Zu spät zum LAG: Kirchenmusiker darf trotz Menschenrechtsverletzung nicht an die Orgel zurück
Der Fall hatte sieben Jahre lang beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gelegen - bis der Musiker dort im vergangenen Jahr Recht bekam. Doch das war möglicherweise zu lange..
Getrennt und vor der Scheidung neue Beziehtung eingegangen
Die katholische Kirche hatte dem Organisten 1998 gekündigt, weil er sich von seiner Ehefrau getrennt hatte und vor der Scheidung eine außereheliche Beziehung eingegangen sein soll.
Vor den deutschen Arbeitsgerichten hatte der Musiker stets verloren. Auch eine Nichtzulassungsbeschwerde zum BAG (2000) und eine Verfassungsbeschwerde (2002) blieb erfolglos.
Zu lange in Straßburg gelegen?
Dann lag sein Fall als Individualbeschwerde sieben lange Jahre in Straßburg - und damit zwei Jahre zu lang. Der Gerichtshof sah schließlich die Menschenrechte des Klägers aus Artikel 8 der Eurpäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) verletzt.
Solchermaßen bestärkt, zog der Organist 13 Jahre nach seinem Rauswurf erneut in Deutschland vor Gericht.
Allerdings hatte der Gesetzgeber für Fälle, die der Europäische Menschenrechts-Gerichtshof kippt, eine Stichtagsregelung eingeführt: Verfahren, die vor Ende 2006 in Deutschland rechtskräftig abgeschlossen waren, sollten dies auch bleiben. Der Fall des Kirchenmusikers war bereits 2003 abgeschlossen.
Wiederaufnahme des ursprünglichen Verfahrens nicht mehr zulässig?
Die vom Kläger erhobene Restitutionsklage blieb erfolglos. Die Wiederaufnahme des ursprünglichen Kündigungsschutzverfahrens sei nicht mehr zulässig. Zwar sieht § 580 Nr. 8 ZPO als Wiederaufnahmegrund für ein nach nationalem Recht rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren die Feststellung der Verletzung der EMRK durch den EGMR vor.
Stichtagsregelung: bis 2006 rechtskräftig abgeschlossene Verfahren bleiben abgeschlossen
Dieser neu eingeführte Restitutionsgrund kam jedoch nicht zur Anwendung, weil er aufgrund der Übergangsvorschrift des § 35 EGZPO nicht auf Verfahren anzuwenden ist, die vor dem 31.12.2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind. Das war hier der Fall.
Das Gericht sah keine Verpflichtung des deutschen Gesetzgebers, die Feststellung der Verletzung der Menschensrechtskonvention als einen Restitutionsgrund zu normieren. Da ohne Verpflichtung ein solcher Wiederaufnahmegrund eingeführt wurde, war der Gesetzgeber nach Ansicht des LAG berechtigt, aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, eine Stichtagsregelung für diesen neuen Restitutionsgrund einzuführen. Unabhängig davon hatte der Kläger die Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO von fünf Jahren für die Erhebung der Restitutionsklage nicht eingehalten. Das LAG hat die Revision zum BAG zugelassen.
(LAG Düsseldorf, Urteil v. 4.5. 2011, 7 Sa 1427/10).
Hintergrund:
Artikel 8 EMRK – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
- Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
- Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
Deutsche Gesetzgeber räumt Kirchenrecht mehr Autonomie ein, als das Europarecht
Deutsche Arbeitsgerichte beachten bisher kirchliche Maßstäbe
Auch wenn das Arbeitsgericht für die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung zuständig ist, muss es nach deitschem Recht die Maßstäbe der durch die kirchenrechtlichen Gesetze bestimmten Loyalitätsanforderungen an den Mitarbeiter zu berücksichtigen.
Allerdings sind die Anforderungen an die Loyalitätspflichten des Mitarbeiters umso geringer, je verkündigungsferner sein Arbeitsplatz ist (beim Religionslehrer höher als bei der Reinigungskraft).
Seitens der Europäischen Kommission werden die weitreichenden Autonomieregelungen für die Kirchen in Deutschland teilweise kritisch gesehen, insbesondere betreffend die teilweise Nichtanwendbarkeit des Gleichbehandlungsgesetzes im kirchlichen Bereich. Hier entsteht möglicherweise noch gesetzgeberischer Handlungsbedarf zum Zwecke der Angleichung an europäische Standards.
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