Welche rechtliche Bindungswirkung haben Verkehrsschilder auf privaten Grundstücken?
In einem Parkhaus kollidierten zwei Fahrzeuge. Eine Mercedesfahrerin missachtete ein Vorfahrt-gewähren-Zeichen und kollidierte mit einem aus ihrer Sicht von links kommenden Peugeot. Dem Peugeot-Fahrer entstand ein Schaden von gut 3.100 Euro, der zu 50 Prozent von der Beklagten reguliert wurde.
Unfallgeschädigter klagte auf Alleinhaftung der Gegenseite
Doch damit wollte sich der Peugeot-Fahrer nicht zufriedengeben. Er klagte auf Alleinhaftung der beklagten Mercedesfahrerin. Diese habe vor der Einmündung in seine Fahrbahn angehalten. Da ihm das Vorfahrt-gewähren-Schild aus der Richtung der Mercedesfahrerin bekannt gewesen sei, sei er davon ausgegangen, dass diese ihn entsprechend passieren lasse. Als er sich mit seinem Fahrzeug schon unmittelbar vor ihr befunden habe, sei sie wieder angefahren und es kam zur Kollision.
Gleichmäßige Haftungsverteilung trotz des Vorfahrt-achten-Zeichens?
Die Mercedesfahrerin hatte die Auffassung vertreten, das Verkehrsschild sei in einem Parkhaus nicht bindend. Vielmehr gelte das Gebot der gegenseitigen Rücksichtsnahme. Eine über 50 Prozent hinausgehende Haftung komme deshalb nicht in Frage.
Das Amtsgericht sah eine hälftige Haftungsverteilung, mit der Begründung, beide Parteien hätten gegen die Sorgfaltspflichten des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Das Landgericht Saarbrücken kam zu einer anderen Einschätzung: Die Mercedes-Fahrerin haftet zu 75 Prozent, der Peugeot-Fahrer nur zu 25 Prozent.
Verwendung von Verkehrszeichen außerhalb des öffentlichen Verkehrs erwünscht
Das Gericht wies darauf hin, dass die Verwendung von Verkehrszeichen außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs, zum Beispiel zur Regelung des Verkehrs auf privaten Grundstücken, nicht nur zulässig, sondern sogar erwünscht sei (vgl. BGH, Beschluss v. 22.04.2004, I ZB 15/03):
- Zwar gehe von ihnen keine bindende Wirkung im Sinne einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Haftung aus.
- Zivilrechtlich können sie allerdings eine Mithaftung begründen, da ihr Regelungsgehalt im Rahmen des gegenseitigen Rücksichtsnahmegebots zu beachten sei.
Missachtung des Verkehrsschilds ein erheblicher Sorgfaltsverstoß
Die Mercedesfahrerin treffe deshalb ein erheblicher Sorgfaltsverstoß. Sie habe das aus ihrer Sicht gut erkennbare Verkehrszeichen missachtet und so den Unfall mit dem aus der bevorrechtigten Fahrgasse kommendem Auto verursacht.
Einen Verstoß des klagenden Peugeot-Fahrers gegen die Sorgfaltspflichten des § 1 Abs. 2 StVO stellte das Gericht hingegen nicht fest. Der habe davon ausgehen können, dass die Mercedesfahrerin sein Vorfahrtsrecht achten werde.
Kläger muss sich nur einfache Betriebsgefahr zurechnen lassen
Im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge stehe dem Sorgfaltsverstoß der Mercedesfahrerin lediglich die einfache Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs gegenüber, die in diesem Fall nicht zurücktrete.
Vor diesem Hintergrund trage eine Haftungsverteilung von 75 Prozent zu 25 Prozent zu Lasten der Beklagten den Verursachungsanteilen angemessen Rechnung.
(LG Saarbrücken, Urteil v. 23.12.2020, 13 S 122/20).
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