Beschränkung bei Beerdigungen auf 30 Trauernde vom Verwaltungsgericht gekippt
Zum ersten Mal hatte ein Gericht in Sachen Corona in einem Eilverfahren über den Antrag einer evangelischen Gliedkirche, im konkreten Fall der EKD Baden-Württemberg, zu entscheiden. Bisher wurden die staatlichen Coronaregeln von der evangelischen und der katholischen Kirche bundesweit klaglos mitgetragen.
Evangelische Kirche wendet sich gegen Auslegung der Corona-Regeln
Beide Kirchen hatten bisher von Klagen gegen Coronaregeln abgesehen. Die evangelische Landeskirche legt deshalb Wert auf die Feststellung, dass sie weiterhin grundsätzlich bereit ist, die allgemeinen Coronabeschränkungen mitzutragen. Sie wendete sich im konkreten Fall gegen eine spezielle Auslegung der bundesweiten Corona-Notbremsregelung durch das Bundesgesundheitsministerium und die baden-württembergische Landesregierung.
Das baden-württembergische Ministerium für Kultur, Jugend und Sport hatte in einem Rundschreiben darauf hingewiesen, dass
- im Rahmen der Bundes-Notbremse
- bei einer Überschreitung der Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen
- bei Beerdigungen die Teilnehmerzahl auf 30 Personen begrenzt sei.
EKD sieht kirchliche Bestattung nicht als private Veranstaltung
Gemäß dem kürzlich beschlossenen § 28 b Abs. 1 Nr. 1 IfSG ist die
- Teilnehmerzahl bei „privaten Zusammenkünften“
- im Rahmen von „Veranstaltungen bei Todesfällen“
- auf maximal 30 Personen beschränkt.
Die EKD Baden-Württemberg wollte diese Bestimmung auf den religiösen Akt einer kirchlichen Beisetzung nicht angewandt wissen. Nach ihrer Auffassung handelt es sich bei kirchlichen Bestattungen um Gottesdienste, für die grundsätzlich eine höhere Teilnehmerzahl nach den entsprechenden Landesverordnungen zulässig ist als für private Veranstaltungen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die gültigen Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden.
Gericht rügt unkorrekte Gesetzesauslegung des BMG
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) legt § 28 b Abs. 1 Nr. 1 IfSG dahingehend aus, dass diese Vorschrift sowohl säkulare als auch kirchliche Bestattungen umfasse. Dieser ministeriellen Auslegung widersprach das VG und wies ausdrücklich darauf hin, schon vor der Verabschiedung dieser Vorschrift sei der Gesetzgeber von Juristen darauf hingewiesen worden, dass die betreffende Bestimmung der Bundes-Notbremse zu einer Ungleichbehandlung von religiösen und säkularen Bestattungen führt. Die Auslegung einzelner Bundesministerien, die Vorschrift zum Zwecke der Gleichbehandlung einfach auf religiöse und säkulare Bestattungen gleichermaßen anzuwenden, sei juristisch nicht korrekt und für die Gerichte auch nicht verbindlich.
Teilnehmerbegrenzung bei Beerdigungen ist Eingriff in die Religionsfreiheit
Das VG vertrat darüber hinaus den Standpunkt, dass die Beschränkung der Teilnehmerzahl an einer Beerdigung auf 30 Personen einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art. 4 Abs. 2 GG geschützte ungestörte Religionsausübung bedeuten würde. Im Ergebnis bewertete das VG kirchliche Bestattungen
- nicht als private Versammlungen im Sinne des § 28b Abs. 1 IfSG,
- sondern als Gottesdienste, für die die Privilegierung des § 28 b Abs. 4 IfSG gelte.
Nach dieser Vorschrift sind Zusammenkünfte im Sinne des Art. 4 GG, die der Religionsausübung dienen, von den Beschränkungen des § 28 b Abs. 1 IfSG befreit. Unter Berücksichtigung der für Baden-Württemberg geltenden Coronaschutzverordnung bleibt es daher bei einer Beschränkung der Personenzahl auf 100 Personen.
Entscheidung mit bundesweiter Bedeutung
Da die Gerichtsentscheidung aus Baden-Württemberg die Auslegung eines Bundesgesetzes betrifft, kommt der Entscheidung auch bundesweit Bedeutung zu. Ob andere Gerichte sich dieser Entscheidung anschließen, bleibt abzuwarten. Das Land Baden-Württemberg hat bereits reagiert und die Beschränkung der Teilnehmerzahl bei kirchlichen Beerdigungen auf 30 Personen gecancelt. Aus Gründen der Gleichbehandlung dürfte hiernach allerdings die Beschränkung der Teilnehmerzahl auf 30 Personen bei nicht-kirchlichen Beerdigungen kaum zu halten sein.
Gegen den Beschluss ist innerhalb von zwei Wochen Beschwerde beim VGH in Mannheim zulässig.
(VG Stuttgart, Beschluss v. 4.5.2021, 16 K 2291/21)
Hintergrund: coronabedingten Beschränkungen der Freiheitsrechte
Die coronabedingten Beschränkungen der Freiheitsrechte machen auch vor dem letzten Akt im Dasein eines Menschen, der Beerdigung nicht halt. Deutschlandweit galten in den verschiedenen Bundesländern während der Corona-Pandemie zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Begrenzungen der erlaubten Teilnehmerzahl. In Bayern waren zeitweise 200 Teilnehmer erlaubt, in Baden-Württemberg 150, inzwischen sind es bundesweit nach Auffassung des BGM nur noch 30. Die Gerichte neigten bisher in diesen Fällen dazu, die entsprechenden Vorschriften zugunsten der Trauernden auszulegen, wie es jetzt auch das VG Stuttgart getan hat. Das VG Zweibrücken hatte dem Sohn einer verstorbenen Mutter gestattet, die Trauerfeier mit ca. 30 Gästen entgegen dem Verbot der Behörden auf dem Platz vor der Aussegnungshalle durchzuführen (VG Zweibrücken, Beschluss v. 8.9.2020, 5 L 759/20.NW).
Der Beerdigungskaffee gehört nicht zum Gottesdienst
Strenger sind die Gerichte, sobald es um Zusammenkünfte der Trauergäste außerhalb der eigentlichen Beerdigung geht. So hat das VG Aachen einen „Beerdigungskaffee“, also eine Zusammenkunft einer größeren Zahl von Trauergästen nach der Beisetzung zur gemeinschaftlichen Einnahme von Speisen und Getränken, als private Zusammenkunft für nicht zulässig erklärt (VG Aachen, Beschluss v. 13.11.2020, 6 L 848/20).
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