Wo kriegen Unternehmen jetzt schnell Nachhaltigkeits-Profis her?
Schon bald werden wegen der neuen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU allein in Deutschland rund 15.000 Unternehmen erstmals eine professionelle Nachhaltigkeitsberichterstattung vorlegen müssen. Auch das Lieferkettengesetz, die Stakeholder und nicht zuletzt die Kundschaft erhöhen den Druck auf Unternehmen, ihre Nachhaltigkeit glasklar unter Beweis zu stellen. Also steigt die Nachfrage nach Menschen, die in den Firmen dafür sorgen, dass nachhaltig gewirtschaftet und dies auch dokumentiert wird. Wie und wo aber finden sich diese Menschen und was müssen sie eigentlich können?
Titelwirrwarr und Studiendickicht
Das Dilemma fängt eigentlich schon damit an, dass das Kind keinen Namen hat. Oder besser: Es hat viele Namen. Zum Beispiel CSR-Verantwortlicher, Sustainability-Managerin oder Nachhaltigkeitsbeauftragter. Wir haben für diesen Artikel bei der Online-Jobbörse Stepstone nachgefragt, wie sich die Nachfrage nach Mitarbeitenden rund um das Thema CSR/Nachhaltigkeit/Sustainability in den vergangenen 24 Monaten entwickelt hat. Die abschlägige Antwort: Das Thema sei zwar in der Tat sehr spannend, würde aber „aufgrund der semantischen Komplexität eine sehr umfangreiche Analyse erfordern.“
Kurzum: Es gibt verschiedene Bezeichnungen für die neu zu schaffende Position und es fehlt offenbar der Überblick. Die Namensvielfalt hat mit der Ausbildungsvielfalt zu tun. Wer beispielsweise „Ausbildung“ und „Nachhaltigkeit“ googelt, erhält sagenhafte 48,9 Millionen Treffer in 0,52 Sekunden. Wer bei studi.info nach Berufsbildern rund ums Nachhaltigkeitsmanagement recherchiert, trifft auf Vorschläge von A wie Angewandte Nachhaltigkeitswissenschaften (SRH Hochschule in Nordrhein-Westfalen, Abschluss: Master) bis W wie Wirtschaftsingenieur/in Umwelt und Nachhaltigkeit (Beuth Hochschule Technik, Berlin, Abschluss: Bachelor). Die Agentur für Arbeit listet allein 52 Studienangebote zum Suchbegriff „Nachhaltigkeitsmanagment (weiterführend)“ auf.
Nichts für nebenbei
Angesichts dieser Bandbreite die richtige Person zu finden, ist schwierig. Also haben in der Vergangenheit viele Unternehmen Manager aus dem Controlling, der Rechtsabteilung oder der Unternehmenskommunikation mit Nachhaltigkeitsaufgaben betraut. Das allerdings ist keine zukunftsfähige Lösung, denn erstens sind die Aufgaben rund um CSR sehr komplex, zweitens kann niemand sie nebenbei zum eigentlichen Job mal eben mit erledigen und drittens erfordern sie spezifische Kompetenzen.
Unternehmen, die den obersten Nachhaltigkeitsposten mit einer internen Person besetzen wollen, müssen sie also weiterqualifizieren und dafür Sorge tragen, dass sie intern akzeptiert wird.
Praxiserfahrung ist Trumpf
Was muss jemand, der eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln und umsetzen soll, eigentlich können? „Die Unternehmen brauchen eine erfahrene Führungskraft mit hoher Professionalität aus der Praxis“, ist Stephan Lang, Partner beim Executive-Search-Spezialisten Indigo Headhunters, überzeugt. „Sie muss auf Augenhöhe mit gestandenen Top-Managern kommunizieren können, einen strukturierten, klaren Blick haben und mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft halten können.“
Zudem braucht diese Führungskraft natürlich Fachwissen und sie muss strategisch stark sein, eine hohe Analysefähigkeit mitbringen und zudem auch noch betriebswirtschaftlich und unternehmerisch denken. Sustainability-Nachwuchs frisch von der Uni scheidet damit für die Top-Nachhaltigkeits-Position im Unternehmen in der Regel erst einmal aus.
Die Führungskraft muss auf Augenhöhe mit gestandenen Top-Managern kommunizieren können, einen strukturierten, klaren Blick haben und mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft halten können.
Stephan Lang empfiehlt Personalverantwortlichen, sich zum Beispiel in der eigenen Branche nach geeigneten Kandidatinnen oder Kandidaten umzusehen, denn jede Branche steht vor ganz eigenen Nachhaltigkeits-Herausforderungen (es sei denn, es geht um reine Governance-Themen, dann kann man den Branchenfokus außer Acht lassen.)
Während sich beispielsweise die Automobilindustrie derzeit insbesondere mit der Dekarbonisierung beschäftigt, ist in der Modebranche das Thema Kinderarbeit und Menschenrechte ganz oben auf der Agenda. Es lohnt sich also zu schauen:
Welche Unternehmen haben das Thema Sustainability in der eigenen Branche besonders gut im Griff?
Wer ist dort dafür verantwortlich?
Der Wettbewerb nimmt zu – und damit der Vergütungsdruck
Voraussetzung dafür, eine erfahrene Kraft aus einem anderen Unternehmen erfolgreich abzuwerben, ist erstens die Ernsthaftigkeit der Aufgabe, zweitens der Rückhalt in der Unternehmensspitze und drittens – nachgeordnet – ein angemessenes Jahressalär. Das könne, so die Erfahrung des Headhunters, zwischen 160.000 Euro in KMU und 400.000 Euro oder mehr auf Top Management-Level in globalen Konzernen liegen. „Die meisten, die diese Positionen besetzen, haben eine intrinsische Motivation – das nimmt den Druck auf das Vergütungsthema. Allerdings wird der Wettbewerb um diese Köpfe stark zunehmen und je mehr sie nachgefragt werden, desto höher steigt die Vergütung“, sagt Lang.
Unternehmen, die unter hohem Zeitdruck stehen – und das sind angesichts der stufenweise wirksam werdenden CSRD sehr viele – können auf die Schnelle auch die Dienste von Beratungsunternehmen in Anspruch nehmen. Auf lange Sicht ist das wenig sinnvoll, denn das Thema Nachhaltigkeit wird in den kommenden Jahren immer wichtiger werden, es lohnt sich also, das Wissen im eigenen Haus aufzubauen und zu erhalten.
Auch dafür gibt es Berater. Zum Beispiel Detlef Rump. Der 58-Jährige ist Werber, war jahrzehntelang Chef renommierter Network-Agenturen und ist ein klassischer Quereinsteiger ins Nachhaltigkeitsthema. „Bisher habe ich Unternehmen dabei geholfen, den Konsum anzukurbeln und Umsatz zu machen, jetzt will ich ihnen dabei helfen, die Welt zu retten“, sagt er.
Je nach Komplexität brauchen Unternehmen einen Zwölfender oder zumindest jemanden, der sich tief ins Thema hineinarbeitet.
Laut Rump stehen viele Unternehmen derzeit vor der Aufgabe, erst einmal eine Bestandsaufnahme in puncto Nachhaltigkeit zu machen – angefangen beim Personal über die Lieferketten bis hin zum Emissionsausstoß. Das ist aufwändig, kostet Zeit und muss absolut solide sein. „Je nach Komplexität brauchen Unternehmen dafür einen Zwölfender oder zumindest jemanden, der sich tief ins Thema hineinarbeitet“, ist Rump überzeugt. Er prognostiziert einen Systemwandel in Unternehmen, denn über kurz oder lang werden alle das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf ihre Agenda setzen müssen. Es empfiehlt sich also, spätestens jetzt damit zu beginnen, intern Expertise aufzubauen.
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