Verwerfung der Berufung wegen Abwesenheit des Angeklagten

Die Berufung eines Angeklagten kann in einem neu anberaumten Verhandlungstermin bei Anwesenheit eines wirksam bevollmächtigten Verteidigers nicht deshalb verworfen werden, weil der Angeklagte trotz persönlicher Ladung unentschuldigt nicht erscheint. Gesetzesanalogien zum Verwerfungstatbestand in § 329 Abs. 1 StPO sind unzulässig. 

Dies hat das OLG Brandenburg in einem Grundsatzbeschluss zugunsten eines zur Berufungsverhandlung nicht erschienen Angeklagten entschieden.

Angeklagter blieb dem trotz Ladung Hauptberatungstermin fern

Erstinstanzlich war der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Gegen die Verurteilung hatte er wirksam Berufung eingelegt. Zu dem anberaumten Hauptverhandlungstermin erschien der Angeklagte unentschuldigt nicht. Anwesend war aber sein Verteidiger, der wirksam schriftlich zur Vertretung des Angeklagten bevollmächtigt war.

Hauptverhandlung wegen Abwesenheit ausgesetzt

Wie in solchen Fällen nicht unüblich, verhandelte das LG in Abwesenheit des Angeklagten. Zur Aufklärung der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen hielt das Gericht die Erstellung einer Sozialprognose zum erwartbaren künftigen Verhalten des Angeklagten für unabdingbar und setzte daher die Hauptverhandlung zum Zweck der weiteren Sachaufklärung aus.

Berufung wegen erneuter Abwesenheit verworfen

Zum einige Monate später neu anberaumten Hauptverhandlungstermin, zu dem das Gericht das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet hatte, erschien der Angeklagte wiederum unentschuldigt nicht. Daraufhin verwarf das LG die Berufung. Gegen den Verwerfungsbeschluss legte der Angeklagte Revision ein.

Revision gegen den Verwerfungsbeschluss war begründet

Das OLG sah die Revision als begründet an. Das LG habe die Berufung zu Unrecht wegen unentschuldigter Abwesenheit des Angeklagten verworfen. Die Möglichkeiten der Verwerfung einer Berufung wegen unentschuldigter Abwesenheit des Angeklagten sind nach Auffassung des OLG in § 329 StPO abschließend geregelt. Der vorliegende Fall war davon nicht erfasst.

Verwerfung der Berufung wegen Abwesenheit nur in den gesetzlichen Fällen

Den grundsätzlichen Verwerfungstatbestand enthält § 329 Abs. 1 StPO. Danach kann die Berufung verworfen werden,

  • wenn bei Beginn eines Anhörungstermins weder der Angeklagte
  • noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen ist,
  • es sei denn das Nichterscheinen ist hinreichend entschuldigt.

Weitere Fallvarianten werden dieser Konstellation im Gesetz gleichgestellt:

  • Gemäß § 329 Abs. 1 Satz 2 StPO ist die Berufung zu verwerfen, wenn der Verteidiger sich ohne genügende Entschuldigung während der Hauptverhandlung bei gleichzeitiger Abwesenheit des Angeklagten entfernt,
  • sich der Angeklagte unentschuldigt entfernt oder
  • sich vorsätzlich in einen Zustand der Handlungsfähigkeit versetzt hat und kein vertretungsberechtigter Verteidiger anwesend ist.

Gemäß § 329 Abs. 4 StPO schließlich kann das Gericht die Berufung eines Angeklagten verwerfen, wenn der Angeklagte zu einem Fortsetzungstermin ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint, und seine Anwesenheit für die Durchführung des Verfahrens erforderlich ist.

LG wendete Verwerfungsvorschrift analog an 

Das LG hatte sich im konkreten Fall in seiner Entscheidung zur Verwerfung der Berufung auf § 329 Abs. 4 StPO berufen und den Fall des unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten in einer neu anberaumten Hauptverhandlung dem Fall des unentschuldigten Ausbleibens in einer Fortsetzungsverhandlung gleichgestellt.

OLG bewertet Analogie als unzulässig

Diese Gesetzesanalogie ist nach der Entscheidung des OLG unzulässig. Gemäß § 329 Abs. 1 StPO habe das Berufungsgericht bei Beginn der Hauptverhandlung zu prüfen, inwieweit die Anwesenheit des Angeklagten erforderlich ist und diesen gegebenenfalls zu einem Fortsetzungstermin unter Anordnung seines persönlichen Erscheinens zu laden.

  • Erscheine der Angeklagte zum Fortsetzungstermin dann nicht, könne das Gericht die Berufung gemäß § 329 Abs. 4 StPO verwerfen.
  • Eine Verwerfung der Berufung für den Fall des Nichterscheinens des Angeklagten in einer neu anberaumten Hauptverhandlung sehe das Gesetz demegenüber gerade nicht vor.

Bewusste Regelung des Gesetzgebers

Der Gesetzgeber hat nach Auffassung des OLG die Möglichkeit einer Verwerfung der Berufung bewusst abschließend geregelt.

  • Die Regelung diene dem Zweck, das Recht des Angeklagten zu stärken,
  • sich durch einen Verteidiger vertreten zu lassen.
  • Dies habe der Gesetzgeber mit Blick auf die vom EGMR entwickelten Grundsätze zum Recht auf Verteidigung getan.

Für eine Ausweitung dieser Vorschrift im Wege einer Analogie sei daher kein Raum. Der Verwerfungsbeschluss sei daher unrechtmäßig ergangen.

(OLG Brandenburg, Beschluss v. 4.4.2019, 53 Ss 14/19).


Hintergrund:

Die Berufung kann nicht verworfen werden, wenn die Hauptverhandlung unabhängig vom Erscheinen des Angeklagten vertagt werden muss, weil also z.B. ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt und die Hauptverhandlung wegen krankheitsbedingter Verhinderung des Verteidigers nicht durchgeführt werden kann (OLG Köln StV 2016, 804 unter Hinw. auf den Normzweck des § 329 StPO).

  • Die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO ist auch nicht zulässig, wenn der Angeklagte vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden war oder ggf. auf Antrag des Verteidigers in der Hauptverhandlung noch entbunden wird (OLG Braunschweig StV 2018, 152; s. auch Burhoff, HV, Rn 1572).
  • Der Antrag gem. § 233 StPO, den Angeklagten vom Erscheinen in der (Berufungs-)Hauptverhandlung zu entbinden, ist auch noch am Beginn der Berufungshauptverhandlung möglich (BGHSt 25, 281; Meyer-Goßner/Schmitt, § 233 Rn 6 m.w.N.). 

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium


Schlagworte zum Thema:  Berufung, Richter, Freiheitsstrafe