Online-Plattform für E-Learning: CEO Coursera im Interview

Ein Google-Zertifikat als Projektmanager oder doch lieber einen Master of Science der University of Boulder in Colorado: das Angebot des Online-Lernmarktplatzes Coursera ist vielfältig. Das jährliche Wachstum von 20 Prozent soll weiter ausgebaut werden. Wie das gelingen soll, verrieten Coursera-CEO Jeff Maggioncalda und Lukas Lewandowski, Regional Director DACH, im Interview mit "Personalmagazin neues lernen".

Gegründet 2012 vom damaligen Stanford-Professor Andrew Ng und seiner Kollegin Daphne Koller, gibt es von Coursera mittlerweile ein Angebot für Privatkunden, Geschäftskunden und öffentliche Einrichtungen. Es setzt sich zusammen aus Kursen großer Universitäten aus aller Welt und von Partnern wie Google, SAP oder IBM. Nach offiziellen Angaben wird Coursera derzeit von mehr als 1,7 Millionen Lernenden und 200 Unternehmenskunden in Deutschland genutzt.

Personalmagazin neues lernen: Welche Strategien verfolgt Coursera, um die Bildungsbedürfnisse des deutschen Marktes zu befriedigen?

Jeff Maggioncalda: Wir legen großen Wert auf die Qualität unserer Kurse und deren Anpassung an lokale Bedürfnisse. Mit der Einführung von Übersetzungen und der Entwicklung maßgeschneiderter Inhalte, wie unserem SAP-Kurs, gehen wir auf die spezifischen Bedürfnisse des deutschen Marktes ein. Darüber hinaus bieten wir Kurse zu wichtigen Soft Skills wie Konfliktmanagement und Teamführung an.

Auf die Qualität kommt es an - nicht nur in Deutschland

Personalmagazin neues lernen: Was ist die Stärke von Coursera?

Jeff Maggioncalda: Für jedes deutsche Unternehmen, mit dem ich gesprochen habe, steht Qualität an erster Stelle. Qualität ist Teil der deutschen Kultur und Qualität ist einer der Gründe, warum deutsche Autos so gut sind. Qualität ist also einer der Gründe, warum wir für deutsche Unternehmen so attraktiv sind. Zwei weitere Gründe sind, dass wir versuchen, von unseren Kunden zu lernen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Denn wo wir bisher nicht so attraktiv waren, ist die Sprache.

Lukas Lewandowski: In der jüngeren Vergangenheit kamen mittelständische Unternehmen auf uns zu und baten uns um ein Angebot. Wir sind nicht ins Geschäft gekommen, weil wir nur wenige übersetzte Kurse hatten und ein Großteil der Mitarbeiter dieser potenziellen Kunden nicht wirklich gut genug Englisch spricht, um es zu lernen. Die übersetzten Inhalte sind also ein Gamechanger für uns. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Entwicklung von Inhalten. Vor etwa einem Jahr haben wir unseren ersten SAP-Kurs auf die Plattform gestellt. Das war ein großer Erfolg. Zusammenfassend kann man sagen, dass es auf die Qualität der Lieferung und die Qualität der Inhalte ankommt.

Personalmagazin neues lernen: Bisher war Coursera vor allem ein Online-Marktplatz mit vielen Kursen, jetzt bieten Sie ein eigenes Autorentool an, das derzeit in der Beta-Version verfügbar ist. Wie funktioniert das?

Jeff Maggioncalda setzt sich an seinen Computer und loggt sich in seinen Coursera-Account ein. Er tippt eine Kursbeschreibung zum Thema Konfliktmanagement für Teamleiter ein, gibt die Lernziele an, die gewünschte Kursdauer und die Zielgruppe, an die sich der Kurs richtet. Er lädt ein eigenes Video hoch und lässt die KI im Coursera-Angebot nach Videos suchen, die ebenfalls zum Thema passen. Das System erstellt daraufhin einen Entwurf des Kurses, der aber an diesem Morgen noch nicht zu sehen ist. Das Internet ist zu langsam. Dafür hat Maggioncalda vorgesorgt.

Jeff Maggioncalda: Ich zeige Ihnen einen Kurs, den ich mit dem Course Builder erstellt habe. Es geht um Coaching und Feedback für Manager bei Coursera. Das System hat anhand der Kursbeschreibung automatisch einen Kurs erstellt, der aus drei Modulen besteht: Coaching und Feedback verstehen, Coaching und Feedback umsetzen, Fortgeschrittene Coaching- und Feedbacktechniken. Für jedes dieser Module wurde eine Beschreibung erstellt, die Lernziele automatisch generiert und Videos ausgewählt. Hier unter anderem von der University of California, Davis, der Universität Barcelona und der University of Minnesota. In der Vorschau werden die Kurse in Clips zerlegt und können zu einem neuen Kurs zusammengestellt werden. Die ausgewählten Videos werden automatisch in den Kurs importiert. Ebenso automatisch werden Evaluationsfragen generiert, die auf den Lernzielen basieren.

E-Learning individuell zusammenstellen

neues lernen: Wer den Course Builder nutzt, hat also automatisch Zugang zu allen angebotenen Kursen?

Maggioncalda: In der Tat kann ich mir alle Coursera-Kurse ansehen und entscheiden, welche Elemente eines Kurses ich in meinem eigenen Kurs verwenden möchte. Die Grundidee ist, dass ich einen Kurs zusammenstellen kann, ohne ihn von Grund auf neu erstellen zu müssen.

Lewandowski: Auf diese Weise kann man individuelle Kurse erstellen und dabei die Fülle und Qualität der Inhalte von Coursera nutzen. Derzeit haben wir 20 Kunden, die das Tool in der Pilotphase nutzen können.

neues lernen: Mit welchen Anbietern konkurriert Coursera auf dem europäischen und deutschen Markt?

Maggioncalda: Sowohl im Consumer- als auch im Business-Segment treffen wir am häufigsten auf Udemy, Linkedin Learning und EDX, aber Coursera unterscheidet sich durch die Qualität unserer Inhalte und auch durch unsere neuen Entwicklungen wie die Integration von generativer KI, zum Beispiel in unserem virtuellen Lernassistenten oder dem ChatGPT-Plugin. KI macht schlechte Inhalte nicht automatisch besser, deshalb sind qualitativ hochwertige Inhalte so wichtig. Die Qualität der Inhalte, der Dozenten und die globale Reichweite sind nach wie vor unsere wichtigsten Unterscheidungsmerkmale.

KI birgt großes Potenzial beim Lernen

neues lernen: Sie haben den virtuellen Lernassistenten erwähnt, der den Lernenden helfen soll, indem er innerhalb eines Kurses in ihrer Muttersprache personalisiertes Feedback gibt, Fragen beantwortet oder Videolektionen und andere Inhalte zusammenfasst und so die Rolle des persönlichen Lehrers übernimmt. Was halten Sie von virtuellem Coaching über ChatGPT?

Maggioncalda: Wenn man ChatGPT in den richtigen Kontext stellt und in einer bestimmten Situation um Coaching bittet, können Inhalt und Interaktivität sehr gut sein.

Um das zu beweisen, loggt sich der CEO von Coursera über VPN in sein Firmenkonto ein. Da Coursera über die Partnerschaft mit Open AI die KI auch intern nutzt, lädt er die Beschreibung des Coursera-Geschäftsmodells hoch, ein 400-seitiges PDF-Dokument. Maggioncalda erstellt eine imaginäre Coaching-Situation und verwendet als Eingabeaufforderung (Prompt) ein Flipped Interaction Pattern. Statt nach Antworten zu fragen, wird das System aufgefordert, so viele Fragen zu stellen, bis es selbst eine Antwort auf die zuvor beschriebene Herausforderung findet. So entsteht auf Basis der hochgeladenen Dokumente ein Dialog zwischen der KI und dem Nutzer, der auf Nachfrage schließlich zu Tipps führt, wie die Herausforderung gelöst werden kann. Damit wird das System sehr konkret. In diesem Fall, bei dem es um einen Teamkonflikt geht, schlägt das System beispielsweise vor, bei der nächsten Mitarbeiterbesprechung konstruktives Feedback zu geben, das Team zu ermutigen, mit gutem Beispiel voranzugehen und über sich selbst in der ersten Person zu sprechen.

neues lernen: Welche Einsatzszenarien und Potenziale sehen Sie darüber hinaus für KI in der Personal- und Führungskräfteentwicklung?

Maggioncalda: Man kann dem System zum Beispiel Informationen über den persönlichen Entwicklungsplan geben und ihn mit den aktuellen Herausforderungen abgleichen lassen. Derzeit funktioniert unser virtueller Lernassistent nur innerhalb eines Kurses. Aber wir arbeiten daran, diesen Lernassistenten mit dem ChatGPT-Plugin auf eine höhere Ebene zu heben, so dass er auf der gesamten Plattform genutzt werden kann, um zum Beispiel einen persönlichen Lernpfad mit der passenden Kursauswahl vorzuschlagen und bei der Karriereplanung zu helfen.

neues lernen: Coursera wirbt derzeit vor allem mit Großkunden wie Volkswagen oder Deutsche Post/DHL. Wie entwickelt sich das Geschäft mit kleinen und mittelständischen Unternehmen?

Lewandowski: Gerade in diesem Jahr konnten wir viele mittelständische und kleinere Unternehmen als Kunden gewinnen. Wir führen das auch darauf zurück, dass wir jetzt übersetzte Kurse anbieten können.

Maggioncalda: Wir stellen zunehmend fest, dass gerade in technischen Berufen unsere beruflichen Zertifikate eine Alternative darstellen, um die interne Mobilität von Talenten zu fördern und Mitarbeiter umzuschulen und neu zu gruppieren. Wenn man diese Talente im Unternehmen hat und kennt, will man sie nicht loswerden. Im Gegenteil, man möchte, dass sie weiterhin für das Unternehmen arbeiten.

Skill Management mit KI vorantreiben

neues lernen: Ein sehr aktuelles Thema in diesem Zusammenhang sind Kompetenzen, Skills und Skill Management. Die großen Lernplattformen bieten solche Tools als Ergänzung an und es gibt viele kleine Start-ups in diesem Bereich.

Maggioncalda: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir für so etwas auch KI einsetzen. Denn die generative KI ist sehr gut darin, semantische Bedeutungen zu verstehen. Das ist sehr nützlich, um zum Beispiel Skill-Taxonomien abzugleichen und zu matchen.

neues lernen: Welche künftigen Entwicklungen können wir von Coursera in Bezug auf neue Technologien oder Bildungsansätze in den nächsten Jahren erwarten?

Maggioncalda: Wir planen, unsere Plattform durch die Einführung neuer Technologien und Lehransätze weiterzuentwickeln. Dazu gehört die Erweiterung unserer KI-Fähigkeiten, die Verbesserung des Nutzererlebnisses und die Bereitstellung von Kursen, die den sich ständig ändernden Anforderungen des globalen Arbeitsmarktes gerecht werden.


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