Rentenrecht: Grundsatzentscheidung zum Krankenkassenbeitrag

Das BVerfG hat den Beschwerden zweier Rentner gegen die Berechnung ihrer Beiträge zur Krankenversicherung stattgegeben. Die Entscheidung könnte für rund eine Million Rentner spürbare Auswirkungen auf die Höhe ihres Krankenkassenbeitrags haben.

Das BVerfG hat über die Verfassungsbeschwerden zweier Rentner entschieden, die sich gegen überhöhte Krankenkassenbeiträge zur Wehr setzten. Beide Beschwerdeführer waren in ihrem Erwerbsleben vorübergehend im Bankgewerbe beschäftigt. Beide waren dort der Pensionskasse der Bank- und Finanzbranche, organisiert als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, angeschlossen.

Versicherung nach Beschäftigungsende fortgeführt

Die Versicherungsbedingungen sahen vor, dass sich die Versicherung bei Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis in eine beitragsfreie Versicherung umwandelt, sofern sie nicht freiwillig fortgesetzt wird. Im Fall der Fortsetzung wurde der Versicherte Einzelmitglied in der Pensionskasse und alleiniger Versicherungsnehmer. Beide Beschwerdeführer führten nach Ausscheiden aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis ihre Versicherungsverträge bei der Pensionskasse auf der Grundlage von Zusatzvereinbarungen durch selbst erbrachte laufende Einzahlungen weiter.

Klage zunächst erfolglos

Nachdem beide Beschwerdeführer die gesetzliche Rentenversicherung in Anspruch nahmen - in einem Fall wegen Berufsunfähigkeit -, führte die Pensionskasse jeweils Beiträge an die Krankenkasse bzw. an die jeweilige Pflegekasse ab. Bei der Berechnung der Höhe dieser Beiträge legte die Pensionskasse ihre Rentenzahlungen an die Beschwerdeführer in voller Höhe zugrunde. Begründung: Es handele sich insgesamt um Versorgungsbezüge in Form von Renten der betrieblichen Altersversorgung, die in die Berechnung der Höhe der Beitragszahlungen einzubeziehen seien. Hiergegen wehrten sich beide Rentner zunächst erfolglos bis zum BSG.

Der rechtliche Ausgangspunkt

Bei dem Streit geht es im Wesentlichen um die Auslegung des § 229 SGB V. Die Vorschrift regelt, welche Versorgungsbezüge als beitragspflichtige Einnahmen bei der Berechnung der Beiträge zur Kranken- und Pflegekasse zu berücksichtigen sind. Gemäß § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V sind Versorgungsbezüge als beitragspflichtige Einnahmen unter anderem

Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst.

Das BSG grenzte bisher allein nach der auszahlenden Institution ab

Das BSG bewertete in beiden Fällen die Berechnungen der Beiträge zur Krankenkasse und zur Pflegeversicherung als zutreffend und verwies hierbei auf seine eigene Rechtsprechung, wonach Versorgungsbezüge in Form von Renten der betrieblichen Altersvorsorge im Sinne von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V einheitlich als Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge zu qualifizieren seien.

  • Das BSG hielt damit an seiner Rechtsprechung zur institutionellen Abgrenzung bei der Differenzierung zwischen privater und betrieblicher Altersversorgung und der daran anknüpfenden Bewertung der Beitragspflicht fest.
  • Nach dieser Betrachtungsweise werden die Modalitäten des Rechtserwerbs nicht berücksichtigt, insbesondere nicht die Frage, wer die Beiträge an die Pensionskasse geleistet hat.
  • Im Ergebnis kommt es für das BSG allein darauf an, von welcher Institution die späteren Leistungen ausgezahlt werden.

Das BVerfG beendet die ausschließlich institutionelle Abgrenzung

Die Verfassungsrichter bewerteten die Betrachtung des BSG nun als zu einseitig. Die Typisierung allein nach dem Institut der Altersversorgung im Rahmen von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V sei mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit nicht vereinbar, als sie dazu führe, dass Zahlungen eines Arbeitnehmers, an denen der Arbeitgeber nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses in keiner Weise mehr beteiligt ist, exakt genauso behandelt werden wie die vorausgehenden Einzahlungen unter Beteiligung des Arbeitgebers.

Gesetzgeber darf grundsätzlich typisieren

Die Verfassungsrichter machten in ihrer Urteilsbegründung deutlich, dass der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt sei, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zur Behandlung von Massenerscheinungen wie Renten- und Krankenkassenbeitragsberechnungen zu treffen.

  • Der Gesetzgeber sei auch berechtigt, ausschließlich arbeitnehmerfinanzierte Leistungen an eine Einrichtung der betrieblichen Altersversorgung als betriebliche Altersversorgung zu qualifizieren, wenn die vom Arbeitnehmer eingezahlten Beträge von der Versorgungszusage des Arbeitgebers umfasst sind.
  • Im Rahmen der Typisierung sei auch nicht zu beanstanden, wenn private Beiträge des Arbeitnehmers als betrieblich veranlasst eingestuft würden, solange der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts genutzt werde.
  • Eine Differenzierung zwischen privater und betrieblicher Altersversorgung allein nach der die Versicherungsbeiträge finanzierenden Person, scheide daher aus.

Grenze zulässiger Typisierung

Die Typisierung als betriebliche Altersversorgung ausschließlich nach der auszahlenden Institution überschreitet nach dem Diktum des Verfassungsgerichts jedoch die zulässige Grenze,

  • wenn die Zahlungen auf einem nach Ende des Arbeitsverhältnisses geänderten und ab diesem Zeitpunkt neu abgeschlossene Versicherungsvertrags zwischen der Pensionskasse und dem Versicherten beruhen,
  • an dem der frühere Arbeitgeber nicht mehr beteiligt ist und
  • in den nur der Versicherte Beiträge eingezahlt hat.
  • Zwar nutze der Einzahler auch hier die Einrichtung der betrieblichen Altersversorgung im Grunde weiter, jedoch verlasse er in diesem Fall den institutionellen Rahmen des Betriebsrentenrechts.
  • Der Versicherungsvertrag werde nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Neuregelung aus dem betrieblichen Bezug gelöst.
  • Die Einzahlung des Versicherten auf diesen Vertrag unterscheide sich nur noch marginal von Einzahlungen auf eine privat abgeschlossene Lebensversicherung.
  • Die Ungleichbehandlung im Verhältnis zur privaten Lebensversicherung sei ein intensiver Verstoß gegen den Gleichheitssatz, da die Beitragsbelastung der Rentner in diesem Fall erheblich sei.

Institutioneller Unterscheidungsaufwand ist gering

Die daraus resultierende Pflicht zur Unterscheidung von betrieblicher und privater Altersversorgung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Ausschluss einer Beteiligung des Arbeitgebers ist nach Auffassung des Senats für Kranken- und Pflegekassen ohne großen Aufwand nachvollziehbar und stellt keine unzumutbaren organisatorischen Anforderungen, da in der Regel die Abgrenzung mit Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis zeitlich klar zu definieren sei.

Erhebliche Zahl betroffener Personen

Die Verfassungsrichter selbst weisen in ihrem Urteil darauf hin, dass laut Statistik der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht etwa eine Anzahl von 1,3 Millionen Personen von dem Urteil betroffen sein könnte. Selbst wenn man davon ausgehe, dass diese Personen nicht sämtlich Mitglieder der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind, sei die Anzahl der Betroffene doch erheblich. Die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V. begrüßte denn auch die Entscheidung als erheblichen Beitrag zur finanziellen Besserstellung nicht weniger Rentner.

Die Verfassungsrichter hielten in beiden Verfahren jeweils eine weitere Sachaufklärung für erforderlich und verwiesen die Verfahren in einem Fall an das SG Köln, im anderen an das LSG Rheinland-Pfalz zurück.


(BVerfG, Urteil v. 27.6.2018, 1 BvR 100/15 u. 1 BvR 249/15)


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