Wann ist späte Meldung des Versicherungsfalls unverschuldet?

Ein Ehemann wusste nichts vom Bestehen einer Pflegetagegeldversicherung seiner Frau, die einen schweren Schlaganfall erlitt. Er meldete deswegen den Eintritt des Pflegefalls / Versicherungsfalls der Versicherung erst nach 21 Monaten. Umstritten war, ob die Verspätung unverschuldet war mit der Folge, dass die Versicherung rückwirkend zahlen muss.

Eine Versicherungsnehmerin hatte im August 2012 einen schweren Schlaganfall erlitten. Seitdem war sie halbseitig gelähmt, hatte ihre Sprachfähigkeit verloren und ihr Erinnerungsvermögen war erheblich beeinträchtigt. Im April 2013 wurde der Frau die Pflegestufe 3 zugesprochen.

Pflegetagegeldversicherung will nicht rückwirkend zahlen

Damit hätte sie seit April einen Anspruch auf Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung geltend machen können, weil laut Versicherungsbedingungen der Versicherungsfall eingetreten war.

In den Versicherungsbedingungen hieß es bezüglich der Leistungserbringung:

  • Wird der Antrag nach Ablauf des Monats gestellt, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, ist der Leistungsanspruch vom Beginn des Monats der Antragstellung gegeben.
  • Bei einer unverschuldet verspäteten Anzeige des Versicherungsfalls werden die Leistungen jedoch rückwirkend erbracht.

Die Anzeige bei der Versicherung erfolgte erst im Februar 2015. Erst zu diesem Zeitpunkt meldete der Ehemann den Versicherungsfall und forderte eine rückwirkende Leistungserbringung seitens der Versicherung. Doch die lehnte ab.

OLG Frankfurt: Verspätete Anzeige erfolgte unverschuldet

Das Landgericht hatte die Klage des Ehemanns abgewiesen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main kam zu einer anderen Einschätzung:

  • Die beklagte Versicherung habe die rückwirkende Leistung zu Unrecht versagt,
  • die Versicherung könne sich nicht auf eine verspätete Anzeige des Versicherungsfalls gemäß den Allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen,
  • denn die verspätete Anzeige sei unverschuldet erfolgt.

Das Gericht wies darauf hin, dass ein Versicherungsnehmer, im vorliegenden Fall die Frau, selbst den Versicherungsfall anzeigen muss. Aufgrund des Schlaganfalls sei dies der Frau allerdings nicht möglich gewesen.

Frau musste nicht vorausschauend über den Versicherungsvertrag informieren

Ebenso wenig sei die Frau in der Lage gewesen, ihren Ehemann über die Versicherung und mögliche Ansprüche zu informieren. Für die Frau habe auch keine Verpflichtung bestanden, den Ehemann vorausschauend, also vor Eintritt des Versicherungsfalls, über das Bestehen eines Versicherungsvertrags zu informieren. Eine solche Vorsorgeobliegenheit bestehe nicht.

Verschuldensmaßstab des Betreuers

Der bevollmächtigte Ehemann habe auch nicht schuldhaft und in einer der Ehefrau zuzurechnenden Weise eine frühere Anzeige des Versicherungsfalls unterlassen. Der Ehemann habe unverschuldet keine Kenntnis von dem Versicherungsvertrag gehabt.

Die schuldhafte Verletzung einer Pflicht setze die Kenntnis vom Bestehen der Pflicht voraus. Daher müsste er nicht nur Kenntnis vom Vorliegen des Versicherungsfalls, sondern auch vom Bestehen des Versicherungsvertrags gehabt haben. Da er unstreitig vor Februar 2015 keine Kenntnis von dem Versicherungsvertrag hatte, ist die verspätete Anzeige nicht schuldhaft erfolgt. 

Regelmäßige Abbuchungen ließen keinen Rückschluss auf Pflegetagegeldversicherung zu

Zwar habe der Ehemann von monatlichen Abbuchungen in Höhe von 20 Euro gewusst. Das sei für ihn aber kein Grund gewesen, von dem Bestehen einer Pflegetagegeldversicherung auszugehen. Zumal aus dem Buchungstext auf den Kontoauszügen nur zu erkennen gewesen sei, dass es sich um eine Abbuchung für einen Versicherungsvertrag handelte, der Buchungstext aber keinen Hinweis zur Art der Versicherung enthielt.

Berufung der Versicherung auf Verspätung ist rechtsmissbräuchlich

Das OLG sah das Berufen der Versicherung auf die Ausschlussfrist  aus als treuwidrig gem. § 242 BGB an, da der Eintritt des Versicherungsfalls ebenso unstreitig sei wie der Umstand, dass die Leistungsvoraussetzungen während des gesamten streitigen Zeitraums unverändert vorlagen. Es fehle in Abwägung der widerstreitenden Interessen daher an einem schützenswerten Interesse der beklagten Versicherung. 

(OLG Frankfurt, Urteil v. 11.11.2020, 7 U 36/19).

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Schlagworte zum Thema:  Versicherung, Versicherungsschutz, Obliegenheit