„Nachhaltigkeit sollte nicht jeder für sich selbst definieren müssen“
Würth Modyf, eine hundertprozentige Tochter des Würth Konzerns, hat knapp 440 Mitarbeitende an sieben Standorten in Deutschland, Spanien, Portugal, Frankreich, Norwegen, Italien und in der Schweiz. Ein Nachhaltigkeitsbericht ist bei der Unternehmensgröße nicht zwingend erforderlich. Warum wollten Sie trotzdem einen erstellen?
Melanie Röger: Nachhaltigkeit betrachten wir als Teil unserer Geschäftsstrategie und unserer Unternehmenskultur. Wir tragen Verantwortung gegenüber unseren Kundinnen und Kunden, Kolleginnen und Kollegen und auch bei der Herstellung in der Wertschöpfungskette.
Veronika Kromm: Nachhaltigkeit ist die Basis unseres Schaffens. In dem Nachhaltigkeitsbericht möchten wir unsere diesbezügliche Vision und den Nachhaltigkeitsstrategieprozess veröffentlichen.
Was war der Auslöser für Würth Modyf, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen?
Melanie Röger: Wir haben vor vier Jahren eine Nachhaltigkeitsbeauftrage eingestellt, die im Produktmanagement angesiedelt war. Wir dachten zunächst an nachhaltige oder recycelte Materialien, hatten also noch eine sehr enge Perspektive. Aber die Mitarbeiterin hat dann richtig Gas gegeben und das Thema überall platziert. So kam bei uns die Diskussion auf, wie wir aus dem Thema ein Alleinstellungsmerkmal schaffen können. Uns war klar, dass wir ein einheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit brauchen – auch über die verschiedenen Standorte hinweg. Allein schon, weil wir ein relativ einheitliches Produktsortiment haben. Mit Unterstützung der Vaude Academy haben wir dann einen größeren Strategieprozess gestartet. Parallel sind wir natürlich auch im engen Austausch mit dem Nachhaltigkeitsmanagement der Würth-Gruppe.
Gibt der Konzern Ziele vor?
Melanie Röger: Mittelfristig wird das sicherlich so kommen. Der Fokus in der Würth-Gruppe liegt dabei in der Transformation zu einer zirkulären Wirtschaft, in der Rohstoffe, Materialien und Produkte in Kreisläufen zirkulieren, ohne dabei an Verfügbarkeit, Qualität und Wert zu verlieren. Wir sind für die Würth-Modyf-Gruppe schon sehr weit in der klaren Zieldefinierung und werden uns dann natürlich entsprechend in die Würth-Gruppe integrieren.
Verständnis auf Managementebene schaffen
Wer ist in dem Fall „Wir“ – also wer ist bei Würth Modyf für die Nachhaltigkeitsstrategie verantwortlich?
Melanie Röger: Unsere ursprüngliche Nachhaltigkeitsbeauftragte ist in Elternzeit. Veronika Kromm hat gerade ihr Bachelorstudium abgeschlossen und einen Teil der Aufgaben übernommen – die Nachhaltigkeitskommunikation, das Controlling und das Handlungsfeld Mitarbeitende. Wir haben zudem eine Stelle für internationales Nachhaltigkeitsmanagement und sind auf der Suche nach einer Person mit dem Schwerpunkt Lieferkette. Daneben gibt es ein internationales Nachhaltigkeitsgremium. Jede Landesgesellschaft von Würth Modyf hat eine Person definiert, die sich dem Thema widmet. Denn hier müssen wir erst einmal Verständnis auf Managementebene schaffen.
Ist das aktuell der Hauptfokus oder was steht auf der Agenda?
Veronika Kromm: Wir haben für uns die Handlungsfelder Klima, Produkte, Lieferkette, Mitarbeitende und Verpackungen definiert. Diese wurden 2019 für eine Art Start-Bericht zum Thema Nachhaltigkeit erarbeitet und daran orientieren wir uns weiterhin. Im Rahmen meiner Bachelorarbeit habe ich eine Wesentlichkeitsanalyse erstellt und die Stakeholder befragt, wie wichtig welche Handlungsfelder sind.
Melanie Röger: Auf der Basis haben wir uns einige To-Dos auferlegt und erkannt: Unser erster Schritt ist das Thema Mitarbeitende. Nachhaltigkeit muss im Unternehmen gelebt werden. Und da brauchen wir jeden Einzelnen. Alle Beschäftigten können etwas beitragen.
Das Verständnis: Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil
Wie ist es denn um das Verständnis der Beschäftigten beim Thema Nachhaltigkeit bestellt?
Melanie Röger: Prinzipiell ist das Verständnis da. In den Medien ist das Thema ja präsent. Deshalb ist den Beschäftigten klar: Heute können wir vielleicht noch einen Wettbewerbsvorteil daraus ziehen, uns nachhaltig aufzustellen. In ein paar Jahren ist der Zug abgefahren. Dann haben wir nicht nur Nachteile am Markt, sondern sind gegebenenfalls komplett abgehängt, weil wir das Momentum verpasst haben.
Gerade das Management wird häufig an ökonomischen Zielen gemessen. Inwiefern kommt es da zu Widerständen gegen die Nachhaltigkeitsstrategie? Schließlich ist es leider so, dass Nachhaltigkeit oft mehr kostet als konventionelle Produktion…
Melanie Röger: Unsere Führungskräfte sperren sich nicht, im Gegenteil. Viel eher ist es eine große Herausforderung, nachhaltiges Handeln im Unternehmen umzusetzen. In manchen Bereichen haben wir schon Angebote, die auf Nachhaltigkeit einzahlen, wie Mobile Office und Weiterbildungsangebote für Mitarbeitende. In anderen Bereichen ist die Umsetzung von Maßnahmen komplexer.
Inwiefern braucht man für Nachhaltigkeit mehr Personal?
Melanie Röger: Im Produktmanagement geht der Weg vom Generalisten- zum Spezialistentum. Man muss sich viel spezifischer aufstellen, um die nötigen Schritte gehen zu können – da gibt es dann Fachleute für nachhaltige Produktentwicklung. Dafür müssen erst die Grundlagen, wie zum Beispiel Design Guidelines erarbeitet werden. Das sollte nicht jeder für sich selbst definieren müssen. Früher sollte ein Produkt vor allem gut aussehen. Jetzt beginnt man mit der Nachhaltigkeit des Materials und dem CO2-Fußabdruck. Das ist eine neue Herangehensweise, für die wir teilweise Kapazitäten aufbauen müssen.
Audits in der Lieferkette: Ganz andere Fragen als früher
Wie realistisch ist es, derartige Nachhaltigkeitsstrategien auch in den Lieferketten gewährleisten zu können? Oder anders gefragt: Sind auch die Zulieferer bereit, sich hier neu auszurichten?
Veronika Kromm: Im Zuge der Wesentlichkeitsanalyse haben wir auch die Lieferanten befragt. Für uns war es überraschend, dass die Lieferanten unsere Handlungsfelder im Vergleich zu Kunden und Mitarbeitenden insgesamt als deutlich wichtiger bewertet haben.
Melanie Röger: Aber natürlich kommen da auch Herausforderungen auf uns zu. Wir haben ein Techniker-Team, das Audits in Asien bei unseren Lieferanten durchführt. Das Team muss jetzt ganz andere Fragen stellen und Dinge prüfen. So war der Fokus früher auf die Produktionsqualität und den Produktionsprozess, geht es heute auch um viele soziale Faktoren, wie zum Beispiel die Entlohnung der Mitarbeitenden vor Ort in der Produktion oder die Möglichkeiten der Sozialräume.
Wie geht man am besten damit um, wenn Lieferanten die Vorgaben nicht oder noch nicht erfüllen?
Melanie Röger: Es ist sicherlich nicht zielführend, die Lieferanten und Produzenten einfach zu wechseln. Dadurch verändert sich gar nichts. Denn dann fokussieren sich alle auf diejenigen Produzenten, die schon nachhaltig wirtschaften. Wir müssen eng mit unseren Zulieferern zusammenarbeiten und sie überzeugen, dass sie sich mit uns gemeinsam entwickeln. Diesbezüglich haben wir viel von der Vaude Academy gelernt.
Wie sah der Lernprozess aus?
Melanie Röger: Wir haben unterschiedliche Impulse vom Vaude Strategieprozessbekommen – unsere Führungskräfte und Mitarbeitenden aus der Personalabteilung waren zwei Tage in dem Unternehmen vor Ort. Vaude hat sich 2009 schon Nachhaltigkeitsziele gesetzt – sie sind uns einfach 13 Jahre voraus. Wir haben deren Erkenntnisse auf unsere spezifische Situation bei Würth Modyf übertragen und überlegt, was das für uns konkret heißt. Auf der Basis haben wir einen sechstägigen Workshop aufgebaut, in dem es um den weiteren Strategieprozess und um unsere konkreten Ziele ging, diese zu priorisieren, formulieren und zu verabschieden.
Veronika Kromm: So haben wir uns Ziele und Maßnahmen bis 2030 vorgenommen.
In der Praxis ist aber nicht so einfach, konkrete Ziele zu formulieren. Schon allein beim Thema CO2-Bilanzierung ist ja die Frage, welche Maßstäbe man setzt und wie man misst – auch international…
Melanie Röger: Absolut. Wir sind in der Gruppe an den verschiedenen Standorten an einem unterschiedlichen Punkt im Bereich Nachhaltigkeit. Trotzdem haben wir gemeinsame Ziele definiert. Jetzt sind wir gerade auf der Suche nach einem System, das wir standortübergreifend nutzen können.
Veronika Kromm: Die Klimabilanz ist Teil des Nachhaltigkeitscontrollings. Die erforderlichen Kennzahlen wurden von mir in der Nachhaltigkeitsberichterstattung eingeholt. Für den gruppenweiten Nachhaltigkeitsbericht im Jahr 2024 soll dieses Vorgehen auf alle Landesgesellschaften erweitert werden.
Nachhaltigkeitskommunikation in die Organisation tragen
Wie trägt man die Ziele als Unternehmen so in die Organisation, dass alle sie verstehen und auf ihren Bereich anwenden können?
Veronika Kromm: Um die Nachhaltigkeitskommunikation zu verbessern, haben wir im Intranet abteilungsübergreifend Informationen zur Verfügung gestellt. Außerdem ist das Nachhaltigkeitsgremium ein Sprachrohr für die Strategie. Jede Abteilung konnte für sich ein Statement zur nachhaltigen Strategie abgeben. Wir arbeiten hier auch sehr eng mit der Personalabteilung zusammen. Denn es geht einerseits darum, allen Mitarbeitenden aufzuzeigen, was wir in Bezug auf Nachhaltigkeit erreichen möchten. Wir haben auch ein New-Work-Projekt gestartet, in dem es unter anderem um einen nachhaltigen Umgang mit der eigenen Gesundheit geht.
Ist New Work aus Ihrer Sicht ein Nachhaltigkeitsthema?
Veronika Kromm: New Work ist in HR angesiedelt, aber wir geben aus der Nachhaltigkeitsperspektive Rückmeldung, zum Beispiel aus dem Nachhaltigkeitsgremium heraus.
Melanie Röger: Wir wollen das Thema Unternehmenswerte und unsere nachhaltige Strategie in unseren Gesprächen mit den Mitarbeitenden integrieren. Führungskräfte sollen unsere Grundphilosophie ansprechen, besonders ehrliche Kommunikation und Konfliktmanagement. Im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement wird es immer wieder Konflikte geben.
Welche Konflikte sind das konkret?
Melanie Röger: Wir wissen noch nicht genau, was da auf uns zukommt. Aber haben auch hier viel von der Vaude Academy gelernt, die ihre Erfahrung mit uns geteilt haben. Wenn es zum Beispiel darum geht, dass Teile des Marketingbudgets in Nachhaltigkeit investiert werden muss. Wir möchten eine Grundlage schaffen, um das Thema offen anzusprechen und auf gute Weise Feedback zu geben. Dafür brauchen wir Menschen, die Spaß dran haben, das Thema voranzutreiben. Eine positive Grundeinstellung zu Nachhaltigkeit ist eine Grundvoraussetzung. Gerade baut die Personalabteilung unsere Telefoninterviews und Erst-Gespräche im Recruiting entsprechend um, um genau diese Merkmale abzufragen.
Die Zeit der Genies, die als Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer tolle Produktideen aufbringen, ist also mit dem Thema Nachhaltigkeit vorbei?
Melanie Röger: Ob sie ganz vorbei ist, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Aber Menschen, die nicht veränderungsbereit sind und nicht offen für Neues, werden es schwer haben. Wir möchten niemanden umbiegen. Bei uns im Unternehmen muss niemand „grün“ herumlaufen. Aber ich hoffe schon, dass wir den Menschen verständlich machen können, dass es für Nachhaltigkeit nicht viel bringt, wenn sie alleine vor sich hinarbeiten. Das ist die Aufgabe von Führung.
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