Vergessene Rechtsanwaltsgebühr kann noch nach Kostenfestsetzung beantragt werden
Fünf Jahre lang stritten sich eine Krankenkasse und ein Versicherter bzw. dessen Rechtsanwalt mit diversen Bescheiden, Widersprüchen, Widerspruchsbescheiden außergerichtlich und vor dem Sozialgericht über das Auslaufen des Krankengeldes nach festgestellter Berufsunfähigkeit, eine Anordnung Reha-Leistungen zu beantragen, die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und zuletzt über die Höhe der in Ansatz zu bringenden Rechtsanwaltsgebühren und Auslagen.
Anwaltsgebühren können nachträglich berechnet werden
Die in Widerspruchsverfahren geltenden Beitragsrahmengebühren (50 EUR bis 640 EUR, Nr. 2302 VV RVG) schöpfte der Prozessbevollmächtigte bis zur Höchstgrenze aus. Er berechnete u.a.:
- Geschäftsgebühr: 640 EUR
- Auslagenpauschale: 20 EUR
- Dokumentenpauschale für Kopien: 5 EUR.
Zunächst vergessene Erledigungsgebühr wird nachberechnet
Später machte der Rechtsanwalt zusätzlich noch geltend:
- Erledigungsgebühr 640 EUR,
die er versehentlich nicht gleich mit abgerechnet hatte.
Spätere Abrechnung vergessener Gebühren ist möglich
Trotz der – aus Sicht eines Rechtsanwalts - positiv stimmenden amtlichen Leitsätze, wonach eine Nachliquidation möglich ist, scheiterte der Anwalt in diesem Verfahren mit seinen Zahlungsansprüchen vollständig, erst vor dem SG Freiburg, das noch nicht einmal die Berufung zuließ, nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde dann auch beim LSG Baden-Württemberg.
Höhere als die Mittelgebühr nur bei umfangreicher oder schwieriger Tätigkeit
Die Rahmengebühr für das Widerspruchsverfahren liegt zwischen 50 EUR und 640 EUR (§ 14 RVG Nr. 2302 VV RVG). Eine Gebühr von mehr als 300 EUR (Mittelgebühr oder Schwellengebühr) kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Für eine höhere als die Mittelgebühr sah das LSG hier keinen Raum. Die Dokumentenpauschale versagte es, weil die Nachweise fehlten.
BGH entschied 2011 zu Gunsten der Nachliquidations-Möglichkeit
Was die Erledigungsgebühr betrifft, so kann diese grundsätzlich auch noch nachträglich gefordert werden. Das LSG bezieht sich insoweit auf eine BGH-Entscheidung, wonach versehentlich in einem ersten Kostenfestsetzungsverfahren nicht geltend gemachte Posten der Nachliquidation zugänglich sind (BGH, Beschluss v. 1.6.2011, XII ZB 363/10).
Dennoch hakte es hier für den Rechtsanwalt an zwei Stellen:
Rechnungslegung gegenüber Mandanten fehlte
Zum einen hatte er die Erledigungsgebühr offenbar nur gegenüber der Krankenkasse geltend gemacht, aber noch nicht seinem Mandanten in Rechnung gestellt, was Voraussetzung und als solche klar in § 10 Abs.1 S.1 RVG formuliert ist.
Erst Verwaltungsverfahren, dann Gerichtsentscheidung
Zum anderen hatte es über die neue Kostennote mit der Erledigungsgebühr noch kein (eigenes) Verwaltungsverfahren gegeben, also das übliche Prozedere: Kostennote – Bescheid – Widerspruch – nicht abhelfender Widerspruchsbescheid. Erst danach nimmt sich ein Gericht der Sache an.
(LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 30.6.2020, L 11 KR 4539/18)
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