Widerruf der Prokura, Entzug von höherwertigen Tätigkeiten und Führungsfunktion
In einem vom LAG Hamburg entschiedenen Fall stritten die Parteien im Wesentlichen um die Wirksamkeit einer Weisung, mit der eine Arbeitgeberin die Prokura einer langjährig bei ihr beschäftigten Prokuristin widerrufen und dieser eine Reihe von Aufgaben entzogen hat.
Kontinuierlichen Aufstieg hingelegt
Seit April 1981 hatte die Klägerin bei dem Immobilienverwaltungsunternehmen gearbeitet, zunächst zu einem monatlichen Bruttogehalt von 2.400 EUR. Dieses erhöhte sich im Laufe der Jahre auf einen Gesamtbetrag von 9.100 EUR brutto monatlich zuzüglich einer Funktionszulage in Höhe von monatlich 1.000 EUR, die seit dem Jahre 2008 mit Erteilung der Gesamtprokura gewährt wurde.
Zuvor war der Ehemann der Klägerin Prokurist im Unternehmen. Dieser war im Jahr 2008 aus dem Unternehmen ausgeschieden und hat anschließend selbstständig Immobilien verwaltet.
Sukzessive Funktionserweiterungen
Im Laufe der Jahre wurden die Tätigkeitsfelder der Klägerin schrittweise ausgebaut. In jeweils von der Beklagten vorformulierten Zusatzvereinbarungen behielt sich die Beklagte ausdrücklich vor, der Klägerin bei Bedarf andere Aufgaben zuzuweisen unter Beachtung ihrer Interessen, ihres Ausbildungsstandes und ihres Standings im Unternehmen. Bei Erteilung der Prokura unterschrieb die Klägerin einen von der Beklagten vorformulierten Vertragstext, wonach bei Widerruf der Prokura die Funktionszulage in Höhe von 1.000 EUR monatlich wieder entfallen sollte.
Nach dem Aufstieg kam der Fall
Nachdem einige Kunden der Beklagten mit deren Tätigkeit nicht mehr zufrieden waren und ihre Verwaltungsverträge gekündigt hatten, stellte sich heraus, dass einige dieser Unternehmen nunmehr vom Ehemann der Klägerin betreut wurden. Nach mehreren, der Klägerin erteilten Abmahnungen, widerrief die Beklagte die erteilte Gesamtprokura, hob diverse Vorgesetztenfunktionen der Klägerin auf, entzog ihr eine Reihe von höherwertigen Funktionen und wies ihr geringwertigere Arbeitsbereiche zu. Hiergegen wendete sich die Klägerin mit ihrer zunächst beim ArbG und später beim LAG verhandelten Klage.
Der Änderungsvorbehalt war rechtmäßig
Wie schon zuvor das ArbG gab das LAG der Klage in wesentlichen Teilen statt. Auf der Grundlage von §106 GewO betonte das LAG zunächst, dass die Zuweisung bestimmter Aufgaben dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Gleichzeitig wiesen die Landesarbeitsrichter darauf hin, dass bei Zuweisung anderer Aufgaben grundsätzlich die Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen seien und die Zuweisung deutlich geringwertigerer Funktionsbereiche ohne besonderen sachlichen Grund nicht zulässig sei.
Das LAG überprüfte vor diesem Hintergrund die jeweiligen Zusatzvereinbarungen, mit denen der Klägerin neue Aufgaben zugewiesen worden waren, anhand der AGB-Vorschriften, §§ 310 Abs.3 Nr. 2 BGB, 305 ff BGB. Der seitens der Beklagten vereinbarte Änderungsvorbehalt war nach Auffassung des LAG nicht zu beanstanden, da dieser ausdrücklich für den Fall der Zuweisung anderer Aufgaben die Wahrung der Interessen des Arbeitnehmers vorsah und damit nach einem generellen, typisierenden Maßstab den wechselseitigen Arbeitnehmer / Arbeitgeberinteressen gerecht wurde (BAG, Urteil v. 9.5.2006, 9 AZR 424/05).
Arbeitgeberin hat ihren eigenen Vertrag nicht eingehalten
Demgegenüber wurde die Beklagte durch Entzug einer Vielzahl der der Klägerin mit den diversen Zusatzverträgen zugewiesenen Tätigkeiten nach Auffassung der Richter den eigenen vertraglichen Bestimmungen nicht gerecht. Der ersatzlose Entzug der Funktionsbereiche
- Gesamtfirmenbuchhandlung,
- Betreuung der finanziellen Angelegenheiten und der Darlehensverwaltung und
- Personalangelegenheiten
war nach Auffassung des LAG sachlich nicht gerechtfertigt und daher unzulässig. Die Beklagte selbst habe keinerlei Beanstandungen hinsichtlich der Arbeitsweise und Arbeitsleistung der Klägerin vorgetragen, so dass unter diesem Gesichtspunkt ihre diesbezüglichen Entscheidungen nicht nachvollziehbar gewesen seien.
Vorgesetztenstellung darf nicht einfach entzogen werden
Das Gleiche gilt nach Auffassung der Landesarbeitsrichter für den Entzug der Vorgesetztenstellung gegenüber einer Reihe von Mitarbeitern. Hierbei handelte es sich um eine einseitige Organisationsmaßnahme, die die Interessen der Klägerin in keiner Weise berücksichtigt habe. Eine solche einseitige Arbeitgebermaßnahme zu Lasten der Klägerin sei unzulässig.
Geldleistung darf nicht vom Bestand der Prokura abhängig gemacht werden
Nach Auffassung des LAG hält die Koppelung der Funktionszulage von monatlich 1.000 EUR an die Prokuraerteilung einer Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz nicht stand.
Gemäß §§ 310 Abs. 3 Nr. 2, 307 Absatz 1 Satz 1 BGB handele sich um eine unangemessene Benachteiligung, wenn eine finanzielle Zulage ohne Begründung wegfallen könne. Gemäß § 52 HGB sei die Erteilung einer Prokura ohne Begründung jederzeit frei widerruflich. Allerdings sehe § 52 HGB den Widerruf ausdrücklich „unbeschadet der vertraglichen Vergütung“ vor. Hiernach verfüge das Gesetz für den Fall des Widerrufs der Prokura den Fortbestand der bisherigen finanziellen Leistungen an den Arbeitnehmer. Die Abweichung hiervon in einem vorformulierten Vertragstext benachteilige den Arbeitnehmer über Gebühr.
Analog Teilzeit- und Befristungsgesetz
Insoweit zog das LAG auch eine Parallele zu § 21 TzBfG, wonach die Befristung eines Arbeitsverhältnisses bzw. die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung ohne sachlichen Grund nicht zulässig ist. Dieser Rechtsgedanke könne auch auf die Vereinbarung eines Gehaltsbestandteils angewendet werden (BAG, Urteil v. 2..9.2009,7 AZR 233/08). In der unerwarteten Abweichung von der gesetzlichen Regelung des § 52 HGB liege jedenfalls eine nicht erwartbare Abweichung von der allgemeinen gesetzlichen Regelung, so dass die Kopplung Prokura/Funktionszulage unzulässig sei. Die Beklagte muss der Klägerin die Funktionszulage daher weiterhin – trotz Widerrufs der Prokura – zahlen.
(LAG Hamburg, Urteil v. 23.10.2013, 6 Sa 29/13).
Vgl. auch Checkliste Prokura
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