Bei Ungleichbehandlung: Anspruch auf Lohnnachzahlung und Entschädigung
Die Beklagte in einem vom LArbG Rheinland-Pfalz entschiedenen Verfahren stellt Schuhe her. Die seit dem Oktober 1994 als Produktionsmitarbeiterin beschäftigte Klägerin erhielt bis zum 31.12.2012 – wie die anderen in der Produktion beschäftigten Mitarbeiterinnen auch – einen geringeren Stundenlohn als männliche Mitarbeiter in vergleichbarer Tätigkeit. Die Anwesenheitsprämie (5 % des Bruttolohns), das Weihnachtsgeld (40 % des Bruttolohns) und das Urlaubsgeld (46,5 % des Bruttolohns) berechnete das Unternehmen ebenfalls auf der Grundlage des niedrigeren Stundenlohns. Die hieraus von der Klägerin errechnete Nachzahlungsforderung belief sich für den Zeitraum 1.1.2009 bis 31.12.2012 auf 9.229,90 Euro.
Arbeitnehmerin verlangt Nachzahlung der Vergütungsdifferenz
Vor dem LArbG machte die Klägerin die Nachzahlung des Differenzlohns zuzüglich einer Entschädigung wegen Diskriminierung von mindestens 7.452,32 Euro geltend. Die Feststellungen des Gerichts ergaben, dass im September 2012 im Unternehmen eine Betriebsversammlung stattgefunden hatte, in der die Ungleichbehandlung öffentlich angesprochen wurde und der Klägerin daher die Ungleichbehandlung seit diesem Zeitpunkt bekannt war. Im November 2012 hatte die Klägerin über ihren Bevollmächtigten ihre Ansprüche wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung bei der Arbeitgeberin angemeldet. In Dezember 2012 verzichtete die beklagte Arbeitgeberin in einer Vereinbarung mit der Klägerin auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich sämtlicher Ansprüche, die nicht bereits im Dezember 2012 verjährt waren.
Nachzahlungsanspruch wird von drei Anspruchsgrundlagen gestützt
Das LArbG gab der Klage auf Zahlung der Vergütungsdifferenz in vollem Umfange statt. Die Richter bewerteten die niedrigere Entlohnung eindeutig als eine unmittelbar geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung. Der geltend gemachten Anspruch auf Zahlung der Vergütungsdifferenz konnte nach Auffassung des LArbG gleich auf drei verschiedene Anspruchsgrundlagen gestützt werden:
- Aus der Wertung der §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 8 Abs. 2 AGG folge, dass eine dem Gesetz widersprechende Diskriminierung unmittelbar einen Anspruch auf Zahlung des Differenzentgeltes nach sich ziehe.
- Das Benachteiligungsverbot des § 612 Abs. 3 BGB stelle ebenfalls eine Anspruchsgrundlage für die vorenthaltenen Entgeltbestandteile dar (BAG, Urteil v. 20.8.2002, 9 AZR 710/00).
- Darüber hinaus stelle der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz benachteiligten Arbeitnehmern einen Anspruch auf Nachentrichtung der Leistungen zur Verfügung, die Ihnen aufgrund ihres Geschlechts vorenthalten wurden (BAG, Urteil v. 11. 12.2007, 3 AZR 249/06)
Ansprüche nicht verfallen
Entgegen der Ansicht des beklagten Unternehmens waren diese Ansprüche nach Auffassung des LArbG nicht gemäß § 15 Abs. 4 AGG verfallen. Nach dieser Vorschrift seien Schadensersatzansprüche zwar innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend zu machen, der Nachvergütungsanspruch sei seinem Wesen nach aber kein Schadenersatz-, sondern ein Erfüllungsanspruch, der nicht der kurzen Verfallsfrist des § 15 AGG unterliege. Aber selbst bei Anwendung dieser Vorschrift sei der Anspruch nicht verfallen, da die Ausschlussfrist erst mit Kenntnis von der Benachteiligung zu laufen beginne. Kenntnis habe die Betroffene aber erst in der Betriebsversammlung im September 2012 erlangt, so dass bei Geltendmachung der Ansprüche mit Schreiben vom 9.11.2012 die Ansprüche auch nach dieser Vorschrift noch nicht ausgeschlossen gewesen seien.
Ansprüche auch nicht verjährt
Im übrigen waren die Ansprüche nach Auffassung des LArbG auch nicht verjährt. Geltend gemacht worden seien Vergütungsansprüche seit dem 1.1.2009. Diese wären nach der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist frühestens am 31.12.2012 verjährt gewesen. Für den Zeitraum ab Dezember habe die Beklagte aber auf die Einrede der Verjährung verzichtet, so dass eine Verjährung der Ansprüche nach diesem Zeitpunkt nicht in Betracht komme.
Entschädigungsanspruch zusätzlich zur Vergütungsdifferenz
Neben dem Anspruch auf Zahlung der Differenzbezüge war der betroffenen Arbeitnehmerin nach Auffassung des LArbG ein Entschädigungsanspruch wegen geschlechtsbezogener Diskriminierung gemäß § 15 Absatz 2 AGG zu gewähren. Bei der Höhe der festzusetzenden Entschädigung hat das Gericht nach Auffassung der Kammer zu berücksichtigen, dass die Entschädigungsnorm
- eine Sanktion für Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darstelle
- und von der Höhe daher so zu bemessen sein, dass ein wirksamer rechtlicher Schutz des Rechts auf Gleichbehandlung gewährleistet werde.
- Dabei seien auch die Art, die Schwere und die Dauer der Benachteiligung zu berücksichtigen
- sowie dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich vorliegend nicht um eine bloß mittelbare sondern um eine unmittelbare Benachteiligung handelte, die schwerer wiege als eine bloß mittelbare (BAG, Urteil v. 18.3.2010, 8 AZR 1044/08).
- Außerdem sei der Verstoß vorsätzlich und nicht bloß fahrlässig erfolgt.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände sahen die Richter eine Entschädigung in Höhe von 6.000 Euro als angemessen Betrag an und verurteilten die Beklagte entsprechend.
(LArbG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 13.5.2015, 5 Sa 436/13).
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