Wann kann das Gericht auf einen Sachverständigen verzichten?

Der Tatrichter darf auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag. Außerdem muss er den Parteien zuvor einen Hinweis erteilen, dass er auf eigene Sachkunde baut. Das hat der Bundesgerichtshof im Falle einer Verletzung durch ein scheuendes Pferd entschieden.

Eine Pferdebesitzerin von ihrem scheuenden Pferd schwer verletzt worden. Dieses hatte sie auf dem Grünsteifen einer Straße geführt. Sie selbst ging auf dem Asphalt. Als von hinten ein Pkw heranfuhr, scheute das Pferd und wich zur Seite der Klägerin aus. Die Haftpflichtversicherung dese Fahrzeugshalters wollte nicht für den Schaden aufkommen und sah den Fehler bei der Tierhalterin.

Schadensersatzklage wurde ohne Sachverständigengutachten abgeschmettert

Ihre Schadensersatz- und Schmerzensgeldklage blieb vor dem Land- und Oberlandesgericht erfolglos, wobei die Gerichte keine Sachverständigen einschalteten. Erst der BGH hob die Entscheidung auf und verwies den Fall zurück an die Vorinstanz.

Eigene Sachkunde nicht begründet

Das Berufungsgericht hat nach Ansicht der Karlsruher Richter verkannt, dass der Tatrichter, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten darf, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag. Dies sei in dem angefochtenen Urteil nicht ausreichend dargetan.

Parteien nicht mitgeteilt, dass das Gericht auf eigene Sachkunde baut

Zudem müsse das Gericht, wenn es bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen wolle, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen. Auch dies sei nicht geschehen.

Gericht darf Privatgutachten nicht übergehen

Außerdem hat sich die Vorinstanz nach Ansicht der BGH-Richter nicht hinreichend mit dem von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten befasst, aus dem sich im Einzelnen ergebe, dass diese sich bei der Annäherung des Pkw völlig richtig verhalten und insbesondere ihr Pferd so ausgerichtet habe, dass es den herannahenden Pkw habe wahrnehmen können.

„Wenn das Gericht den auf eine privatgutachterliche Stellungnahme gestützten Vortrag einer Partei übergeht, kann deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein. Dies ist hier der Fall“,

urteilte das Gericht.

Musste die Klägerin mit dem Pferd vor dem Auto fliehen?

Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass die Klägerin das neben ihr auf dem Grünstreifen grasende Pferd unverzüglich möglichst weit nach rechts auf die dortige Grasfläche hätte verbringen müssen, mithin also so weit wie möglich aus dem Gefahrenbereich heraus.

Dabei hätte das Pferd zugleich seitwärts zur Fahrbahn gedreht werden können, um es in die Lage zu versetzen, das herannahende Fahrzeug optisch wahrzunehmen. Dieser Ansicht stand aber das Ergebnis eines von der Klägerin beauftragten Privatgutachters entgegen.  

(BGH, Beschluss v. 13.1.2015, VI ZR 204/14).

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