Wie wirkt sich die Digitalisierung auf die Beratungsbranche aus? Ersetzen Plattformen künftig Consultingwissen? Stehen Berater vor disruptiven Veränderungen? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt des Gipfeltreffens "Consulting 4.0" in Berlin, an dem neun führende HR-Consultants teilnahmen.

In einem Kreuzberger Hinterhof, in dem die HR-Beratung HR Pepper logiert, traf sich eine gemischte Gruppe aus jungen und erfahrenen und renommierten Beratern, um über die Zukunft der Consultingbranche zu diskutieren. Manche der versammelten Berater sind direkte Konkurrenten. Bis heute ist die Scheu groß, sich mit einem Konkurrenten an einen Tisch zu setzen. Man will sich nicht in die Karten schauen lassen. Christian Völkl, Berater von HR Pepper und Moderator der Runde, hatte sich deshalb zur Einstimmung ein interaktives Format überlegt, um Vertrauen zwischen den Teilnehmern aufzubauen. Jeder Teilnehmer musste einen kurzen Steckbrief inklusive einem gezeichneten Selbstporträt verfassen und an einer Pinnwand befestigen. So kamen die Konkurrenten miteinander ins Gespräch, ehe man sich in einem lockeren Halbkreis zur Diskussion zusammensetzte.

Woran erkennt man die digitale Beratungskompetenz?

Die Digitalisierung ist für alle Teilnehmer ein großes Thema, das in den aktuellen Beratungsprojekten eine immer größere Rolle spielt. Doch woran erkennen die Kunden eigentlich, dass der Berater in digitalen Themen kompetent ist? In Zweiergruppen mussten sich die Berater das überlegen. Am Ende war man sich über zwei Punkte einig: Die Kundenkommunikation wird digital und das beginnt mit der Website des Beraters. An dieser könne man erkennen, wie gut die digitale Kompetenz der Beratung sei, sagte Matthias Meifert, Geschäftsführer von HR Pepper. Fabian Kienbaum, Geschäftsführer der Kienbaum Unternehmensgruppe, sprach vom "Interface zum Kunden".

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Auch das Beratungsverständnis ist bei einer digitalen Beratung anders. Während früher der Berater mit Expertenwissen zu überzeugen versuchte, ist das heute nicht mehr zeitgemäß. Viel Beratungswissen sei heute im Internet frei zugänglich, sodass sich der Beratungsansatz verändere. "Wir entwickeln gemeinsam mit dem Kunden das Prototyping des Projekts", erläuterte Sophia von Rundstedt, Geschäftsführerin von Rundstedt. Fabian Kienbaum stimmte zu, meinte aber, dass die Beratungsunternehmen die gestellten Anforderungen nur teilweise einlösen. "Wir brauchen die Verbindung von klassischen Unternehmensstrukturen und Start-ups – auch in unseren internen Strukturen."

Thema Digitalisierung: zwischen Panik und Realität

Auf Kundenseite sei die Digitalisierung ein Thema, das gelegentlich Panik auslöse, berichtete Sophia von Rundstedt. Barbara Heitger, Geschäftsführerin der Heitger Consulting Group of Experts, erzählte, dass sich viele Kunden fragen, ob die Digitalisierung nur ein Hype sei, mit dem man viel Geld verbrenne, oder ob sie wirklich relevant für ihre Unternehmen sei. "Darauf können wir oft keine verlässliche Antwort geben", gestand Heitger ein und ergänzte: "Digitalisierung und das Scanning ihrer strategischen Optionen muss ein Dauerthema in jedem Unternehmen werden und die Landkarten dazu müssen wir erst noch erarbeiten." Matthias Meifert sprang ihr bei und veranschaulichte das Dilemma mit einem Vergleich, der in unterschiedlichen Versionen im Netz zirkuliert: "Digitalisierung ist wie Teenagersex: Jeder spricht darüber. Keiner weiß wirklich, wie es geht. Alle denken, dass die anderen es tun, also behauptet jeder, dass er es auch tut."

Bringt die Digitalisierung einen Verlust an Arbeitsplätzen?

Dass die Digitalisierung auf die Unternehmen einen Veränderungsdruck ausübe, darüber waren sich die Teilnehmer einig. Unsicherheit herrscht aber darüber, mit welcher Wucht und in welchem Tempo der Veränderungsdruck auf die Unternehmen zukommt. Kai Anderson nahm die Rolle des "Challengers" ein, der mit revolutionären Veränderungen rechnet: "Es wird nicht nur alles digitalisiert, was digitalisiert werden kann. Es wird auch automatisiert, was automatisiert werden kann. Die Kombination aus Digitalisierung und Automatisierung schafft einen Veränderungsdruck, den wir alle unterschätzen. Da wird kein Stein auf dem anderen bleiben."

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Carsten Wember, Partner bei der KPMG, blies in dasselbe Horn und beobachtet in administrativen Bereichen der großen Konzerne, dass sich Führungskräfte und Mitarbeiter um ihre Zukunft Sorgen machen. "Es gibt Unternehmensbereiche, die durch die Digitalisierung verschwinden werden oder deutlich an Bedeutung verlieren. Die Frage ist nur noch, wann und in welchem Umfang die Unternehmen die Veränderung anpacken." Parallel zum Trend der Industrialisierung, mit der Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, beobachten die Berater den konträren Trend zur Personalisierung von Produkten und Dienstleistungen. "Es gibt Kundengruppen, die wollen individuell angesprochen und betreut werden. Auch darauf müssen die Unternehmen Antworten finden", erläuterte Matthias Meifert die Herausforderungen, die er beim Kunden erlebt. Es war Barbara Heitger, die dazu die entscheidende Frage stellte: "Werden sich diese konträren Entwicklungen gegenseitig aufheben oder gehen in Summe Arbeitsplätze verloren?"

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Eine Antwort darauf versuchte Kai Haake, Geschäftsführer beim Bundesverband der Unternehmensberater (BDU), zu finden und verwies auf die Immobilienbranche. Mit Immobilienscout 24 wurde schon vor 18 Jahren eine Plattform für die Vermittlung von Immobilien geschaffen, die sich etabliert hat und die Branche dominiert. "Trotz der Digitalisierung des Vermittlungsgeschäfts ist die Zahl der Vollerwerbsmakler weitgehend konstant geblieben", erläuterte Haake und schob auch die Begründung für dieses überraschende Ergebnis nach: "Bequemlichkeit und Vertrauen der Kunden."

Wird der Beratungskuchen kleiner?

Wird der Beratungskuchen kleiner oder größer? Darüber gab es weitgehend Einigkeit. Kai Haake blickte auf die letzten zehn Jahre zurück: "Der Umsatz der Beraterbranche hat sich fast verdoppelt", analysierte er. Michael Kramarsch, Geschäftsführer HKP, erwartet weiteres Wachstum für die Branche. "Das hängt schlicht damit zusammen, dass die Unternehmen keine Experten vorhalten wollen."Sophia von Rundstedt sprang ihm bei: "Insourcing von Beratungsleistungen wird in Zeiten des Wandels für die Unternehmen nicht attraktiv sein. Co-Working bleibt eine wichtige Säule für das Beratungsgeschäft." Die Berater rechnen nicht nur mit einem weiteren Wachstum, ihnen mangelt es auch nicht an Selbstbewusstsein, was ihre Rolle angeht. "Unsere Wirtschaft ist derzeit so stark, weil Consulting Teil der Arbeitsteilung ist", formulierte Kai Anderson, dem in diesem Punkt niemand widersprechen wollte.

Woher kommt das Wachstum?

Die Teilnehmer des Roundtables erwarten Wachstum allerdings nicht bei allen Beratungsleistungen, sondern zeichneten ein heterogenes Bild. Barbara Heitger sprach gar von "tektonischen Veränderungen". Ersetzbar werden Beratungsleistungen, mit denen nur Information und Wissen zur Verfügung gestellt werden. Michael Kramarsch, der mit Vergütungsberatung groß geworden ist, sieht damit das Geschäftsmodell der Vergütungsberatung nicht bedroht: "Mehr Daten heißt nicht mehr Wissen. Die Firmen brauchen die Berater weiterhin, um die Daten zu interpretieren und die Projekte durchzuführen."

Der Super-Senior-Berater

Doch die digitalen Entwicklungen reichen weiter. Carsten Wember berichtete davon, dass KPMG mit künstlicher Intelligenz erste Lösungen pilotiert, die den heutigen Berater ersetzen können. Es entstehen technische Lösungen, die die Arbeit der Experten deutlich verändern bis wegfallen lassen.
Beratungsgesellschaften brauchen künftig verstärkt hoch qualifizierte Persönlichkeiten, die umfassende Erfahrungen mitbringen. Barbara Heitger sprach vom "Super-Senior-Berater". Das Erfahrungswissen betrachtet auch An­dré Häusling zukünftig als zentrales Asset. "An Wissen mangelt es nicht, aber an der Umsetzung im jeweiligen Unternehmenskontext."

Wie sehen die Geschäftsmodelle der Zukunft aus?

Eine große Kontroverse entfachte auch die Frage, ob "Zeit gegen Geld", wie das bisherige Geschäftsmodell zwischen Beratern und Kunden beschrieben werden kann, eine Zukunft hat. André Häusling positionierte sich eindeutig: "Zeit gegen Geld ist ein Auslaufmodell. Die Vorstellung, dass ich möglichst viel Aufwand produzieren muss, um Geld zu verdienen, passt nicht mehr in unsere Zeit", sagte er. Zusammen mit dem Kunden sollten Key Performance Indicators (KPI) definiert werden, für die Provisionen bezahlt werden. Er machte das am Beispiel eines Call-Center-Projekts deutlich. "Wenn weniger Tickets anfallen und sich die Bearbeitung beschleunigt, hat der Kunde einen wirtschaftlichen Vorteil, an dem ich als Berater beteiligt werden möchte." Dem Kunden sei es egal, ob der Berater zur Zielerreichung drei oder fünf Workshops brauche.

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Auch Sophia von Rundstedt findet daran Gefallen. "Wir experimentieren mit Modellen, bei denen es eine Vergütung on top gibt, wenn sich die Retentionquote innerhalb von zwölf Monaten entsprechend der vereinbarten KPIs entwickelt."
Barbara Heitger sieht solche Ansätze kritisch. "Wenn wir für unternehmensinterne Entscheidungen Verantwortung übernehmen, geraten wir in Gefahr, die Beraterrolle zu verlassen." Carsten Wember teilt diese Einschätzung und ergänzt: "Die Mandanten fällen letztlich die Entscheidungen und wir können damit nicht gänzlich das unternehmerische Risiko tragen." Bei aller Unterschiedlichkeit ist man sich einig, dass "Zeit gegen Geld" das vorherrschende Geschäftsmodell bleibt, doch Experimente zunehmen werden.
Eine Gemeinsamkeit bestand auch in der Beobachtung, dass sich das Verhältnis zwischen Kunde und Berater ändere. Während früher das Verhältnis als "Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung" beschrieben wurde, reden die Berater heute von Kollaboration, Ko-Creation und fluiden Grenzen zwischen Kunden und Beratern.

Welche Veränderungen erwarten die Berater in den nächsten fünf Jahren und wie schnell kommen sie?

Nach Auffassung von Kai Anderson kommen die Veränderungen durch die Digitalisierung in rasantem Tempo auf uns zu. "In fünf Jahren ist das Thema vom Tisch. Digitale Prozesse und Geschäftsmodelle sind dann eine Selbstverständlichkeit."
Barbara Heitger rechnet damit, dass sich digitale Tools etabliert haben und Berater mit anderen Partnern wie Programmierbuden oder Werbeagenturen zusammenarbeiten werden. Das sieht auch Fabian Kienbaum so: "Beratungshäuser werden anders aufgestellt sein. Die Kommunikation wird sich ändern und wir werden verstärkt Start-up-Erfahrung in der Beratung haben."
Sophia von Rundstedt glaubt, dass der Kunde in Projekten oft nicht mehr wisse, ob der Projektleiter ein Berater oder ein interner Mitarbeiter ist. "Die Zusammenarbeit wird enger." André Häusling, der viel im IT-Umfeld unterwegs ist, setzt einen anderen Akzent: "In fünf Jahren wird sich nicht dramatisch viel verändert haben. Die Veränderungen kommen viel langsamer, als wir zurzeit glauben."


Schlagworte zum Thema:  Digitalisierung, Beratung