Grüne bAV – wie nachhaltig sind aktuelle Vorsorgelösungen wirklich?
Unternehmen müssen alle Kräfte bündeln, um die Folgen der Energiekrise zu managen. Da rückt das Thema Nachhaltigkeit in den Hintergrund. Vorerst. Denn die Anforderungen der Stakeholder nehmen hier weiter zu, sei es vonseiten des Gesetzgebers, der Kunden und Lieferanten oder eigener und künftiger Mitarbeitender. Die Aktionsfelder reichen von der Unternehmensführung über den betrieblichen CO2-Fußabdruck und Energieverbrauch bis hin zum Angebot von Sozialleistungen, besonders zur Gesundheitsförderung und der bAV.
Wie in der Wirtschaft gibt es auch im Finanzsektor Nachhaltigkeitspioniere, Mitläufer und Nachzügler. Derart ordnete jüngst Michael Franke, geschäftsführender Gesellschafter von Franke und Bornberg, die Lage in der Branche ein. Das Analysehaus hat einen „ESG-Report“ veröffentlicht, an dem 26 Versicherungsgesellschaften teilgenommen haben, die für 50 Prozent der gebuchten Bruttobeiträge stehen. Betrachtet wurden der Ressourcenverbrauch im eigenen Betrieb, die Mitarbeiterorientierung und Kapitalanlagestrategien. Überall ergab sich ein differenziertes Bild. Die Konsequenz für die bAV: Je nachdem, wie grün die Lösung sein soll, müssen Berater und Arbeitgeber tief in die Materie eintauchen, um einen passenden Anbieter samt Produktlösung zu finden. „Bei allen Versicherern fehlt noch eine ausreichende Transparenz“, sagt Volkmar Haegele, der seit vielen Jahren über „ gruenvorsorgen.de“ Alternativen zu konventionellen Produkten anbietet. „Die Angaben der Versicherer bewegen sich oft zwischen Marketing und tatsächlichen Nachhaltigkeitsanforderungen. Da tun sich Versicherer durchweg schwer“, ergänzt der Versicherungsmakler und zertifizierte Nachhaltigkeitsberater. Auch bei vielen Vorsorgesparern schlagen diese Defizite negativ zu Buche, wie eine repräsentative Studie zeigt. Die gesetzlich seit August dieses Jahres verpflichtende Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen greift bei staatlich geförderten Produkten, also der Basis- und Riester-Rente sowie der bAV, nicht.
Sicherungsvermögen im Blick – doch der ist getrübt
Ab 2023 könnte sich, so Haegele, die Situation verbessern: Die Umsetzung des neuen „European Sustainability Reporting Standard“, kurz ESRS-Richtlinie, fordert von den Unternehmen eine gründlichere Nachhaltigkeitsberichterstattung. Das wäre wichtig, da Lebensversicherer vor allem über Direktversicherungen das größte Angebot an „grünen“ bAV-Lösungen stellen, teils ergänzend über Unterstützungs- und Pensionskassen aus dem Konzernverbund.
Charakteristisch für die bAV ist nach wie vor eine Kapitalgarantie, die infolge der jahrelangen Niedrigzinsphase gewöhnlich bei maximal 80 Prozent der eingezahlten Beiträge liegt. Um diese Kapitalgarantien sicherzustellen, sind Versicherer gezwungen, einen Teil der eingezahlten Beiträge in ihrem vornehmlich konservativ ausgerichteten Sicherungsvermögen anzulegen. „Abzüglich der Kosten steht damit in der Regel maximal die Hälfte der Beiträge für ein Investment in Nachhaltigkeitsfonds innerhalb des Vertrags zur Verfügung“, sagt Gottfried Baer, der bereits 2010 die Mehrwert GmbH gründete, einen grünen Anbieter von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen. Sein Fazit: „Deshalb kann die bAV nur dann richtig grün sein, wenn auch das Kapital im Sicherungsvermögen nachweislich nachhaltig angelegt ist.“
Unterschiede auch in Sachen Transparenz
Das Problem: Die meisten Lebensversicherer stecken mitten in der grünen Transformation ihrer Kapitalanlagen, da dies nur schrittweise möglich ist. Nachfragen bei einigen Lebensversicherern, die hier verstärkt unterwegs und teils bei den Nachhaltigkeitsexperten auf dem Schirm sind, offenbaren Unterschiede auch in Sachen Transparenz. So verweist man bei der LV 1871 lediglich darauf, dass ökologische, soziale sowie Kriterien der guten Unternehmensführung (ESG-Kriterien) neben der reinen Wirtschaftlichkeitsanalyse im Rahmen der Anlageentscheidungen und des Portfoliomanagements berücksichtigt werden. Der Lebensversicherer bietet seit einigen Monaten eine „Klimarente“ auch als Direktversicherung an, die in fünf Investmentfonds des grünen Fondsanbieters Ökoworld investiert. Mit U-Kasse, Pensionszusage und Direktversicherung offeriert die Stuttgarter ein umfassendes nachhaltiges bAV-Angebot. Ihre Direktrente gibt es in vier Ausprägungen mit unterschiedlichen Sicherheits-Risiko-Profilen. Über den Anteil nachhaltiger Investments im Sicherungsvermögen hält man sich bedeckt, beziffert immerhin das Volumen auf 391 Millionen Euro, Stand Anfang 2022.
„Die Bedeutung der ESG-Kriterien wächst in der Anlagepolitik deutlich an“, heißt es beim Volkswohl Bund, der zwei fondsgebundene und eine klassische Variante unter seiner grünen Marke „Next“ auch innerhalb der bAV offeriert. Frederick Krummet, Leiter Corporate Employee Benefits bei der Axa, sagt: „Der Abdeckungsgrad der ESG-Bewertungen innerhalb der Sicherungsvermögen liegt bei etwa 80 Prozent, berechnet nach dem gewichteten durchschnittlichen Vermögensallokationsmix“, und verweist auf die „Relax-bAV-Rente“. Die Wahl grüner Investmentoptionen vorausgesetzt, sei das Produkt von den Analysehäusern Zielke Research und Morgen & Morgen „als nachhaltig gestaltbares Versicherungsprodukt“ ausgezeichnet worden.
„Für das Sicherungsvermögen werden derzeit bei über 80 Prozent ökologische und soziale Merkmale berücksichtigt“, sagt Jürgen Bierbaum, Vorstand der Alte Leipziger Lebensversicherung, und meint damit verpflichtende Kriterien vornehmlich für Aktien und Anleihen, die in der Nachhaltigkeitsstrategie für die Kapitalanlage festgelegt sind. Anfang August hat der Versicherer ein nachhaltiges Fondsrentenkonzept lanciert, das laut Bierbaum auch in der bAV verfügbar ist.
Und der Marktführer? „Unsere Stärke ist unsere Größe und damit unser Einfluss als Investor, den wir für eine wirkliche Veränderung in der Realwirtschaft einsetzen und nicht nur, um ein Portfolio zu transformieren“, heißt es vonseiten der Allianz Lebensversicherung. Unter Zugriff auf eine Reihe nachhaltiger Fonds wird seit Juli 2021 die Police Invest-Flex Green auch innerhalb der bAV bereitgestellt.
Nachhaltigkeitsleitlinien bringen Transparenz
Drei Versicherer haben sich hingegen für einen anderen Weg entschieden: So verfügt die Concordia Oeco Lebensversicherungs-AG, Tochtergesellschaft der ebenfalls in Hannover ansässigen Concordia Versicherungen, über ein separates komplett nachhaltig gemanagtes Sicherungsvermögen, das nach transparenten Nachhaltigkeitsleitlinien angelegt und durch einen externen Nachhaltigkeitsbeirat überwacht wird. Die Signal Iduna Lebensversicherung AG ist Anfang dieses Jahres als neu gegründete Nachhaltigkeitstochter der gleichnamigen Versicherungsgruppe an den Start gegangen. Die Bayerische wiederum verfügt bereits über ein nach Artikel 8 der EU-Offenlegungsverordnung zertifiziertes Sicherungsvermögen, auf das die Direktversicherung und die Unterstützungskasse der Nachhaltigkeitstochter Pangaea Life zugreifen. Beide bAV-Produkte von Pangaea Life eröffnen mit zwei thematisch fokussierten Sachwertefonds einen anderen Investmentzugang:
Die Fonds investieren direkt in Erneuerbare-Energien-Projekte beziehungsweise in nachhaltige Immobilien. Beide Nachhaltigkeitsexperten begeistert der damit verbundene Impact besonders beim „Blue Energy“-Fonds: „Als Betreiber erzielt Pangaea Life eine messbare Verringerung von CO2-Emissionen“, sagt Haegele. „Der Arbeitnehmer wird hier mit seiner bAV quasi zum Ökostromproduzenten“, betont Baer. Concordia folgt hingegen beim Fondsangebot dem grünen Mainstream und setzt auf eine konzentrierte Palette von acht nachhaltigen Investmentfonds verschiedener Anbieter.
Bei jungen Leuten punkten
Beinhalten grüne Policen per se einen Renditenachteil? „Im Gegenteil“, betont der Versicherungsmakler und verweist auf wesentlich höhere Nachhaltigkeitskosten in der Zukunft. „Wenn Fonds in Unternehmen investieren würden, die über keine Nachhaltigkeitsstrategie verfügen oder entsprechende Maßnahmen umsetzen, werden sie zum Risiko im Fondsportfolio“, erläutert Haegele und begründet dies vor allem mit Kosten durch gesetzliche Auflagen, Wettbewerbsnachteilen und geringerem Anlegerinteresse. Auch im Hinblick auf Vertragskosten und Flexibilitäten während der Anspar- und Rentenphase stünden grüne bAV-Lösungen ihren klassischen Pendants in nichts nach. „Der einzige Bereich, in dem es signifikante Unterschiede geben kann, ist die Finanz- und Ertragskraft der Versicherer“, sagt Baer. Hier hilft ein Blick in die Unternehmens-Ratings von Assekuranz-Analysehäusern.
Grüne bAV: Lösung muss den Anforderungen entsprechen
Entscheidend für Arbeitgeber ist am Ende, dass sie eine grüne bAV-Lösung finden, die ihren Anforderungen entspricht. Bei der Produktvielfalt ist zwar noch Luft nach oben, aber die Auswahl nimmt zu. Ist dann die passende Lösung gefunden, stehen Arbeitgebern erweiterte Möglichkeiten offen, ihre grüne bAV personalpolitisch zu nutzen. „Gerade junge Leute achten darauf, wie nachhaltig ihr Arbeitgeber agiert“, betont Baer aus eigenen Erfahrungen.
Oliver Bergner, Geschäftsführer von Barth-Haas, einem mittelständischen Produzenten von Hopfenprodukten mit rund 420 Beschäftigten, bestätigt das. Zusätzlich zum bestehenden bAVAngebot aus Direktversicherung, Pensions- und U-Kasse entschied er sich, eine grüne bAV-Lösung und erstmals auch Tarife mit verschiedenen Garantieniveaus anzubieten. „Mehr als jeder zweite Beschäftigte, der sich für eine Direktversicherung entschieden hat, hat einen grünen Tarif gewählt“, sagt Baer und fügt hinzu, dass Nachhaltigkeit vor allem bei jungen Leuten ein Thema sei: „Das merke ich auch bei Bewerbungsgesprächen, da reicht es nicht, nur einen Nachhaltigkeitsbericht vorzulegen, denn immer öfter werben wir als Arbeitgeber um den Bewerber.“
Die bAV kann nur grün sein, wenn auch das Kapital im Sicherungsvermögen nachweisbar nachhaltig angelegt ist.
(Gottfried Baer, Geschäftsführer Mehrwert GmbH)
„Viele Arbeitgeber sind überrascht, dass sich eine grüne bAV einfach neben einer bestehenden installieren lässt“, sagt der Mehrwert-Geschäftsführer. Das Neugeschäft läuft dann komplett nachhaltig oder der Arbeitgeber lässt der Belegschaft weiterhin die Wahl. So oder so wird das Unternehmensimage gestärkt. Laut Baer gilt das besonders, wenn die grüne bAV in die betriebliche Nachhaltigkeitsstrategie integriert werden kann, zum Beispiel im Hinblick auf eine Senkung des CO2-Fußabdrucks. Besonders überzeugend wirke es, wenn Arbeitgeber ihren bAV-Zuschuss deutlich auf beispielsweise 50 Prozent heraufsetzen. „Wir rechnen Unternehmen dann vor, dass ihr tatsächlicher Aufwand, also die Differenz zwischen Zuschüssen und Sozialabgabenersparnis, im Verhältnis zur gesamten Lohnsumme vergleichsweise gering ausfällt“, berichtet der Nachhaltigkeitsexperte und fügt hinzu: „Gleichzeitig brauchen dann die Arbeitnehmer deutlich weniger als die Hälfte ihrer betrieblichen Vorsorgebeiträge aus ihrem Nettogehalt zu bestreiten – und das überzeugt nachhaltig.“
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Dieser Beitrag ist zuvor im Sonderheft "Personalmagazin plus: Betriebliche Altersversorgung" erschienen, das Sie hier kostenlos als PDF herunterladen können.
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