Sturz beim Kolonnenfahren – selbst schuld!
Vier Motorradfahrer fahren in einer Gruppe Kolonne. Der erste kollidiert in einer Kurve mit einem entgegenkommenden Fahrzeug. Zu Fall kommen auch die beiden nachfolgenden Fahrer. Lediglich der letzte rettet sich durch ein geschicktes Ausweichmanöver.
Verletzter Motorradfahrer verlangt Schadensersatz von Hintermann
Der zweite Fahrer der Kolonne erleidet starke Verletzungen. Sein Motorrad ist Schrott. Jetzt verlangt er von seinem Hintermann Schadensersatz. Denn er habe noch rechtzeitig abgebremst. Der Beklagte sei auf ihn aufgefahren und habe ihn mitgeschleppt. Beides sei nur passiert, weil der Beklagte den Sicherheitsabstand nicht eingehalten habe.
Eine sehr gewagte Begründung angesichts der tatsächlichen Situation. Denn der zugezogene Sachverständige konnte eindeutig feststellen, dass jeder der vier Gruppen-Fahrer den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat.
Fünf Meter Sicherheitsabstand waren viel zu wenig
29 Meter hätte der Sicherheitsabstand bei der Geschwindigkeit von 60 km/h betragen müssen. Tatsächlich waren es gerade einmal fünf Meter.
Das Gericht ging davon aus, dass alle Beteiligten in der Gruppe einvernehmlich ein besonderes Risiko eingegangen sind, um das entsprechende Gruppengefühl zu erreichen. Jedem der Gruppe hätte die gleiche Situation passieren können wie dem Kläger.
Unfall wurde durch Pulk-Fahrer billigend in Kauf genommen
Entscheidend ist: Sämtliche Teilnehmer der Gruppe nahmen billigend in Kauf, dass entweder sie selbst oder der hinter ihnen fahrende Fahrer bei einer Unfallsituation nicht ausreichend bremsen konnte und es mithin zu Schädigungen der anderen Gruppenteilnehmer kommen konnte.
In so einer Situation kann nicht einer mit einem höheren Haftungsrisiko belastet werden als ein anderer, wenn
- die allgemeine Gefahr, die mit der gemeinsamen Betätigung verbunden ist, von den Beteiligten bewusst auf sich genommen wird und
- dem einen kein größerer Vorwurf gemacht werden kann als dem anderen
Höhere Sturzrisiken unvermeidlich
Genau so stellte sich die Unfallsituation nach Auffassung des Gerichts dar. Das verabredungsgemäße Fahren im Pulk war besonders gefährlich, weil die Beteiligten damit auf den in der Straßenverkehrsordnung vorgeschriebenen Sicherheitsabstand zum Vorder- und Hintermann verzichteten. Dieses Verhalten geht unmittelbar und unweigerlich mit erhöhten Sturzrisiken einher.
Eine grobe Fahrlässigkeit des beklagten Motorradfahrers sah das Gericht nicht. Dass dieser nicht ausreichend gebremst habe, sei lediglich darauf zurückzuführen, dass er aufgrund des nicht eingehaltenen Sicherheitsabstandes nicht mehr reagieren konnte.
Fazit des Gerichts: Die Beteiligten haben sich durch ihr Verhalten stillschweigend auf eine gemeinsame Regelverletzung geeinigt: die Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes. Daraus folgt zwingend ein Verzicht auf Schadensersatzansprüche aus einer derartigen Regelverletzung. Auch sind Ansprüche aus Gefährdungshaftung gemäß § 7 StVG ausgeschlossen.
Der verletzte Motorradfahrer hat folglich keine Ansprüche gegen seinen hinter ihm fahrenden Pulk-Kollegen.
(OLG Frankfurt, Urteil v. 18.08.2015, 22 U 39/14).
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