Fahrerpflichten beim Verlassen der Kreuzung nach der Grünphase

Wer bei Grün in eine Kreuzung fährt und dort längere Zeit durch einen Abbiegerstau zum Stehen kommt, darf nicht blindlings darauf vertrauen, dass ihm der Querverkehr mit Blick auf seine früheren "Grünrechte" automatisch Vorfahrt einräumt. Ein solches Verhalten eines Kreuzungsräumers kann ein Verstoß gegen Rücksichtnahmegebot sein.

Die Fahrerin eines Kia Ceed fährt bei Grün über eine Ampel in eine Kreuzung. Dort kommt sie zum Stehen, weil sich der Linksabbiegeverkehr staut. Etwa 40 Sekunden steht sie auf der Kreuzung. Als sie dann weiterfahren kann und sich entschließt, die Kreuzung zu räumen, stößt sie mit einem Opel Astra zusammen.

Grüne Ampel bei Kreuzungseinfahrt kein dauerhafter Freifahrtschein

Vor Gericht ging es um den Sachschaden in Höhe von 13.900 Euro, der an dem Opel Astra entstanden war. Das OLG Hamm kam zu der Einschätzung, die beklagte Kia-Fahrerin habe in erheblicher Weise gegen das im Straßenverkehr geltende Rücksichtnahmegebot verstoßen.

  • Zwar sei die Frau unbestritten bei Grün in die Kreuzung eingefahren.
  • Da sie im Kreuzungsbereich aufgehalten wurde,
  • habe sie diesen grundsätzlich auch als bevorrechtigter Nachzügler ("Kreuzungsräumer")  vor dem Querverkehr räumen dürfen,
  • das habe aber sehr vorsichtig zu geschehen.

Nachzügler müssen extrem vorsichtig sein

Allerdings hätte sie nicht blindlings darauf vertrauen dürfen, vom Querverkehr vorgelassen zu werden. Denn für Nachzügler gelte, auch wenn sie grundsätzlich Vorrang haben:

  • Sie müssen den Kreuzungsbereich vorsichtig verlassen und einen möglicherweise einsetzenden Querverkehr sorgfältig beachten
  • Die Anforderungen an die Aufmerksamkeit erhöhen sich, je länger ein Nachzügler im Kreuzungsbereich stehen bleibt
  • Je länger sich ein Nachzügler im Kreuzungsbereich aufhält, desto eher muss er mit einem Phasenwechsel der Ampel und anfahrendem Querverkehr rechnen
  • Nach einer längeren Verweildauer darf ein Nachzügler nur dann weiterfahren, wenn er sich vergewissert hat, dass eine Kollision mit dem Gegen- oder Querverkehr ausgeschlossen ist

Im vorliegenden Fall sah das Gericht diese Anforderungen als nicht erfüllt an. Die Kia-Fahrerin sei unerwartet und zügig losgefahren, ohne auf das herannahende Fahrzeug des Klägers zu achten. Dadurch habe sie den Unfall in erheblicher Weise verschuldet.

Gericht sieht kein Verschulden beim Querverkehr

Beim klagenden Astra-Fahrer sah das Gericht dagegen kein Verschulden. Da die für ihn geltende Ampel bereits 19 Sekunden auf Grün gestanden habe, als er in die Kreuzung einfuhr und vor ihm bereits weitere Fahrzeuge aus seiner und der entgegenkommenden Richtung die Kreuzung passiert hätten, habe er auf eine freie Durchfahrt vertrauen können. Mit Nachzüglern aus dem Querverkehr brauchte er nicht mehr zu rechnen.

Fazit: Obwohl der beklagten Kia-Fahrerin kein Vorfahrtsverstoß nachgewiesen werden kann, haftet sie für den kompletten Schaden der durch den Zusammenstoß am querenden Fahrzeug entstanden ist.

(OLG Hamm, Urteil v. 26.08.2016, 7 U 22/16).

Kreuzungen haben es in sich: Besondere Gefahren gibt es in der Gelblichtphase und wenn der Vordermann falsch abbiegt, aber auch, wie in diesem Fall, wenn die Kreuzung verstopft ist.

Hintergrundwissen: Kreuzungsräumer

Die Verkehrsregelung durch Wechsellichtzeichen, die unabhängig von der konkreten Verkehrssituation erfolgt, kann dazu führen, dass bei Grün im Kreuzungsbereich hängen gebliebene Verkehrsteilnehmer, die Nachzügler, vorhanden sind.

Es besteht Einigkeit, dass diesen Verkehrsteilnehmern, den so genannten Kreuzungsräumern, die Gelegenheit gegeben werden muss, zu Lasten anderer Fahrzeuge die Kreuzung zu räumen.

Der Vorrang des Kreuzungsräumers bzw. Nachzüglers leitet sich (nur) aus § 11 Abs. 3 StVO ab, weshalb für den Vorfahrtsberechtigten im Hinblick auf den Kreuzungsräumer eine besondere Verkehrslage erkennbar sein muss und der Kreuzungsräumer sich über den Vorfahrtsverzicht des Berechtigten mit diesem verständigen muss (KG, Beschl. v. 12.5.2011 – 22 U 40/11

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  • Vielmehr darf er auf die Beachtung des Vorrechts, das häufig missachtet wird, nicht vertrauen. Beim Räumen der Kreuzung muss er auf den inzwischen frei gegebenen Querverkehr mit gesteigerter Aufmerksamkeit achten (vgl. BGHZ 56, 146; OLG Stuttgart VRS 27, 464; OLG Saarbrücken VRS 44, 446; KG VM 81, 75).
  • Da er sogar mit einem fliegenden Start des Querverkehrs rechnen muss (vgl. BGH VRS 34, 358)
  • ist der von ihm geforderte Sorgfaltsmaßstab hoch anzusetzen (KG, Beschl. v. 8.9.2008, 12 U 194/08).

(Quelle: Deutsches Anwalt Office Premium)

Haufe Online Redaktion

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