Keine Vaterschaftsanfechtung bei geordneten Familienverhältnissen

Wenn ein Kind mit seiner Mutter und deren Ehemann seit der Geburt in geordneten Familienverhältnissen zusammenlebt, dann führt eine Anfechtungsklage des biologischen Vaters nicht zum Erfolg. Dass die rigorose Regelung in § 1592 Nr. 1 BGB Schwächen hat und grundrechtlich hinken kann, ist bekannt.

Gemäß § 1592 Nr. 1 BGB ist der Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist. Diese sogenannte rechtliche Vaterschaft besteht also unabhängig davon, ob der Mann auch der Erzeuger des Kindes ist. Gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB hat der leibliche Vater aber die Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten.

Gegen rechtlichen Vater mit sozial-familiärer Beziehung zum Kind ist der leibliche Vater fast chancenlos

Die Anfechtung setzt allerdings nach § 1600 Abs. 2 BGB voraus, dass zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Dadurch soll im Sinne des Kindeswohls vermieden werden, dass die gefestigten Bindungen des Kindes zu seinem rechtlichen Vater gestört werden.

Aus diesem Grund hatte ein biologischer Vater mit seinem Anfechtungsantrag vor Gericht keinen Erfolg. Seine leibliche Tochter hatte von ihrer Geburt an mit ihrer Mutter und deren Ehemann in einem Haushalt zusammengelebt. Zwischen ihr und dem Ehemann ihrer Mutter bestand eine sozial-familiäre Beziehung. Das Amtsgericht lehnte es daher ab, die rechtliche Vaterschaft des Ehemannes der Kindesmutter abzuerkennen.

Kindeswohl im Familienverband hat Vorrang

Diese Auffassung wurde vom Oberlandesgericht bestätigt. Es stellte darauf ab, dass der rechtliche Vater seit der Geburt mit Mutter und Kind in einem Haushalt lebt und bereit ist, Verantwortung für das Kind zu übernehmen. Der bestehende Familienverband geht in diesem Fall dem Interesse des leiblichen Vaters vor. Dieser hat keine Möglichkeit mehr, seine Vaterschaft gerichtlich anerkennen zu lassen und eine Vaterstellung für seine Tochter einzunehmen - so ist es jedenfalls der Wille des Gesetzgebers aufgrund der Regelung in § 1600 Abs. 2 BGB.

(OLG Hamm, Beschluss v. 6.11.2020, 12 WF 221/20).

Anmerkung: Umstritten, aber vom BVerfG und EGMR abgesegnet

Dies Ergebnis ist nicht überraschend und entspricht der BGH-Rechtsprechung wird aber teils auch als ein wunder Punkt an der familienrechtlichen Gesetzeslage bemängelt. Die seit 2004 bestehende Gesetzeslage sorgt dafür, dass Vaterschaftsanfechtungen leiblicher Väter selten Erfolg haben.

Ihnen obliegt es darzulegen und zu beweisen, dass zwischen ihrem Kind und dem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Bindung besteht (§ 1600 BGB). Mit sozial-familiärer Bindung ist gemeint, dass der soziale Vater für das Kind tatsächlich Verantwortung trägt und sich wirklich um das Kind kümmert. Eine reine Zahlvaterschaft genügt nicht.

Keine dezidierte Kindeswohlprüfung

Das Gesetz vermutet diese Verantwortung allerdings schon dann,

  • wenn der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder
  • mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat.
  • Dies gilt auch nach Trennung der Eltern, wenn der rechtliche Vater zum Kind weiterhin regelmäßigen Kontakt pflegt.
  • Nicht zu berücksichtigen ist eine eigene sozial-familiäre Bindung des leiblichen Vaters in der Vergangenheit.

Wird tatsächliche Verantwortungsübernahme des rechtlichen Vaters bejaht, hat der leibliche Vater verloren. Die Entscheidung ist damit gefallen.

  • Es erfolgt keine Beurteilung, was für das Wohl des Kindes am besten wäre.
  • Es geht nicht um eine Abwägung der Elterninteressen.
  • Der Gesetzgeber hat die Abwägung vielmehr „generalisierend vorweggenommen“.

BVerfG: Gesetz verstößt nicht gegen höherrangiges Recht

  • Obgleich stark in der Kritik, wurde die deutsche Regelung vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß beurteilt (vgl. BVerfG, Beschluss v. 24.2.2015, 1 BvR 562/13).
  • Auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hielt sie stand. Ihr wurde eine Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK bescheinigt.

Das heißt, der Gesetzgeber darf die Interessen der rechtlichen Eltern am Erhalt ihres bestehenden Familienverbandes vorrangig gegenüber den Interessen des leiblichen Vaters einstufen.

Selbst der BGH sieht zweifelhafte Ergebnisse in bestimmten Fallkonstellationen

Auch der BGH räumt ein, dass es problematische Konstellationen unter der bestehenden Gesetzeslage geben kann. Daran etwas ändern könne allein der Gesetzgeber.

Beispiel: Denkbar ist folgendes Szenario: Leiblicher Vater und Mutter leben unverheiratet mit dem gemeinsamen Kind als Familie zusammen. Der Vater hat keinen Vaterschaftsanerkennungsantrag gestellt. Zwischen allen besteht eine enge, liebevolle Beziehung. Im vierten Lebensjahr des Kindes trennt sich das Paar. Die Mutter findet einen neuen Lebenspartner. Durch taktische Vaterschaftserkennung könnte die Mutter dem leiblichen Vater dauerhaft seine Vaterrolle entziehen. Das wird als besonders prekär mit Blick auf die sehr viel höheren Anforderungen einer Adoption angesehen. Bevor ein Kind adoptiert wird, muss der leibliche Vater einwilligen. Außerdem wird das Kindeswohl geprüft.

Neuregelung wird schon länger anvisiert

Die bestehende Regelung kann  die  heutigen Familienkonstellationen  nicht  mehr  ausreichend  abbilden  und  wird  den  Interessen  von  Kind  und Eltern  nicht  immer  gerecht.  Reformbemühungen sind schon länger, aber wohl schleppend,  im Gange. Im Juli 2017 hat der Arbeitskreis Abstammungsrecht (eingesetzt vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz) vorgeschlagen, die bestehende Regelung des § 1600 BGB zu ergänzen. Insbesondere möchte man aufnehmen, dass eine sozial-familiäre Beziehung zwischen leiblichem Vater und Kind berücksichtigt und gewertet wird. Ob und wann es eine Gesetzesnovellierung geben wird, ist offen.

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Schlagworte zum Thema:  Kindeswohl, Vaterschaftsfeststellung