Verfassungswidrig niedrige Richterbesoldung in Berlin zwischen 2009-2015
Allgemeinen Einkommensentwicklung ist Besoldungsmaßstab
Die Verwaltungsrichter stützen die Vorlage auf eine Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2015. Dort hatten die Verfassungsrichter entschieden:
Die Besoldung der Beamten muss so ausgelegt sein, dass Beamte nicht von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt werden.
In extremen Haushaltssituationen könne der Staat von seinen Beamten zwar möglicherweise auch bei der Besoldung Sonderopfer verlangen, dies aber grundsätzlich nur vorübergehend für einen überschaubaren Zeitraum, ansonsten dürfe die Besoldung nicht hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurückbleiben (BVerfG, Beschluss v. 17.11.2015, 2 BvL 19)09, 2 BvL 5/13).
Fünf Beurteilungsparameter
In seiner Entscheidung hatte das BVerfG fünf Parameter für die Bemessung der Beamten- und Richterbesoldung entwickelt, anhand derer die Angemessenheit der Besoldung zu beurteilen sei:
- Die Entwicklung der Nominallöhne im betroffenen Bundesland;
- die Entwicklung der Verbraucherpreise;
- die Entwicklung der Beamtenbesoldung beim Bund;
- die Höhe der Beamtenbesoldung in anderen Bundesländern;
- das Abstandsgebot, d.h. die Wahrung eines angemessenen Besoldungsabstandes zwischen höheren und den niedrigeren Vergütungsgruppen und gegenüber der staatlichen Grundsicherung.
Drei Prüfungsstufen
Nach der Entscheidung des BVerfG besteht eine Vermutung für eine verfassungswidrige Besoldung, wenn drei der fünf Kriterien gerissen werden.
- Ist dies der Fall, so ist in einer zweiten Prüfungsstufe eine Gesamtabwägung der Angemessenheit der Besoldung vorzunehmen, im Rahmen derer die Vermutung entweder erhärtet oder widerlegt wird.
- In einer dritten Prüfungsstufe ist dann zu entscheiden, ob die Unteralimentation ausnahmsweise - beispielsweise wegen eines unabdingbaren Sonderopfers - gerechtfertigt sein kann.
Besoldung in Berlin offensichtlich unangemessen
Nach Auffassung des BVerwG war die Besoldung in den zur Entscheidung gestellten Jahren weder bei den Beamten noch bei den Richtern des Landes Berlin angemessen.
Dies gilt nach Auffassung der Verwaltungsrichter schon nach der vom BVerfG vorgegebenen relativen Vergleichsmethode. Nach Auffassung des BVerwG konnte in den zur Entscheidung gestellten Fällen wegen der offensichtlichen Unangemessenheit der Besoldung auch offen bleiben, ob der Nominallohnindex für das Land Berlin unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten überhaupt eine hinreichende Aussagekraft besitzt. Offen bleiben könne auch, ob für den Quervergleich der Besoldung allein auf die Bundesbesoldung oder auf die Besoldung in anderen Bundesländern abzustellen sei.
Erhebliche Disparitäten bei der Besoldung
Dies begründeten die Verwaltungsrichter damit, dass zwei wesentliche Entscheidungsparameter, nämlich der Vergleich der Besoldungsentwicklung mit den Tarifergebnissen der Angestellten im öffentlichen Dienst und dem Verbraucherpreisindex dermaßen deutliche Disparitäten erkennen lasse, dass die Indizien für eine verfassungswidrige Unterschreitung der Schwellenwerte erdrückend seien.
Die Vorinstanz hatte die Klagen noch mit dem Argument abgewiesen, dass lediglich zwei der von BVerfG aufgestellten Parameter verletzt und deshalb die Voraussetzungen für die Feststellung einer Verfassungswidrigkeit nicht erfüllt seien.
Alle anderen verdienen mehr
Nach Auffassung der Verwaltungsrichter führt der Vergleich der Beamten- und Richter Besoldung mit den durchschnittlichen Einkommen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter mit ähnlich hohen Qualifikationen und ähnlich hoher Verantwortung zu dem Ergebnis, dass die Besoldung der Beamten und Richter des Landes Berlin ungleich niedriger war.
Bei den Richtern sei die Diskrepanz dermaßen erheblich, dass die vom BVerfG geforderte qualitätssichernde Funktion der Besoldung nicht mehr gewährleistet sei.
Dies zeige sich auch daran, dass die Anforderungen an den Notendurchschnitt von Examensabsolventen, die in den Richterdienst übernommen würden, deutlich gesenkt worden seien, während gleichzeitig die Examensergebnissen der Juristen in Berlin sich deutlich verbessert hätten.
Kaum noch Abstand zu Hartz IV
Das BVerwG betonte, dass die Besoldung der Beamten in Berlin auch die absolute Untergrenze der notwendigen verfassungsgemäßen Alimentation unterschritten hätten.
- So habe das BVerfG entschieden, dass die Beamtenbesoldung mindestens 15 % über dem Niveau der sozialrechtlichen Grundsicherung (Hartz IV) liegen müsse.
- Dies sei in Berlin in den unteren Besoldungsgruppen nicht mehr der Fall gewesen.
- Damit sei das Besoldungsniveau nicht nur fehlerhaft, sondern entspreche eindeutig nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
Das Gesamtgefüge der Besoldung sei in den zur Entscheidung gestellten Jahren in verfassungswidriger Weise verschoben gewesen.
Beamte und Richter begrüßen Leipziger Entscheidung
Nach Auffassung der Verwaltungsrichter kommt es bei einer so extremen Verletzung zweier Parameter auf weitere Feststellungen nicht mehr an. Mit diesen Argumenten hat das BVerwG die Entscheidung dem höchsten deutschen Gericht zur Entscheidung vorgelegt. Der stellvertretende Vorsitzende des Berliner Richterbundes Dr. Stefan Schifferdecker begrüßte die Entscheidung verweist auf die für das Land Berlin verheerende Beurteilung der praktizierten Besoldung.
Der Richterbund fordert daher schnellstens die Verabschiedung eines Nachzahlungsgesetzes durch den Landesgesetzgeber.
Klare Vorgaben vom BVerfG erwartet
Das BVerfG dürfte seine Rechtsprechung zur Beamten- und Richterbesoldung damit weiter präzisieren, zumal auch aus den Bundesländern Brandenburg, Bremen und Niedersachsen bereits Vorlagen zur Rechtmäßigkeit der Beamtenbesoldung beim höchsten deutschen Gericht eingegangen sind. Der Berliner Senat hat die Besoldung in den letzten Jahren zwar erhöht, aber auch hierzu sind bereits Verfahren anhängig, weil die Besoldung von einigen Betroffenen nach wie vor als zu niedrig angesehen wird. Die Entscheidung der Verfassungsrichter wird daher mit Spannung erwartet. Sie könnte weitreichende Auswirkungen auf die Besoldungspraxis einiger Länder haben.
(BerwG, Beschluss v. 22.9.2017, 2 C 56.16; 2 C 57/16; 2 C 58/16; 2 C 4/17– 8/17).
Hintergrund:
Die Besoldungsentwicklung der Beamten und Richter in den letzten 30 Jahren sei greifbar und evident hinter der durchschnittlichen Einkommenssteigerung der deutschen Gesamtbevölkerung zurückgeblieben.
Die Zahlenwerke des Statistischen Bundesamtes belegten, dass Löhne und Gehälter der Arbeitnehmer in Deutschland von 1983 bis 2014 um durchschnittlich 108 Prozent gestiegen seien, während die aus den jeweiligen Gesetzblättern ersichtlichen Besoldungszuwächse im gleichen Zeitraum lediglich 73 Prozent betragen hätten.
Beispiel: So seien aus 1.000 Euro Lohn/Gehalt im Jahr 1983 beim durchschnittlichen Arbeitnehmer über 30 Jahre 2.087 Euro im Jahr 2014 geworden, beim Richter bzw. Beamten aus 1.000 Euro Besoldung 1983 aber lediglich 1.724 Euro im Jahr 2014.
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