"Nicht nur Sonnenschein-Diversity betreiben"
Personalmagazin neues lernen: Beim Bundesverband für Personalmanager*innen (BPM) machen Sie sich sehr für das Thema "Diversity & Inclusion" stark. Was können Sie über den Verband bewirken?
Cawa Younosi: Diversity Management und Personalarbeit waren schon immer untrennbar. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist die Bedeutung von Diversity Management in den Unternehmen nochmal gestiegen. Es ist Teil der strategischen Personalplanung geworden. Es geht darum, die Mitarbeitenden an Bord zu halten und das volle Potenzial der Gesellschaft auszuschöpfen. Dafür muss man die Denke in den Unternehmen ändern, Eintrittsschwellen niedrig halten, Recruiting-Prozesse umgestalten und Entwicklungswege für Menschen aufzeigen, denen Privilegien fehlen. Darum haben wir beim BPM eine eigene Sachgruppe für dieses Thema, die ich einige Zeit zusammen mit Katharina Schiederig geleitet habe.
Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist die Bedeutung von Diversity Management in den Unternehmen nochmal gestiegen. Es ist Teil der strategischen Personalplanung geworden. - Cawa Younosi, Personalchef SAP
"Diversity" umfasst mehr als nur "Gender Diversity"
Personalmagazin neues lernen: Wie schätzen Sie die Lage in den Unternehmen in Deutschland ein? Wie vielfältig sind Unternehmen tatsächlich und spielt im Diversity Management nicht immer noch die Vielfaltsdimension "Gender" die größte Rolle?
Cawa Younosi: In den vergangenen Jahren wurde Diversity mit Gender Diversity tatsächlich gleichgesetzt – das ändert sich jetzt aber. Es ist wichtig, dass wir zum Beispiel bei der Besetzung von Vorstandsposten darauf achten, dass auch Frauen im Vorstand sind. Aber ich denke, wir müssen noch einen Schritt weitergehen und auch darauf achten, dass man eine Frau zum Beispiel auch mit Migrationshintergrund einstellt. Wir haben eine Gesellschaft, die zu 25 Prozent aus Menschen mit Migrationshintergrund besteht – diese Vielfaltsdimension muss sich auch in einem Vorstand widerspiegeln.
Personalmagazin neues lernen: Steht das auch bei SAP im Fokus des Diversity Managements?
Cawa Younosi: Wir arbeiten gerade stark daran, die Vielfaltsdimension, die bei der "Charta der Vielfalt" auch erst im vergangenen Jahr neu aufgenommen wurde, auszugleichen: die soziale Herkunft oder die "Lotterie des Lebens", wie ich das gerne bezeichne. Wir achten darauf, wo ein Mensch herkommt, welche Startbedingungen er oder sie hatte. Das geht schon bei der Schule und Ausbildung los. Es gibt schließlich nur wenige Menschen, die es auf Dax-Vorstandsebene geschafft haben und zum Beispiel aus einer Arbeiterfamilie kommen oder andere schwierige Startbedingungen hatten. Stallgeruch und Netzwerke, die über Jahrzehnte entstanden sind, stellen hier die wesentliche gläserne Decke dar – nicht nur für Frauen. Bei dieser Betrachtung vereinen wir im Prinzip alle anderen Vielfaltsdimensionen.
Personalmagazin neues lernen: Wir haben bisher darüber gesprochen, wie man Vielfalt schaffen kann – sprechen wir nun über die Folgen von fehlender Vielfalt – Diskriminierung und Rassismus. Inwiefern spielen diese Themen überhaupt eine Rolle im Diversity Management?
Cawa Younosi: In Deutschland ist die Sensibilität für das Thema "Rassismus" eindeutig gestiegen. Das ist für jeden durch das Erstarken bestimmter rechter Gruppierungen spürbar. Und damit kommt das Thema natürlich auch in den Unternehmen an – wir leben ja nicht auf einer Insel der Glückseligkeiten. Viele Unternehmen haben verstanden, dass man das nicht einfach unter den Teppich kehren kann. Auch über den BPM versuchen wir hier Awareness zu schaffen. Ich nehme aber wahr, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema "Rassismus" sehr wellenförmig geschieht. Zum Beispiel gibt es viele Bekundungen auf Social Media zum Internationalen Tag für Anti-Rassismus. Danach ebbt das Interesse wieder ab, obwohl Alltagsrassismus ein kontinuierlicher Missstand ist, der weit über den Tag des Anti-Rassismus für viele Menschen Alltag ist. Gleichzeitig hat das Thema auch mehr Aufmerksamkeit in Unternehmen erlangt durch Compliance-Bemühungen. Gerade international tätige Unternehmen stehen dadurch mehr unter Druck, ihre Verantwortung wahrzunehmen und Sanktionen bei Compliance-Verstößen aufgrund von Diskriminierung zu verhängen. Wir können eben nicht nur Sonnenschein-Diversity betreiben, sondern müssen auch Stellung beziehen, wenn es Vorfälle von Rassismus gibt.
Wir können eben nicht nur Sonnenschein-Diversity betreiben, sondern müssen auch Stellung beziehen, wenn es Vorfälle von Rassismus gibt. - Cawa Younosi, Personalchef SAP
Personalmagazin neues lernen: Sie selbst gehen mit Ihrem Lebensweg offen um. Sie sind mit 14 Jahren aus Afghanistan geflüchtet und nach Deutschland gekommen, wo Sie später Ihr Jurastudium absolviert haben. Inwiefern haben Sie schon Rassismus erfahren?
Cawa Younosi: In den 90er-Jahren, als es zu den rassistischen Vorfällen in Hoyerswerda kam, wurde ich auf der Straße von Neo-Nazis rassistisch beleidigt und auch nachts bedroht. Das hat mich natürlich geprägt und das werde ich auch nie vergessen. Solch eine unmittelbare Diskriminierung habe ich aber später – zum Glück – nicht mehr erlebt. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass ich mit meinem Jurastudium in einem Umfeld war, in dem man für das Thema "Rassismus" schon sensibilisiert war – oder zumindest wusste, wie man das so verschleiert, dass man nicht entlarvt wurde. Aber mittelbar habe ich Diskriminierung auch bei der Arbeit erfahren: Dass andere mir mit mehr Skepsis begegnen, ich immer mehr leisten und mich beweisen muss und keinen Vertrauensvorschuss bekomme. Für bestimmte Abweichungen im Lebenslauf musste ich immer mehr Erklärungen geben als andere Bewerber. Dass ich einen Job aufgrund von Diskriminierung nicht bekommen hätte, habe ich so konkret aber nicht erfahren – nur die mittelbare Diskriminierung und Skepsis mir gegenüber. Das begleitet mich die ganze Zeit. Und das hört auch nicht auf – trotz allem, was sich in der Gesellschaft schon getan hat. Es gibt in Deutschland aufgrund der gewachsenen Netzwerke eine gläserne Decke nicht nur für Frauen, sondern auch für Menschen mit anderer sozialer Herkunft.
HR muss bei Rassismus-Vorfällen schnell und konsequent reagieren
Personalmagazin neues lernen: Und wie reagieren Sie persönlich, wenn Sie Rassismus erleben?
Cawa Younosi: Ich muss offen zugeben, obwohl ich mich viel mit dem Thema beschäftige, bin ich dann immer erst mal fassungslos und kann keine schlagfertige Antwort geben. Da spielt auch ein gewisser Minderwertigkeitskomplex mit hinein – dass ich für mich nicht das gleiche Recht beanspruche wie andere. Das Selbstbewusstsein, das Menschen, die in der zweiten oder dritten Generation hier leben, oft ausstrahlen, wünsche ich mir manchmal auch. Sie haben eine Selbstverständlichkeit entwickelt zu sagen, dass Deutschland ihre Heimat ist – egal, was andere sagen. Ich bin zwar Deutscher, fühle mich auch wie ein Deutscher, aber andere sehen mich nicht als Deutschen.
Personalmagazin neues lernen: Was empfehlen Sie anderen Menschen, die Rassismus bei der Arbeit erfahren? Wie kann man reagieren und auch HR einbinden?
Cawa Younosi: Betroffenen rate ich, auf keinen Fall die Augen zu verschließen, sondern direkt das Gespräch zu suchen. Wenn man merkt, dass kein Dialog stattfinden kann, sollte man den Vorfall sofort melden – entweder über die Antidiskriminierungsstelle, den Sozialpartner oder die gleiche oder nächst höhere Managementebene im Unternehmen. Heute sollten wir in den meisten Unternehmen so weit sein, dass ein klares "Nein" nicht nur toleriert, sondern gefördert wird. Als HR-Bereich haben wir natürlich eine große Verantwortung dafür, dass wir bei Vorfällen schnell und konsequent reagieren. Ich unterstütze auch die Initiative „Love HR – hate Racism“.
Personalmagazin neues lernen: Von welchen Vorfällen sprechen wir? Wie äußert sich Rassismus heute konkret am Arbeitsplatz?
Cawa Younosi: Glücklicherweise geschieht das nicht mehr so offen wie früher und vor allem nicht mehr ohne Konsequenzen – was es aber auch nicht besser macht. Das hängt natürlich auch stark von dem Bereich und der Branche ab, in denen man arbeitet. Mittelbarer Rassismus ist meiner Meinung nach aber immer noch sehr präsent in der Gesellschaft und somit auch in den Unternehmen. Daneben gibt es auch unbeabsichtigte Diskriminierung. Wenn es etwa um unbewusste Vorurteile oder fehlende Sensibilisierung geht.
Für Rassismus sensibilisieren: So macht es SAP
Personalmagazin neues lernen: Was kann man dagegen überhaupt tun? Wie sensibilisieren Sie bei SAP die Mitarbeitenden?
Cawa Younosi: Hier sind sicherlich Unconscious-Bias-Workshops sehr gut. Sie zeigen auf, was diskriminierend oder rassistisch ist – ohne dass der Zeigefinger erhoben wird. Bei SAP sind sie für unsere Manager und Managerinnen verpflichtend und die Mitarbeitenden im Recruiting nehmen regelmäßig an solchen Workshops teil. Dazu haben wir auch ein laufendes Training mit dem Titel "Is it okay?" – da ist also der Titel der Veranstaltung schon die Einladung zum Dialog. Zum Anti-Rassismus-Tag haben wir zum Beispiel einen Raum geschaffen, bei dem "Betroffene" Fragen beantworten konnten, die normalerweise nicht gestellt werden. Zum Beispiel geht es darum, wie rassistisch die Frage "Woher kommst du wirklich?" empfunden wird. Wir können auf diese Weise enttabuisieren, Unsicherheiten abbauen und den Austausch untereinander fördern, damit sich Menschen – auch nicht aus Versehen – verletzend äußern. Generell geht es mir darum, aufzuzeigen, welche Streiche uns unser Kopf spielt, wenn es allgemein um Entscheidungen geht. Viele Menschen sind sich ihrer eigenen Denkfehler immer noch nicht bewusst – sie treffen Entscheidungen aufgrund ihrer individuellen Erfahrungen, die sie generalisieren. Das ist das Gegenteil von einem vielfältigen Mindset. Ich will erreichen, dass man zu jedem Thema bewusst nach Daten recherchiert und sich nicht allein von den bisherigen Erfahrungen bei der Entscheidungsfindung leiten lässt.
Ich will erreichen, dass man zu jedem Thema bewusst nach Daten recherchiert und sich nicht allein von den bisherigen Erfahrungen bei der Entscheidungsfindung leiten lässt. - Cawa Younosi, Personalchef SAP
Personalmagazin neues lernen: Sie sagten gerade, dass die Teilnehmenden den Betroffenen Fragen stellen könnten. Inwiefern können denn Menschen, die selbst nicht von Rassismus betroffen sind, überhaupt Anti-Rassismus schulen?
Cawa Younosi: Wenn es die Möglichkeit gibt, dass eine betroffene Person ihre Erfahrungen selbst schildert, ist das sicherlich sehr gut. Aber man muss auch kein Weltmeister sein, um Fußballer für die Weltmeisterschaft zu trainieren. Es geht darum, Wissen zu vermitteln, Menschen zum Nachdenken anzuregen und zu sensibilisieren und andere Perspektiven zu vermitteln. Glaubwürdigkeit geht in erster Linie mit Kompetenz einher und nicht mit Betroffenheit. Ganz im Gegenteil, manchmal habe ich den Eindruck, dass die eigene Betroffenheit als Kompetenz definiert wird – was nicht unbedingt hilfreich ist. Sonst müssten alle Betroffenen die Schulungen selbst machen, um dafür zu sorgen, dass nicht alle diskriminiert werden.
Wenn Regeln gebrochen werden, muss das Folgen haben
Personalmagazin neues lernen: Für wie nachhaltig halten Sie solche Trainings?
Cawa Younosi: Dadurch, dass wir das Thema "Chancengerechtigkeit" bei SAP wirklich schon seit Jahren treiben, ist es bereits in der DNA der Mitarbeitenden angekommen. Unsere Kollegen und Kolleginnen sind sehr sensibel in Fragen der Diskriminierung. Und ich halte es für sehr wichtig, solche Trainings auch weiterhin anzubieten, um für das Thema zu sensibilisieren, aufzuklären und Biases abzubauen. Damit das nachhaltig wirkt, ist es auch wichtig, alles in einer schriftlichen Policy festzuhalten. Aber all das nützt nichts, wenn das Konsequenzen-Management bei Verstößen nicht erfolgt. Es gibt viele Unternehmen, die ihren Fokus stark auf Sanktionen legen. Wichtiger ist natürlich, dass es gar nicht erst so weit kommt. Aber wenn Regeln gebrochen werden, muss das Folgen haben – sonst wird man unglaubwürdig. Und nur dann kann man verhindern, dass sich derart toxisches Verhalten im Unternehmen ausbreitet.
Personalmagazin neues lernen: Welche Rolle spielt die Sprache beim Thema "Anti-Rassismus"? Hat SAP interne Sprachregelungen?
Cawa Younosi: Zum Thema Sprache gibt es zwei Aspekte – einmal die Programmiersprache, die wir als Tech-Unternehmen nutzen: Wir haben schon vor drei Jahren eine Guidance dazu herausgegeben, um alle Begriffe in der IT, die eine rassistische Zuschreibung beinhalten, zu verbannen. Das klassische Beispiel ist hier die Terminologie "Master/Slave", die in der IT verwendet wird. Diese haben wir ersetzt, um klar zu zeigen, dass wir Diskriminierung in keiner Form tolerieren. Dann gibt es noch die Sprache in der Unternehmenskommunikation. Hier setzen wir auf Freiwilligkeit. Es gibt keine offizielle Sprachregelung zum Beispiel für ein Gender-Sternchen. Die Sprache hat sich aber schon stark verändert. Viele achten von selbst auf eine inklusive Sprache, sodass bei SAP kein Bedarf zur Regelung besteht.
"Bei SAP nicht inklusiv zu denken und zu handeln, ist definitiv ein karrierelimitierender Faktor." - Cawa Younosi, Personalchef SAP
Personalmagazin neues lernen: Wer ist bei SAP die treibende Kraft hinter all diesen Diversity- und Anti-Rassismus-Maßnahmen? Sie als Personalchef?
Cawa Younosi: Die treibende Kraft darf nicht nur von einem Bereich ausgehen. Vielmehr geht das alle etwas an und muss von allen getrieben werden. Wir als HR haben die Aufgabe, dafür zu sensibilisieren. Wir sind aber nicht die Erzieher oder Aufpasserinnen in der Belegschaft. Bei SAP nicht inklusiv zu denken und zu handeln, ist definitiv ein karrierelimitierender Faktor. Alle Erfolge sind nichts wert, wenn die Mitarbeitenden sich sozial inadäquat verhalten – also zum Beispiel ein rein männliches Team führen und sich dagegen sträuben, daran etwas zu ändern.
Personalmagazin neues lernen: Wie können Sie sich da so sicher sein?
Cawa Younosi: Unsere Mitarbeitenden können über verschiedene institutionalisierte Wege Beschwerden einreichen oder sich auch anonym melden. Dazu rufen wir auch explizit auf. Zudem enthält unsere halbjährliche Mitarbeiterbefragung immer die Frage "Würdest du deine Führungskraft weiterempfehlen?". Das Besondere daran ist, dass wir das im Net-Promoter-Score abfragen. Die Latte für eine Weiterempfehlung liegt also sehr hoch. Die Werte werden veröffentlicht im Team, gegenüber dem Management und HR. In den vergangenen Jahren haben wir hier übrigens einen Rekordwert erreicht.
Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 3/2023, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen.
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