64 Millionen Lernende hat der Online-Lernmarktplatz Udemy auf seiner Seite. Jahr für Jahr wachse die Zahl der Menschen und Unternehmen, die die dort angebotenen Videokurse und anderen Lernformate nutzen, um bestimmte Kompetenzen mit oder ohne Zertifikat zu erwerben, schreibt das Unternehmen in seinem kürzlich erschienenen Global Learning Skills Trends Report für das Jahr 2024. Nicht nur bei Udemy freut man sich auf weiteres Wachstum, auch andere Online-Plattformen von Linkedin Learning und edX über Coursera, Skillshare oder Uplimit machen ihr Geschäft damit, dass sich Berufsbilder immer schneller verändern und ständig neue Kompetenzen erworben werden müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Zertifikate statt Berufsausbildung?
Als ich im vergangenen Herbst die Gelegenheit hatte, den CEO von Coursera, Jeff Maggioncalda, zu interviewen, war ich zunächst skeptisch. Maggioncalda sprach davon, dass es für junge Menschen, die Karriere machen wollen, immer attraktiver werde, auf eine Berufsausbildung oder ein Studium zu verzichten und stattdessen einfach einen berufsbegleitenden Zertifikatskurs zu absolvieren. Natürlich auch auf der Plattform, die er leitet. Zwei wichtige Gründe seien dafür ausschlaggebend: Zum einen die Möglichkeit, auch ohne tolle Ausbildung mit einem Zertifikat beruflich voranzukommen und mehr Geld zu verdienen als beispielsweise mit einem Job als Verkäufer oder Handwerker. Zum anderen die Tatsache, dass es in einem Unternehmen längst nicht mehr um Abschlüsse geht, sondern um Kompetenzen, die zudem immer schneller erneuert werden müssen.
Das hat sich der smarte CEO nicht aus den Fingern gesogen, sondern dahinter stehen natürlich auch harte Fakten. So prognostiziert Gartner bereits für das Jahr 2020, dass die Anzahl der Kompetenzen, die für einen einzelnen Job benötigt werden, im Vergleich zum Vorjahr um 10 Prozent steigen wird und mehr als 30 Prozent der Kompetenzen, die noch vor drei Jahren benötigt wurden, schon bald irrelevant sein werden. Möglicherweise wird sich dieses Tempo noch beschleunigen, denn das war vor dem Zeitalter der generativen KI, in das wir mit ChatGPT eingetreten sind und das die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung noch einmal erhöht hat. Unternehmen entwickeln sich zu kompetenzbasierten Organisationen, in denen formale Qualifikationen oder Abschlüsse für bestimmte Positionen relevant sein können, während in anderen Fällen Kompetenzen und Erfahrung im Vordergrund stehen.
Zertifikatskurse und Learning Management Systeme für jede Branche
Woher bekommt man also die notwendigen Kompetenzen, ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, die im Unternehmen vorhandenen Kompetenzen zu erneuern und zu erweitern? Solange sie nicht unternehmensspezifisch sind, kauft man sie ein. Die meisten Anbieter von Zertifikaten, von Amazon über Google und Microsoft bis hin zu IBM oder SAP, arbeiten längst mit mehr als einer Online-Plattform zusammen. Zertifikatskurse schießen wie Pilze aus dem Boden, die ganz oder zumindest teilweise online durchgeführt werden.
Die Online-Lernplattformen haben sich längst darauf eingestellt und bieten spezielle Angebote für Geschäftskunden an, die direkt in das eigene Learning Management System integriert oder direkt auf der Online-Plattform administriert werden können. Selbst für das Talentmanagement und die interne Mobilität gibt es mittlerweile Lösungen der Online-Lernplattformen. Ein Riesengeschäft für alle Anbieter - und viele springen auf den Zug auf. Nicht alle Angebote halten, was sie versprechen. Das war schon immer so und wird auch so bleiben.
Geht das wieder weg? Wohl kaum. Wir werden uns technisch nicht zurückentwickeln, das will auch niemand. Es geht vielmehr darum, und das gilt für alle Berufe, das lebenslange Lernen endlich ernst zu nehmen, die Chancen zu sehen und zu nutzen. Denn auch das ist eine Tatsache: Noch nie war das Angebot, sich online weiterzubilden, so groß und die Einstiegshürde so niedrig wie heute. "No degree or experience required" heißt es beispielsweise in der Ankündigung eines Zertifikatskurses zu Google Data Analytics. Und das ist doch mal eine gute Nachricht für dieses Jahr.
Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Zeitschrift "personalmagazin - neues lernen" die Trends auf dem E-Learning-Markt.