Psychisch-Kranken-Gesetz verfassungswidrig - medizinische Zwangsbehandlung unzulässig
Die Beschwerdeführerin wurde im Juli 2014 in die geschlossene Abteilung eines Klinikums in Müritz eingewiesen, da sie an einer paranoiden halluzinatorischen Schizophrenie litt und eine akute Selbstgefährdung bestand.
Das AG Waren (Müritz) ordnete daraufhin nach Antrag des Gesundheitsamtes die vorläufige Unterbringung bis zum 9. September 2014 richterlich an. Zudem wurde eine Verfahrenspflegerin bestellt. Gegen den Beschluss legte die Betroffene Beschwerde ein, welche das Landgericht Neubrandenburg zurückwies.
Zwangsbehandlung vom AG betreuungsgerichtlich genehmigt
Anschließend wandte sich die Patientin erneut an das Landgericht und führte aus, dass sich das Gericht in seinem Beschluss nicht zu einer – aus ihrer Sicht rechtswidrigen – Zwangsmedikation geäußert habe.
- Sie habe bereits einmal gewaltsam eine Spritze verabreicht bekommen
- und es sollten weitere Behandlungen erfolgen.
- Daraufhin genehmigte das zuständige Amtsgericht die Verabreichung der Depotspritze
- und verwies auf die mittelbar angegriffene Vorschrift des § 23 PsychKG (Psychisch-Kranken-Gesetz) M-V.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen Psychisch-Kranken-Gesetz
Zwar bestünden gegen diese Vorschrift verfassungsrechtliche Bedenken und der Gesetzgeber habe eine Ergänzung des PsychKG M-V durch Einfügung eines § 23a erwogen, so das AG Waren.
Dies könne jedoch nicht dazu führen, krankheitsuneinsichtigen geschlossen untergebrachten Patienten die notwendige ärztliche Heilbehandlung zu versagen, selbst wenn diese gegen den von ihnen geäußerten Willen vorgenommen werden müsse.
BVerfG: Ausreichende Gesetzesgrundlage für eine Zwangsbehandlung notwendig
Die Beschwerdeführerin legte daraufhin erfolgreich Verfassungsbeschwerde ein. Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greife in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein, welches die körperliche Integrität und das Selbstbestimmungsrecht schützt.
- Dem stehe auch nicht entgegen,
- dass die Behandlung zum Zwecke der Heilung vorgenommen werde,
- da eine schädigende Zielrichtung nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs sei.
Dieser Eingriff sei, wie jeder andere Grundrechtseingriff, nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig, welches wiederum die Voraussetzungen für die Zulässigkeit bestimme.
Zwangsbehandlung nur als letztes Mittel
Hierbei habe das Bundesverfassungsgericht konkrete Anforderungen an die Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung der im Maßregelvollzug Untergebrachten aufgestellt, welche auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung zu übertragen seien:
- Die gesetzliche Grundlage muss strikt die krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit oder die Unfähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten des Betroffenen zur Voraussetzung haben.
- Bei planmäßigen Behandlungen ist eine Ankündigung erforderlich, welche dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, rechtzeitig um Rechtsschutz zu ersuchen.
- Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist unabdingbar, dass die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt erfolgt.
Verfahrensmäßige Vorgaben für eine Zwangsbehandlung
Formell sind weiter notwendig:
- Eine vorherige Prüfung durch unabhängige Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung.
- Dokumentation der ergriffenen Behandlungsmaßnahmen, einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise, der maßgeblichen Gründe und der Wirkungsüberwachung.
- Eine Rechtsgrundlage muss die Zwecke, die einen Eingriff rechtfertigen sollen, abschließend bestimmen und muss ferner festlegen, dass eine solche nur durchgeführt werden darf, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel Erfolg verspricht.
- Zwangsbehandlung darf nur als letztes Mittel, wenn mildere Mittel nicht in Betracht kommen.
Diesen Vorgaben wurde § 23 Abs. 2 S. 2 Alternative 1 PsychKG M-V a.F. nicht gerecht, so dass das Bundesverfassungsgericht die Gerichtsentscheidung mangels ausreichender gesetzlicher Grundlage aufhob.
(BVerfG, Urteil v. 19.07.2017, 2 BvR 2003/14).
Hinweis: Konsequenzen aus dieser Entscheidung werden die Bundesländer Bayern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt ziehen müssen.
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