Die Zukunft des Corporate Learnings
Es begegnen uns immer mehr neue Formen und Methoden des Arbeitens – New Work, Vernetzung, Komplexität, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Agilität und Selbstorganisation sind die einschlägigen Stichworte. Dies erfordert erweiterte Kompetenzen und neue, sie begründende Werte: Soft-Skills. Pauken und Auswendiglernen auf Vorrat hilft dabei wenig, ein zukunftsweisendes Lernen – "Future Learning" – ist erforderlich. Die "Future of Work Trends for 2024" des internationalen Forschungs- und Beratungsunternehmens Gartner zeigen unter anderem folgende Konsequenzen aktueller Entwicklungen in der Arbeitswelt:
- Viele Arbeitnehmende wollen dauerhaft in einer hybriden Arbeitsumgebung mit Homeoffice arbeiten,
- generative künstliche Intelligenz (KI) erweitert die Chancen im Arbeitsprozess,
- die generative KI wird aber auch oftmals zu schmerzhaften Enttäuschungen und hohen Kosten führen, sodass ein aktives Risikomanagement mit geeigneten Entwicklungsmaßnahmen erforderlich wird,
- formelle Bildungsabschlüsse verlieren an Bedeutung, sodass die Einschätzung und gezielte Entwicklung von Werten und Kompetenzen immer wichtiger wird,
- traditionelle Karrierewege verlieren an Bedeutung, dafür werden flexible Zeitmodelle, Teilzeitarbeit, Jobsharing, freiberufliche Arbeit oder Jobrotation wichtiger,
- es ist eine Organisationskultur erforderlich, die durch Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion geprägt ist.
In Zukunft werden deshalb in den Organisationen Fähigkeiten benötigt, sich in vernetzten Lebens- und Arbeitswelten zu bewegen, in denen man die konkreten Formen und die damit verbundenen Herausforderungen heute noch gar nicht kennt. Es gilt, mit den neuen Risiken von New Work umzugehen, indem die Mitarbeitenden dafür die erforderliche Haltung und die notwendigen Handlungsfähigkeiten selbstorganisiert entwickeln.
Paradigmenwechsel im Corporate Learning
"Future Learning" bedeutet deshalb eine Abkehr vom Vorratslernen auf Basis von wissens- und qualifikationsbezogenen Curricula und die eigenverantwortliche Entwicklung individueller Entwicklungsziele für Werte und Kompetenzen. Die explosionsartige Verbreitung der künstlichen Intelligenz hat dazu geführt, dass das Zeitalter der Suchmaschinen sich zur Ära der Antwortmaschinen mit erheblich gesenkten Eintrittsbarrieren für die Nutzung von Computern, insbesondere auch im Lernprozess, wandelt. Die wesentliche Bedeutung der KI im Lernen liegt dabei jedoch nicht in der Optimierung von formellen Lehrkonzepten, deren skandalös niedrige Effektivität im Hinblick auf die Anwendungen in der Praxis hinlänglich bekannt sind, sondern in der Initiierung und Ermöglichung einer grundlegenden Veränderung der Lernkonzepte und der Lernkultur. Ein Paradigmenwechsel ist erforderlich:
Selbstorganisierte Lernplanung
Auf Basis von Werte- und Kompetenzerfassungen entwickelt die KI im Rahmen des Reporting Vorschläge für die Personalauswahl sowie für individuelle Lernziele und leitet daraus adaptive, personalisierte Lernpfade im Praxisprozess und in formellen Lernmaßnahmen ab, die der Mitarbeitende eigenverantwortlich anpasst und selbstorganisiert umsetzt.
Selbstorganisiertes, kollaboratives Arbeiten und Lernen
Mit KI-basiertem Skillmapping ist es möglich, Transparenz über die aktuellen Werte und Kompetenzen sowie deren voraussichtliche Entwicklung in der Organisation zu schaffen und gezieltes Skillmanagement zu gestalten. Die Lernenden können Lernpartnerinnen und Lernpartner sowie Expertinnen und Experten mit der passenden Haltung und den erforderlichen Kompetenzen identifizieren, um mit ihnen selbstorganisiert kollaborative Lösungen zu entwickeln.
Selbstorganisierter Wissensaufbau "On Demand"
Mithilfe der KI können zeitnah in allen erforderlichen Sprachen und zu wirtschaftlichen Bedingungen medial gestaltete Lernprogramme und User-generated Content entwickelt werden. Die KI entwickelt daraus für die Lernenden Lösungsvorschläge für Problemstellungen in der Praxis. KI-basierte Lernvideos mit Avataren, Podcasts, Simulationen sowie kuratierte Inhalte, Augmented- und Virtual-Reality-Lösungen fördern das eigenverantwortliche Lernen.
Personalisierte Begleitung selbstorganisierter Lernprozesse
KI-basierte, virtuelle Assistenten ergänzen die menschliche Lernbegleitung und ermöglichen Echtzeit-Feedback und -Unterstützung auch bei komplexen Herausforderungen in selbstorganisierten Lernprozessen, und das mit unendlicher Geduld sowie unter Berücksichtigung emotionaler Aspekte.
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Future Learning heißt selbstorganisiertes Lernen
In Trainings- oder seminaristischen Weiterbildungsmaßnahmen können keine Werte und Kompetenzen aufgebaut werden, da sie niemals die emotionalen Herausforderungen, denen zum Beispiel Kundenberaterinnen oder Kundenberater in schwierigen Beratungsgesprächen begegnen, widerspiegeln. Die selbstorganisierte Entwicklung von Werten und Kompetenzen setzt vielmehr eine emotionale Berührung voraus, indem die Lernenden reale Herausforderungen zu bewältigen haben.
Haltung und Handeln kann man nur selbsthandelnd in der Praxis erlernen.
Der Aufbau von Kompetenzen und die Verinnerlichung der erforderlichen Werte erfolgt deshalb vor allem selbstorganisiert in realen Herausforderungen, insbesondere in Arbeitsprozessen oder in herausfordernden Praxisprojekten. Aus dieser Erkenntnis heraus hat sich die Ermöglichungsdidaktik entwickelt. Ermöglichungsdidaktik hat zum Ziel, den Mitarbeitenden alles an die Hand zu geben, damit sie ihre personalisierten Entwicklungsprozesse problemorientiert und selbstorganisiert gestalten können. Es geht also nicht mehr darum, den Mitarbeitenden einen vorgegebenen Inhalt zu vermitteln, vielmehr sollen sie in ihren Praxisaufgaben eigene Erfahrungen sammeln und Autonomie erleben. Die Ermöglichungsdidaktik ist damit die pragmatische Antwort auf die wirtschafts- und bildungspolitisch propagierte Forderung nach lebenslangem Lernen und damit auch für agile Entwicklungskonzeptionen.
Ermöglichungsraum für selbstorganisiertes Lernen – Learning Experience Platform (LXP)
Selbstorganisierte Werte- und Kompetenzentwicklung ist nur ermöglichungsdidaktisch realisierbar, braucht also einen passenden Ermöglichungsraum, der konsequent aus dem Blickwinkel der Lernenden gestaltet ist und ihrer Individualität und Eigenverantwortung Rechnung trägt.
Learning-Experience-Plattform funktioniert lernerzentriert
Eine Learning-Experience-Plattform (LXP) ist eine KI-gesteuerte Lern- und Arbeitsumgebung, die konsequent aus dem Blickwinkel der Mitarbeitenden gestaltet wird und personalisierte, selbstorganisierte Lernerlebnisse ermöglicht. Die LXP verknüpft vielfältige Funktionen miteinander, kuratiert Inhalte sowie Tools aus unterschiedlichen Quellen und ist über alle gängigen Endgeräte nutzbar. Die Elemente der LXP leiten sich aus der didaktisch-methodischen und inhaltlichen Konzeption ab, die wiederum durch den Purpose, das heißt die Vision und Mission der Organisation, sowie die Kultur bestimmt wird. Mit einem lernerzentrierten E-Portfolio dokumentiert jede Lernende ihre persönliche Daten (Ausbildung, Weiterbildung, Erfahrungen, eventuell Hobbys et cetera) und ihre individuelle Lernkarriere.
Im Bereich der selbstorganisierten Lernplanung werden alle Instrumente zur Verfügung gestellt, die für die selbstorganisierte Lernplanung der Mitarbeitenden erforderlich sind. Dies umfasst insbesondere die gezielte, funktionsbezogene Entwicklung von Werte- und Kompetenzmodellen sowie die Werte- und Kompetenzdiagnostik auf allen Ebenen der Organisation. Die Erfassung, Analyse und Bewertung der Werte und Kompetenzen ermöglicht die individuelle Ableitung individueller und teambezogener Entwicklungsziele und die Gestaltung adaptiver Lernpfade durch die Mitarbeitenden.
LXP erlaubt systematisches Lernen und kuratierte Problemlösung
Kollaboratives Arbeiten und Lernen sowie die Kommunikation und Netzwerkbildung werden durch vielfältige Tools, zum Beispiel zur Identifikation von Lernpartnern und Experten mittels KI-basiertem Skill-Mapping ermöglicht. Das formelle Wissen und Erfahrungswissen wird in einer modularisierten Content-Datenbank zum systematischen Lernen, aber insbesondere auch zur gezielten Nutzung mittels kuratierter Problemlösungen zur Verfügung gestellt. Die Lernenden werden durch die KI dabei unterstützt, eigene Inhalte, Erfahrungen in der Praxis oder in Projekten aufzubereiten und gemeinsam mit Lernpartnern weiterzuentwickeln. Vielfältige innovative Tools, wie zum Beispiel Virtual Speech Trainer, Social Video Tools oder Reflexionstools, aber auch Lernlösungen mit Virtual und Augmented Reality, runden diese Lösungen ab.
Die menschliche Lernbegleitung wird durch KI-basierte Virtuelle Assistenten ergänzt werden. Diese unterstützen die Lerner beispielsweise bei der Lernplanung, bei der Bildung von Lerngruppen, durch die Bereitstellung kuratierten Wissens und insbesondere durch laufende Rückmeldungen zu Fragen, Lernerfolgen oder Lösungsvorschlägen.
Social Blended Learning: vom fremdgesteuerten zum selbstorganisierten Lernen am Workplace
Im Regelfall sind die Mitarbeitenden in einer Lernwelt sozialisiert worden, die durch Fremdsteuerung geprägt ist. Deshalb muss den Mitarbeitenden der Wandel zum selbstorganisierten, kollaborativen Lernen professionell begleitet ermöglicht werden. Social Blended Learning verknüpft Workshops mit selbstorganisierten, agilen Selbstlernphasen im Rahmen von Praxisaufgaben oder Praxisprojekten. Während in "klassischen" Blended-Learning-Arrangements die Lernprozesse durch Curricula bestimmt werden, gestalten nunmehr alle Teilnehmenden ihre Lernprozesse selbstorganisiert. In einem Entwicklungsgespräch mit ihrer Führungskraft erörtern sie dann ihre Möglichkeiten zu deren gezielten Entwicklung im Arbeitsprozess und treffen dafür verbindliche Vereinbarungen. Damit werden die Lernenden jeweils bei ihren aktuellen Herausforderungen abgeholt, sodass in der Regel auch eine sehr hohe und nachhaltige Lernmotivation zu erwarten ist.
Im Kick-off wird von Anfang an eine Lernkultur gefördert, die durch hohe Verbindlichkeit der Lernplanung sowie gegenseitige Unterstützung über Lernpartnerschaften, Lerngruppen und Projekttagebücher sowie eine professionelle Lernbegleitung geprägt ist. Die Mitarbeitenden organisieren ihren personalisierten Lernprozess innerhalb ihrer Praxisaufgaben selbst. Dabei werden sie von ihren Lernpartnern oder Lernpartnerinnen (Co-Coaching), der Lerngruppe (kollegiale Beratung), einem Lernbegleitenden (Coaching), dem Virtuellen Assistenten und der jeweiligen Führungskraft (Mentoring) unterstützt.
Im Abschluss-Workshop stellen die Mitarbeitenden ihre Praxis- beziehungsweise Projektergebnisse zur Diskussion und erhalten eine Bewertung der Performance. Der Abschluss-Workshop bildet dabei nicht das Ende des Entwicklungsprozesses, sondern die Schnittstelle zum darauffolgenden selbstorganisierten Werte- und Kompetenzaufbau in der Praxis, am "Workplace". Social Workplace Learning findet laufend selbstorganisiert im Prozess der Arbeit und im Netz statt, wenn herausfordernde Problemstellungen zu bearbeiten sind. Nach und nach werden Arbeiten und Lernen zusammengeführt. Insbesondere der Megatrend Digitalisierung verändert die Arbeitswelten, die Unternehmens- und Wissenskulturen und die dazugehörigen Führungsverständnisse. Die Personalentwicklung wandelt sich entsprechend.
Kultur des selbstorganisierten Lernens schaffen
Die Personalentwicklung entwickelt sich zu einem Werte- und Kompetenzmanagement, das es den Teams und Mitarbeitenden ermöglicht, ihre Werte und Kompetenzen selbstorganisiert im Arbeitsprozess und im Netz aufzubauen. Es wird zukünftig nicht mehr dann gelernt, wenn zufällig eine Weiterbildungsmaßnahme angeboten wird, sondern wenn Herausforderungen im Arbeitsprozess zu bewältigen sind.
Die Unternehmen stehen dabei vor der Herausforderung, dass in der Regel die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen keine nennenswerten Erfahrungen mit selbstorganisierten Lernprozessen besitzt. Deshalb ist ein gezielter, strukturierter Veränderungsprozess erforderlich, der es ermöglicht, eine Kultur des selbstorganisierten Arbeitens und Lernens zu schaffen.
Strategieorientiertes Werte- und Kompetenzmanagement zielt darauf ab, die Entwicklung der Werte und der Kompetenzen der gesamten Mitarbeiterschaft und aller Teams im Hinblick auf ihre aktuellen und erst recht ihrer zukünftigen Herausforderungen im täglichen Arbeitsprozess zu ermöglichen, um die geforderte Performance der gesamten Organisation zu erhöhen.
Future Learning nach und nach einführen
Häufig scheuen sich die Bildungsverantwortlichen in den Unternehmen und Organisationen, notwendige Veränderungsprozesse anzustoßen, weil sie Sorge haben, dass sich aus den unterschiedlichsten Gründen plötzlich ein Fass ohne Boden auftut. Schließlich genügt es nicht, eine Learning-Experience- Plattform und die notwendigen Tools entwickeln zu lassen und einfach in das Netz zu stellen. Entscheidend ist vielmehr, dass ein Veränderungsprozess umgesetzt wird, der eine grundlegend veränderte Lernkultur der Selbstorganisation zur Folge hat. Dieser Prozess kann strategieorientiert top-down für die gesamte Organisation oder einen Geschäftsbereich sowie agil bottom-up in ausgewählten Pilotprojekten erfolgen. Grundsätzlich empfiehlt sich das strategische Werte- und Kompetenzmanagement top-down zu organisieren, da damit die gesamte Organisation auch wirklich zuverlässig und sicher erreicht wird.
Dies setzt jedoch eine breite Akzeptanz des Veränderungsprozesses, vom Top-Management bis zu den Führungskräften, voraus. Sollte dies nicht möglich sein, ist eine agile Vorgehensweise – bottom-up – über ausgewählte Pilotprojekte mit Führungskräften oder Teams, die dieser Innovation offen gegenüberstehen, zu empfehlen.
So kann Future Learning nach und nach in die Organisation eingeführt werden. Die Künstliche Intelligenz KI wird nach herrschender Expertenmeinung zu einer Beschleunigung aktueller Trends im Corporate Learning beitragen:
- Werte und Kompetenzen, insbesondere selbstorganisiertes Lernen und Handeln, bilden die individuellen Lernziele,
- Herausforderungen in der Praxis und in Projekten bilden die zentralen Lernorte,
- Wissen und Qualifikation wird "on demand" selbstorganisiert aufgebaut und in der Praxis angewandt,
- an die Stelle traditioneller Lernumgebungen treten Ermöglichungsräume in der Learning-Experience-Plattform.
Dieser Beitrag ist erschienen in personalmagazin neues lernen, Ausgabe 3/2024, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Als Abonnent haben Sie Zugang zu diesem Beitrag und allen Artikeln dieser Ausgabe in unserem Digitalmagazin als Desktop-Applikation oder in der App personalmagazin - neues lernen.
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