Gerichtliche Weisungen bei Gefährdung des Kindeswohls
In einer Grundsatzentscheidung hat der BGH sich zu der Frage geäußert, inwieweit das Familiengericht aus Gründen des Kindeswohls in die Lebensführung einer Mutter sowie deren Lebensgefährten eingreifen darf. Im Jahr 2015 war die Mutter mit der zu diesem Zeitpunkt 7 Jahre alten Tochter in den Haushalt eines Mannes eingezogen, der
- in den Jahren 2002 und 2004 wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern rechtskräftig verurteilt worden war und hierfür eine Freiheitsstrafe von 4 1/2 Jahren verbüßt hatte.
- Im Jahr 2012 wurde der Mann wegen Besitzes von kinder- und jugendpornographischen Schriften,
- im Jahr 2013 wegen Nachstellung rechtskräftig verurteilt.
Für die Zeit nach der Haftentlassung bis Februar 2016 war gerichtlich Führungsaufsicht angeordnet und im April 2015 das gerichtliche Gebot ausgesprochen worden, zu Kindern und Jugendlichen weiblichen Geschlechts nur in Begleitung eines Sorgeberechtigten Kontakt aufnehmen zu dürfen.
Konkrete Weisungen des Familiengerichts
In einem vom Jugendamt angestrengten Sorgerechtsverfahren schätzte ein Sachverständiger die Rückfallwahrscheinlichkeit des Lebensgefährten der Mutter auf ca. 30 % ein. Im September 2015 hat das AG darauf der Mutter und ihrem Lebensgefährten folgende Weisungen erteilt:
- Gebot an die Mutter, bei jeglichem Kontakt zwischen ihrem Kind und dem Lebensgefährten persönlich anwesend zu sein,
- zwischen 22:00 Uhr abends und 8:00 Uhr morgens jeglichen gleichzeitigen Aufenthalt von Lebensgefährten und Kind in derselben Wohnung zu unterbinden und
- jederzeit unangekündigte Besuche des Jugendamtes zuzulassen.
- Flankierend erteilte das Familiengericht dem Lebensgefährten das Gebot, die gegenüber der Mutter erteilten gerichtlichen Weisungen seinerseits streng zu beachten.
BGH: Das Gesetz rechtfertigt die erteilten Gebote
Die hiergegen eingelegten Rechtsbehelfe der Mutter waren sowohl beim OLG als auch beim BGH erfolglos. Der BGH stellte entscheidend auf § 1666 BGB ab. Hiernach kann das Gericht Maßnahmen zur Wahrung des Kindeswohls treffen, wenn sonst das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wäre und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Gemäß § 1666a BGB sind die Maßnahmen nur zulässig, wenn die Gefahr auf andere Weise nicht abgewendet werden kann. Nach Auffassung des BGH waren die gegenüber der Mutter und ihrem Lebensgefährten angeordneten Gebote von dieser Vorschrift in vollem Umfange gedeckt.
Prüfungspunkte für Kindeswohlgefährdung
Nach Auffassung des BGH ist eine Kindeswohlgefährdung immer dann anzunehmen, wenn
- eine gegenwärtige Gefahr festgestellt wird,
- die zu einer erheblichen Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes führen kann und
- eine Verwirklichung dieser Gefahr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
- Die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt der Kindeswohlgefährdung sind nach dem Diktum des BGH umso geringer, je schwerwiegender der drohende Schaden ist.
- Voraussetzung sind aber in jedem Fall konkrete und nicht bloß abstrakte Verdachtsmomente sowie eine gesonderte Feststellung der Erheblichkeit des drohenden Schadens durch das Gericht.
Keine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich
Explizit wies der BGH darauf hin, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht erforderlich ist. Wenn ein erheblicher Schaden für das Kindeswohl drohe, so reiche auch eine Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts von deutlich unter 50 % aus. Wenn der drohende Schadenseintritt für das Kindeswohl durch sexuelle Übergriffe mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 % - wie hier durch Sachverständigengutachten festgestellt - zu veranschlagen sei, so sei dies für die Annahme einer erheblichen Gefahr ohne weiteres ausreichend.
Erheblicher Eingriff in die Lebensführung ist gerechtfertigt
Der BGH hielt die Art der angeordneten Maßnahmen auch für angemessen. Der BGH verkannte nicht, dass mit diesen Anordnungen ein erheblicher Eingriff in die Lebensführung der Mutter und Ihres Lebensgefährten verbunden war. Bei Abwägung der Gesamtumstände und unter Berücksichtigung der Gefahrenlage für das Kind, seien die Anordnungen sowohl der Mutter als auch dem Lebensgefährten zumutbar. Allein technische Maßnahmen wie beispielsweise der Einsatz eines Babyphones oder eine Türsicherung böten keine hinreichende Sicherheit. Bereits bei einem einmaligen Missbrauch des Kindes durch den Lebensgefährten drohe ein nicht wieder gutzumachender Schaden für das Kind. Deshalb seien die getroffenen Anordnungen zwingend erforderlich und auch das mildeste und geeignete Mittel, um wesentlich einschneidendere Maßnahmen wie einen teilweise oder vollständigen Entzug des Sorgerechts zu vermeiden.
(BGH, Beschluss v. 23.11.2016, XII ZB 149/16)
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