Sozialhilfeträger fordert Geld von Angehörigen zurück
Standardfall: Die hohen Kosten eines Pflegeheims, die von der Rente nicht gedeckt sind und für die die Kinder der Pflegebedürftigen mit aufkommen sollen.
Im Sozialhilferecht gilt das Nachrangigkeitsprinzip: Sozialhilfe erhält nicht, wer sich durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
Wenn das Sozialamt zuerst zahlt und dann zurückfordert
Zum Einkommen des Hilfebedürftigen – etwa eines Rentners, der in eine Pflegeheim muss, es aber nicht vollständig zahlen kann - gehören im Prinzip alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Von ihm einzusetzen ist bis auf wenige Ausnahmen (Schonvermögen) auch das gesamte verwertbare Vermögen (§ 90 SGB XII).
Schonvermögen: Welche Vermögensteile muss der Hilfeempfänger nicht antasten
Schonvermögen ist das Vermögen, das der Sozialhilfeträger beim Prüfen des Anspruchs auf Sozialhilfe außen vor lassen muss.
Dazu gehört u. a. ein angemessenes Hausgrundstück, das vom Hilfebedürftigen allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird. In der Praxis wird oft gestritten, was „angemessen“ ist. Dies orientiert sich an der Hausgröße, dem Wert des Grundstücks und des Gebäudes, der Anzahl der Bewohner etc.
Hilfeempfängern als Schonvermögen zustehender Wohnbedarf
Der Grenzwert für ein als Schonvermögen zu belassendes Familienheim beträgt regelmäßig 130 qm und ist auf einen Vierpersonenhaushalt bezogen. Bei einer geringeren Personenzahl ist eine Reduzierung um jeweils 20 qm pro Person vorzunehmen (OLG Koblenz, Beschluss v. 6.9.2013, 13 WF 745/13).
Der Einsatz des Vermögens kann nicht verlangt werden, wenn dies für den Hilfeempfänger eine unzumutbare Härte bedeutet. Bei der Klärung „unzumutbare Härte“ handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Sozialhilfeträgers, die gerichtlich überprüft werden kann.
Sozialhilferegress: Wann kann die geleistete Hilfe von Angehörigen zurückgefordert werden?
Hat der Sozialhilfeempfänger eigentlich Unterhaltsansprüche gegenüber seinen Kindern, dann ist das Sozialamt ganz oder teilweise für diese eingesprungen. Es kann deshalb die an den Hilfebedürftigen erbrachte Zahlungen als Sozialhilferegress gegenüber seinen ihm gesetzlich unterhaltsverpflichteten Angehörigen geltend machen.
Überleitungsanzeige
Wenn der Sozialhilfeträger die betroffenen Angehörigen zur Zahlung in Anspruch nehmen will, muss er sie vom Übergang der Ansprüche des Hilfebedürftigen gegen sie auf das Sozialamt schriftlich benachrichtigen (Überleitungsanzeige gem. § 93 Abs. 2 SGB XII).
Unterhaltsanspruch gegen Angehörige muss schlüssig begründet werden
Macht ein Sozialhilfeträger gegen ein Kind aus übergegangenem Recht Unterhalt für einen Elternteil geltend, der das Rentenalter noch nicht erreicht hat, ist der Anspruch nur dann schlüssig begründet, wenn im Einzelnen die Gründe dargelegt werden, weshalb der Elternteil seinen Bedarf nicht aus eigener Erwerbstätigkeit oder nicht subsidiären Sozialleistungen decken kann (Krankheit etc.).
Ein Unterhaltsanspruch kommt nicht bereits deshalb in Betracht, weil der Elternteil nach jahrzehntelanger Erwerbslosigkeit (und Sozialhilfebezug) nunmehr ein Alter erreicht hat, in dem er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erfahrungsgemäß keine Beschäftigung mehr finden kann (OLG Oldenburg, Beschluss v. 21.2.2006, 12 UF 130/05, NJW-RR 2006 S. 79).
Ausschluss des Sozialhilferegresses wegen unbilliger Härte
Der Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Sozialleistungsträger ist in bestimmten Fällen wegen unbilliger Härte ausgeschlossen (gem. § 94 Abs. 1 S. 2 bis 5, Abs. 2, 3 SGB XII). Ein typischer Fall ist der, dass die Leistung von Barunterhalt als unzumutbare Härte neben persönlicher Pflege des Hilfebedürftigen gilt. Erbringt ein Kind erhebliche Leistungen zur häuslichen Pflege, stellt sich die Inanspruchnahme auf ergänzenden Barunterhalt zugleich als unzumutbare Härte i. S. von § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Leistungsträger durch die familiäre Pflege weitere Leistungen erspart, die das von ihm nach § 64 SGB XII zu zahlende Pflegegeld deutlich übersteigen (OLG Oldenburg, Urteil v. 14.1.2010, 14 UF 134/09, FamRZ 2010 S. 992).
Ein anderer Fall ist der, dass der Elternteil wegen einer auf seine Kriegserlebnisse zurückzuführende psychische Erkrankung nicht in der Lage war, für das auf Elternunterhalt in Anspruch genommene Kind zu sorgen (BGH, Urteil v. 21.4.04, XII ZR 251/ 01).
Straftaten der Eltern, Vernachlässigung im Kindesalter
In der Rechtsprechung anerkannte Fallgruppen sind nicht nur Straftaten der Eltern gegen ihre Kinder, sondern auch die Vernachlässigung im Kindesalter, nachhaltige seelische Grausamkeit oder die elterliche Weigerung zur Zahlung von Unterhalt zu Zeiten eines Unterhaltsanspruchs der Kinder.
Erforderlich ist ein schuldhaftes, vorwerfbares Verhalten des Unterhaltsberechtigten. Vgl. zu dem Thema (BGH, Urteil v. 19. Mai 2004, XII ZR 304/02).
Leistungspflicht und Selbstbehalt beim Elternunterhalt
Beim Elternunterhalt ist der Selbstbehalt großzügiger bemessen, als etwa beim Kindesunterhalt. Der dem Unterhaltsverpflichteten zu belassende angemessene Selbstbehalt ist nach der dem Einkommen, Vermögen und sozialen Rang entsprechenden Lebensstellung des Verpflichteten zu bemessen (BGH, Urteil v. 23.10.2002, XII ZR 266/99).
Eine spürbare und dauerhafte Senkung seines berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus muss der in Sozialhilferegress genommene nur hinnehmen, falls er zuvor einen für seine Verhältnissen unangemessenen Aufwand betrieben hat bzw. ein Luxusleben führte.
Altersvorsorge sicherstellen
Der Selbstbehalt umfasst dessen gesamten Lebensbedarf einschließlich einer angemessenen Altersversorgung von etwa 5% seines Bruttoeinkommens für eine über die primäre Altersversicherung hinaus betriebene zusätzliche Altersvorsorge (BGH, Urteil v. 14.01.2004, XII ZR 149/01).
Damit Teile des Vermögens als Mittel zur Alterssicherung anerkannt werden können, reicht die Anlage auf einem separaten Konto. Es muss nur erkennbar sein, dass es sich um eine Möglichkeit der langfristigen Altersvorsorge handelt ( z.B. Wertpapierfonds, Lebensversicherungen und Bausparverträge).
Verwirkung des Rückgriffs auf Unterhaltspflichtige
Der Sozialleistungsträger muss den übergegangenen Anspruch zeitnah geltend machen. Es kann Verwirkung eintreten, wenn der Sozialhilfeträger längere Zeit nicht tätig wird, obwohl ihm das möglich gewesen wäre.
Unterhaltsverpflichtete sollten sich im Bedarfsfall immer anwaltlich beraten lassen. Viele sozialverwaltungsrechtliche Rückforderungsbescheide sind fehlerhaft (OLG Oldenburg, Urteil v. 25.10.2012, 14 UF 82/12).
Darlehensangebotes des Sozialhilfeträgers
Wurde ein unterhaltspflichtiges Kind rechtskräftig dazu verurteilt, Ansprüche auf Elternunterhalt, die der Sozialhilfeträger aus übergegangenem Recht geltend macht, durch die Annahme eines Darlehensangebotes des Sozialhilfeträgers zu erfüllen, und beruht das Urteil auf einer Rechtsanwendung, die vom Bundesverfassungsgericht zu einem späteren Zeitpunkt in einem anderen Fall als verfassungswidrig beanstandet wurde, kann dem Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Rückzahlung des Darlehens der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens entgegengesetzt werden (BGH, Beschluss v. 6.2.2013, XII ZB 81/11).
Sozialamts kann auch Schenkungen des Leistungsempfängers zurückfordern
Dem Sozialhilfeträger steht aus früheren Schenkungen des Hilfeempfängers auch ein Herausgabeanspruch nach § 528 BGB steht zu, gegebenenfalls auch noch nach dem Tod des Schenkers (BGH, Urteil v. 25.4.2011, X ZR 205/99).
Dem Rückforderungsanspruch wegen Verarmung des Schenkers und der Überleitung dieses Anspruchs auf den Träger der Sozialhilfe wegen der zu leistende Hilfe zum Lebensunterhalt steht es nicht entgegen, dass das Geschenk, wenn es beim Schenker verblieben wäre, zu dessen Schonvermögen gehört hätte BGH (Urteil v. 19.10.2004, X ZR 2/03).
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