte, mein Vorgesetzter könnte von einer Tüpfelhyäne noch etwas lernen, werfe ich direkt zum Fenster hinaus. Ich mache jetzt Schluss hier. Ich muss zu meinem Chef. Redaktionsmeeting. Wir heulen gemeinsam den Mond an ...
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