„Die eigene Nachhaltigkeitsagenda kann man nirgends kopieren“
In diesem Jahr feiert Sport Conrad sein 125-jähriges Bestehen. Seit einigen Jahren engagiert sich das Traditionsunternehmen verstärkt für Nachhaltigkeit. Was bedeutet das für einen stationären Händler mit Online-Shop?
Als Familienunternehmen hat Sport Conrad schon immer verantwortungsbewusst gewirtschaftet und gehandelt. Dabei streben wir eine Balance zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialen Aspekten an. 2018 startete unsere Initiative „Wir denken um“ – vor allem getrieben von unserer Geschäftsführung, dem Geschwisterpaar Christina Lindner und Hans Conrad. Seither sind wir verstärkt in den Austausch mit dem Markt gegangen, etwa mit verantwortungsvoll handelnden Marken wie Patagonia oder Vaude. Und wir haben unseren CO2-Fußabdruck gemessen. Das Nachhaltigkeitsengagement richtet sich also nach außen und innen.
Wie kann man die verschiedenen Outdoor-Marken gemäß Nachhaltigkeit bewerten?
Wir haben mehr als 350 Marken im Sortiment und befragen alle zu Kriterien in drei Bereichen: Zunächst Verantwortung und Fairness, also den Arbeitsbedingungen innerhalb der gesamten Lieferkette. Dann Umwelt und Klima. Da möchten wir wissen, was die Produzenten diesbezüglich unternommen haben. Und drittens Reporting und Transparenz, denn das Ganze muss irgendwie belegbar sein. Wir haben einen Fragenkatalog mit unseren Anforderungen aufgestellt. Und wenn ein Unternehmen oder eine Marke das erfüllt, dann zeichnen wir sie mit unserem Label „Wir denken um“ aus. Damit möchten wir mehr Sichtbarkeit für Nachhaltigkeitsanstrengungen erreichen.
Das ist aber kein verifiziertes Label, sondern eine interne Initiative von Sport Conrad?
Ja. Wir möchten damit zeigen, dass wir mit den Lieferanten in den Austausch gehen und genau auf das Thema schauen. So vermitteln wir glaubhaft, dass wir uns Gedanken über die Nachhaltigkeit unseres Sortiments machen – perspektivisch wird unser Einkauf speziell nach Nachhaltigkeitskriterien einkaufen. Auch wir möchten unsere Kundinnen und Kunden sensibilisieren und Entscheidungshilfen beim Einkauf geben. Wir haben uns vorgenommen, der nachhaltigste Outdoor-Händler im alpinen Raum mit alpinen Produkten zu sein. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir eine Roadmap bis 2030 erarbeitet, mit diversen Unter- und Zeitzielen, Maßnahmen und Verantwortlichkeiten.
Herausforderung: Nachhaltigkeits-Aussagen von Herstellern bewerten
Gerade in der Lieferkette haben die Produzenten selbst ja schon Probleme, die Nachhaltigkeit zu bewerten. Wie kann man deren Aussagen in Bezug auf Nachhaltigkeit denn überprüfen?
Im Moment müssen wir uns auf das Wort der Hersteller verlassen. Wir arbeiten mit Marken zusammen, bei denen eine Vertrauensbasis besteht. Zudem führen wir in Kürze einen verpflichtenden Verhaltenskodex auf Basis internationaler Rahmenwerke ein. Im Bereich Reporting und Transparenz schauen wir auch auf Siegel und Nachhaltigkeitsberichterstattung. Und wir fragen genau nach. Die größte Herausforderung ist dabei der Unterschied zwischen Textilmarken und Hartwaren – also etwa Skier, Elektrogeräte oder Fahrräder.
Warum ist das eine Herausforderung?
Im Textilbereich – wir zählen auch Rucksäcke und Zelte dazu – tut sich seit Jahren schon ganz viel. Da gibt es bereits zahlreiche Siegel und Auditierungen wie Fair Ware Foundation, DSCI oder GOTS. Bei der Hartware stehen wir diesbezüglich erst am Anfang. Es ist schwieriger, von den Lieferanten Informationen zu bekommen und diese dann mit anderen Produkten aus dem Textilbereich vergleichbar zu machen. Da ist viel Aufklärungsarbeit beim Kunden nötig.
Wie kann man das für Kundinnen und Kunden verständlich darstellen?
Das ist nicht einfach. Wir haben Filterwerte im Online-Shop aufgebaut und heben in unseren Filialen nachhaltigere Produkte mit speziellen Etiketten hervor. Bei Textil sind das dann eben deutlich mehr. Wir haben gut 20 Attribute definiert, um nachhaltigere Produkte zu kennzeichnen, zum Beispiel offizielle Labels wie Grüner Knopf, Fair Trade, Fair Wear Foundation, Bluesign. Aber auch Kennzeichnungen, die auf Siegeln und Herstellerangaben basieren – wie beispielweise faire Dauen, faires Leder, faire Wolle, recycelte Materialien, Biobaumwolle, PFC-frei oder klimaneutral. Ein Teil dieser Attribute lässt sich auch für Hartware übertragen. Zum Beispiel verbauen einige Hersteller einen FSC-zertifizierten Holzkern in ihren Skiern. Aber da muss noch mehr passieren. Mit einem Pilotprojekt, versuchen wir in Richtung kreislauffähige Produkte zu denken.
Innerhalb Ihres Sortiments sind Sie stark auf die Industrie angewiesen – haben also einen indirekten Handlungseinfluss…
Ja, aber wir nutzen unsere Stimme und unsere Position als großer Händler, um Nachhaltigkeitsimpulse in die Industrie zu geben. Und wir haben die Möglichkeit, über unser Marketing engagierte Hersteller und nachhaltigere Produkte in den Fokus zu stellen und ihnen mehr Sichtbarkeit zu geben.
Schmeißen Sie auch Marken aus Ihrer Palette, wenn sie die Vorgaben nicht erfüllen?
Im Moment noch nicht. Aber wir achten darauf, ob sich Marken entwickeln. Wenn sich da nichts tut und keine nachhaltigere Alternative kommt, werden wir irgendwann wohl schon auch auf Produkte verzichten.
Das Ideal: Branchenweites Rücknahme-System für kreislauffähige Ausrüstung
Inwiefern könnten die von Ihnen angebotenen Produkte kreislauffähig werden?
Wir möchten bei den Kundinnen und Kunden die Sensibilität dafür schaffen, so dass sie uns irgendwann auch ihre Ausrüstung oder Textilteile zurückbringen. So könnten wir diese wieder in den Kreislauf zurückführen. Meine Wunschvorstellung wäre ein branchenweites Rücknahme-System. Soweit sind wir noch nicht, aber wir haben angefangen, Re-use und Rental-Modelle zu pilotieren, also Secondhand- und Verleihware anzubieten.
Wie sieht die interne Nachhaltigkeitsagenda von Sport Conrad aus?
Mittelfristig möchten wir mit nachhaltigen Produkten wachsen und unser klimatisches und gesellschaftliches Engagement erhöhen. Unsere Roadmap – oder unseren „Mountain Path“, wie wir intern sagen – können wir nur beschreiten, wenn sich alle Mitarbeitenden daran beteiligen. Nachhaltigkeit braucht die eigene Überzeugung, sonst knickt man angesichts der Größe der Aufgabe zu leicht wieder ein. Wir haben verschiedene Handlungsfelder definiert, mit konkreten Maßnahmen. Das betrifft auch die Organisationsentwicklung und die Organisationsstruktur.
Wo ist das „Thema“ Nachhaltigkeit bei Sport Conrad in der Organisation aufgehängt?
Ich finde es falsch, hier von einem „Thema“ zu sprechen. Nachhaltigkeit sollte die gesamte Organisation durchziehen und setzt auch ein gewisses Mindset voraus.
Das ist nicht ein Thema unter vielen. Bei uns ist Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie verankert, mit voller Unterstützung der Geschäftsleitung. Nachhaltigkeit muss leben und darf kein Papiertiger sein.
Mittlerweile haben wir aus einer Stabstelle heraus einen eigenen Bereich etabliert. Alle andren Bereichsleiter sind mitverantwortlich, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Und es gibt ein interdisziplinär aufgestelltes Team für die Initiative „Wir denken um“, bestehend aus Filialleitern und Mitarbeitenden in Filialen, Marketing, Lager und Kommissionierung.
Nachhaltigkeitsziele in der Organisation verankern
Ist es intern in allen Köpfen angekommen, dass Nachhaltigkeit nicht nur irgendein Thema ist?
Eigentlich schon. Wir haben ganz klare Nachhaltigkeitsziele gesetzt – auch beim Umsatz. Das ist auch eine Vorgabe an unseren Einkauf. Aber wir fallen immer mal wieder in ein Loch. Wenn das Daily Business drückt, rutschen leicht andere Dinge in den Vordergrund. Die interne Kommunikation ist für uns als Händler mit knapp 200 Mitarbeitenden in drei Filialen und einem Lager- und Logistik-Standort eine große Herausforderung. Wir möchten die Leute laufend mit gut verdaubaren Informationen versorgen und sie für Nachhaltigkeit begeistern. Deswegen setzen wir auf Schulungen und Dialog. Kürzlich hatten wir eine Veranstaltung für alle Mitarbeitenden, um unsere Roadmap vorzustellen.
Was kann man gegen mögliche „Rückschläge“ tun?
In unserem Strategieprozess haben wir mit der Vaude Academy zusammengearbeitet und in Workshops Commitment-Sequenzen eingebaut. Zum Beispiel gab es eine Bierdeckel-Übung. Nachhaltigkeit kann man nicht überstülpen. Man muss sich selbst dazu bekennen. Deshalb haben wir uns auch von Bereichsleitern eine Aussage dazu eingeholt. Sie sollten auf einen Bierdeckel schreiben, was Nachhaltigkeit für sie bedeutet. Ich habe hier einen ganzen Stapel Bierdeckel, die ich bei Gelegenheit herausziehen kann, um jemanden an das eigene Commitment zu erinnern.
Gibt es sonst noch bestimmte Kommunikationsanlässe, die dabei helfen können, Nachhaltigkeitsfragen immer wieder in Erinnerung zu rufen?
Mit den Führungskräften habe ich regelmäßige Meetings, in denen wir über die Nachhaltigkeitsziele und die Umsetzung sprechen. Sie geben das als Multiplikatoren in die Teams. Hinzu kommen die Schulungen. Aber das allein reicht nicht, denn Nachhaltigkeit muss viel öfter zur Sprache kommen. Wie beim agilen Arbeiten:
Man muss in festen Rhythmen darüber sprechen, was funktioniert und wo wir noch nachschärfen müssen – und zwar über Bereichsgrenzen hinweg. Es braucht noch eine viel stärkere Interaktion und Partizipation.
Nachhaltigkeit gelingt nur, wenn man die Leute mit gut verdaubaren Informationen versorgt und so dadurch mitnimmt und mitreißt.
CO2-Fußabdruck: Mitarbeitenden-Mobilität ist ein großer Faktor
Wie kann man Beschäftigte beispielweise dafür begeistern, den CO2-Fußabdruck zu reduzieren?
Wir möchten spätestens 2030, eigentlich schon 2026, unseren CO2-Emissionen sehr stark reduziert haben. 2019 haben wir unseren CO2-Fußabdruck zum ersten Mal berechnet und im Vergleich dazu für das Geschäftsjahr 2021/22. Allein an den Verbrauchsmaterialien kann ich sehen, ob wir mehr oder weniger CO2 ausgestoßen haben. Man bekommt durch so eine Analyse einen tiefen Einblick in die Organisation. Wir haben festgestellt, dass die Mobilität der Mitarbeitenden einen wichtigen Teil ausmacht. Dafür haben wir uns das Mobilitätslotto von Vaude abgeschaut: Unter allen Mitarbeitenden, die zu Fuß, mit dem Rad oder in Fahrgemeinschaften zur Arbeit kommen, haben wir eine Challenge mit monatlicher Gewinnauslosung aufgebaut.
Inwiefern können Unternehmen sich also von anderen etwas für die eigene Nachhaltigkeitsagenda abschauen?
Jedes Unternehmen muss die eigenen Ziele für sich definieren. Natürlich gibt es ein paar „Low hanging fruits“, etwa bei der Mülltrennung oder dem Energiesparen, indem man auf Ökostrom umstellt oder Photovoltaikanlagen an den Firmenstandorten installiert. Systematische Konzepte können weiterhelfen. Wir haben mithilfe einer Beratung den CO2-Fußabdruck anhand des Greenhouse Gas Protocol berechnet. Bei unseren Reduktionszielen orientieren wir uns an der Science Based Targets Initiative, die wissenschaftlich fundierte Emissionsreduktionsziele vorschlägt. Aber das muss man halt auf die eigene Situation herunterbrechen. Die eigene Nachhaltigkeitsagenda kann man nirgends kopieren.
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