Darf ein Schriftsatz zur Substantiierung auf Anlagen verweisen?

Der BGH hat den Grundsatz relativiert, dass Gerichte nicht verpflichtet sind, umfangreiche Anlagenkonvolute durchzuarbeiten, um einen Klageanspruch zu konkretisieren. Nimmt der Kläger zur Begründung seines Klageanspruchs auf eine aus sich heraus verständliche Anlage konkret Bezug, so ist diese zu berücksichtigen.

Im vom BGH entschiedenen Fall hatte eine Klägerin nach einem Verkehrsunfall, für den die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners voll einstandspflichtig ist und bei dem die Klägerin schwerste Verletzungen erlitten hat, auf weiteren Schadensersatz geklagt.

Über die bereits monatlich von der Beklagten zu zahlende Rente in Höhe von 900 Euro hinaus  machte sie u.a. eine weitere Rente von monatlich 500 Euro als  Haushaltsführungsschaden geltend.

Anlage zur Klageschrift zur Konkretisierung des Sachvortags

Zur Begründung dieses Anspruchs verwies der Anwalt der Klägerin u.a. auf eine der Klageschrift beigefügte schriftliche Anlage. Diese enthielt eine von der Mutter der Klägerin gefertigte Aufstellung über die Haushaltsleistungen, die die Klägerin vor dem Unfallgeschehen kontinuierlich erbracht hatte.

LG und KG lassen Anlage unberücksichtigt

Das LG hat die Klage abgewiesen. Das KG hat diese Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt und die Zurückweisung der Berufung unter anderem darauf gestützt, die Klägerin habe den Anspruch zum Haushaltsführungsschaden nicht schlüssig dargetan.

  • Nach dem Urteil des KG hätte die Klägerin vortragen müssen, welche konkreten Arbeiten im Haushalt neben entsprechendem Zeitanteil sie vor dem Unfall verrichtet habe.
  • In beiden Urteilen findet die als Anlage eingereichte Aufstellung über die Haushaltsführungsleistungen der Klägerin vor dem Unfall keine Erwähnung.

Gerichte dürfen Anlagen zu Schriftsätzen nicht übergehen

Da das KG die Berufung gegen das Urteil nicht zuließ, erhob die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde. Der BGH nahm in in seiner Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde ausführlich zu den Verpflichtungen eines Zivilgerichts zur Berücksichtigung von den Schriftsätzen der Parteien beigefügte Anlagen Stellung. Nach dem Diktum des BGH

  • sind Gerichte gemäß Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich verpflichtet, sämtliche Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Entscheidungen einzubinden.  (BGH, Beschluss v. 24.4.2018, VI  ZB 48/17).
  • Lässt ein Gericht den Vortrag einer Partei unberücksichtigt, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze findet, verletzt es damit deren Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 103 Abs. 1  GG (BGH, Beschluss v. 6.2.2014, VII ZR 160/12).

Anlage zur Klageschrift enthielt Details zum zentralen Sachvortrag

Vor diesem Hintergrund wertete der BGH die Anlage zur Klageschrift zur Darlegung des Haushaltsführungsschadens als einen für den Rechtsstreit zentralen Vortrag der Klägerin und rügte,

  • das Berufungsgericht habe diese Anlage im Urteil überhaupt nicht erwähnt,
  • offensichtlich in der fehlerhaften Annahme, die Bezugnahme in der Klageschrift bzw. Berufungsbegründung auf diese Anlage reiche für die Substantiierung des Sachvortrages nicht aus.
  • Diese Auffassung finde jedoch im Prozessrecht keine Stütze.

Gerichte sind zwar nicht zur Wühlarbeit in Anlagenkonvoluten verpflichtet

Der Senat ging hierbei auf die Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 2003 ein, wonach ein Gericht nicht verpflichtet ist,

  • umfangreiche, ungeordnete Anlagenkonvolute von sich aus durchzuarbeiten,
  • um auf diese Weise die erhobenen Ansprüche in Eigenarbeit erst einmal zu konkretisieren (BGH, Urteil v. 17.7.2003, I ZR 295/00).

Auch könne notwendiger Sachvortrag nicht durch bloße Vorlage von Anlagen ersetzt werden (BGH, Urteil v. 26.4. 2016, VI ZR   50/15).

Übersichtliche Anlagen sind zur Substantiierung zulässig

Die obige BGH-Entscheidung ist im hier entschiedenen Fall nach Auffassung des Senats aber nicht einschlägig.

  • Die Mutter der Klägerin habe auf nicht einmal einer Seite eine komplette Darstellung des Tagesablaufs der Klägerin vor dem Unfall erstellt,
  • auf den der Anwalt der Klägerin zur Substantiierung des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens in der Berufungsbegründung und auch schon in der Klageschrift konkret Bezug genommen habe.

Die dort enthaltene Darstellung sei aus sich heraus verständlich und verlange vom Tatrichter keine unzumutbare Sucharbeit.

Hiernach wäre es eine durch nichts zu rechtfertigende Förmelei, wollte man den Prozessbevollmächtigten für verpflichtet halten, die Aufstellung der Haushaltsleistungen in seiner Klageschrift bzw. der Berufungsbegründung komplett abzuschreiben und dort als Text zu übernehmen

Entscheidungserheblicher Verstoß gegen Recht auf rechtliches Gehör

Damit wertete der BGH die Nichtberücksichtigung der Anlage als eindeutigen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör. Dieser Gehörsverstoß sei auch entscheidungserheblich, denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht auf der Grundlage der als Anlage beigefügten Aufstellung der Haushaltsleistungen zum Ergebnis gelangt wäre, dass der Haushaltsführungsschaden mit den bisherigen Zahlungen der Beklagten noch nicht vollständig ausgeglichen ist. Vor diesem Hintergrund hat der BGH den Nichtzulassungsbeschluss des KG aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung und erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des BGH an die Vorinstanz zurückverwiesen.

(BGH, Beschluss v. 2.10.2018, VI ZR 213/17)


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Hintergrund

Gehörsrüge

Nach Art 103 Abs. 1 GG ist der Grundsatz rechtlichen Gehörs verfassungsrechtlich garantiert und für jedes gerichtliche Verfahren konstitutiv und unabdingbar. Eine Missachtung des rechtlichen Gehörs verletzt den Betroffenen in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 GG. Wird das rechtliche Gehör entscheidend verletzt, so hat der Betroffene die Möglichkeit, den Fortgang des Verfahrens mit Hilfe einer Gehörsrüge zu erreichen.

Haushaltsführungsschaden

Wird eine Person, die den Haushalt führt, infolge eines vom Unfallgegner zu verantwortenden Unfalls so verletzt, dass sie vorübergehend oder aber mit bleibenden Folgen ganz oder teilweise den Haushalt nicht mehr führen kann, so steht dieser verletzten Person gem. § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB ein Anspruch auf den sog. Haushaltsführungsschaden zu.

Dieser Schadenersatz wegen vermehrter Bedürfnisse wird unabhängig davon gewährt, ob es sich bei der geschädigten Person um (Nur-)Hausfrauen oder (Nur-)Hausmänner (BGH, Urteil vom 4.12.1984, VI ZR 117/83) oder um Berufstätige handelt, wenn sie auch in ihrer Haushaltsführung beeinträchtigt sind.

Anspruchsberechtigt kann der Geschädigte aber nicht nur in Hinblick auf seine eingeschränkte Eigenversorgung sein, sondern auch, soweit es um die Versorgung anderer geht. Dies gilt nach der Rechtsprechung aber nur dann, wenn deren Versorgung rechtlich geschuldet ist (BGH, Urteil v. 25.09.1973, VI ZR 49/72).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium


Schlagworte zum Thema:  Klage, Bundesgerichtshof (BGH), Rechtsanwalt