„Alle lieben den Wald, aber niemand setzt sich für ihn ein“
Herr Hermes, in der Vergangenheit gab es diverse Skandale um freiwillige CO2-Zertifikate für Aufforstungsprojekte. Warum sollten wir noch Bäume pflanzen?
Lars Hermes: In Deutschland sind aktuell noch 32 Prozent der Flächen bewaldet. Vor ein paar tausend Jahren waren es noch fast 80 Prozent. Der Mensch hat stark in die Natur eingegriffen. Und wir versiegeln noch immer viele Flächen. Deshalb brauchen wir mehr Waldflächen und dafür müssen wir viel mehr Bäume pflanzen und auch zerstörte Flächen wieder aufforsten. Nicht zuletzt brauchen wir gute Böden, denn auch an denen fehlt es in Deutschland. Geht es um Zertifikate und Projekte, müssen wir also unterscheiden zwischen dem Erhalten von Wald, damit er nicht abgeholzt wird, und dem Pflanzen neuer Bäume. Der Erhalt hat sicher auch einen Sinn. Ich bin aber eher dafür, neue Ressourcen aufzubauen.
Was unterscheidet die Aktion Baum von anderen Organisationen?
Jeden Baum, der von uns in Deutschland gepflanzt wird, kann man einfach besuchen. Ich kann mit dem Fahrrad, Auto oder der Bahn dorthin fahren und schauen, was passiert. Wir bieten also Transparenz. Die Aktion Baum habe ich gegründet, weil ich wissen will, wo und was mit meinem gespendeten Geld passiert. Ich will nicht nur etwas Gutes tun und mein Geld irgendwohin überweisen. Allerdings will ich Projekte in diesen Ländern nicht schlechtreden, denn dort spielen oft auch soziale Faktoren eine Rolle, etwa, wenn Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir wollen keine soziale NGO sein, sondern uns für die Umwelt einsetzen und Deutschland wieder bewalden.
Die Zukunft eines Baums: Gar nicht mal so gewiss
Die Aktion Baum will Bäume forstwissenschaftlich sinnvoll pflanzen. Was bedeutet das?
Zu Beginn hatten wir wenig bis keine Ahnung vom Wald. Aus diesem Grund haben wir ein Expertennetzwerk mit führenden Forschenden aufgebaut. Über sie durften wir viel lernen und uns eine stärkere Meinung bilden. Trotzdem behaupten wir nicht, alles über Bäume zu wissen. Zum Beispiel wurden die führenden Wissenschaftler:innen Deutschlands vor vielen Jahren bei einer Waldkonferenz gefragt, welcher Baum am Ende des Jahrhunderts in Deutschland überleben wird. Alle waren sich einig: Die Buche ist der beste Baum. Heute wissen wir: Sie ist es nicht. Forstwissenschaftlich wissen wir also nicht, was mit den Bäumen passiert. Bisher haben Forschende nur die letzten fünfzig bis hundert Jahre betrachtet und vorhergesagt, ob ein Baum in Zukunft funktionieren wird. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Wir unterstützen deshalb ein Forschungsprojekt der Universität Göttingen und des Julius Kühn-Instituts, wo mithilfe eines digitalen Zwillings in Echtzeit beobachtet wird, wie sich Bäume in einer Minute, einem Jahr und zehn Jahren entwickeln.
Und wie steht es um die Interessen von Waldbesitzer:innen?
Die Forstwirtschaft dürfen wir nicht vergessen, denn Holz ist ein wichtiger Rohstoff. Und Waldbesitzer sind auf diese Einnahmen angewiesen. Trotzdem wollen wir keinen Wirtschaftswald aufbauen, sondern eine Dauerbewaldung, eine Baummischung, die nicht wirtschaftlich, sondern ökologisch funktioniert.
Unternehmen können mit Ihnen zusammen Bäume pflanzen. Wo werden Bäume besonders benötigt?
Tatsächlich herrscht hier ein starker Lokalpatriotismus. Eine Firma aus München wird also keine Bäume in Hamburg spenden. Und ein Hamburger Unternehmen wird nichts für Berlin spenden. Das ist völlig normal, denn wenn ein Unternehmen seinen Sitz in Hamburg hat, will es mit seinen Mitarbeitenden auch dort seine Bäume pflanzen. Allerdings sind vor allem Flächen in Nordbayern, im Sauerland und im Harz massiv beeinträchtigt. Dort gibt es nur wenig Industrie und wenige Unternehmen. Es ist schwieriger, für solche benachteiligten Regionen Spenden zu generieren als um die Großstädte herum.
Wie wollen Sie das Problem lösen?
Mein Wunsch lautet, dass wir zusammen mit Unternehmen einen Teil des Budgets vor Ort selbst verpflanzen und darüber hinaus noch solche Gebiete aussuchen, die wir zusammen langfristig entwickeln, vergrößern und verbessern können, wo es mehr Bedarf gibt.
Aktion Baum: Auf die Werte kommt es an
Was sind das für Unternehmen, die mit Ihnen zusammenarbeiten wollen?
Vom Gerüstbauer über das Alterspflegeheim, der Arztpraxis bis hin zu Großunternehmen wie Hapag-Lloyd, Microsoft oder Siemens Energy unterstützen unterschiedliche Unternehmen das Projekt. Wir akzeptieren nicht nur bestimmte Unternehmen. Grundsätzlich haben wir einen Pflanzkalender mit etwa zwanzig Terminen im Jahr. Und für diese Termine können sich Unternehmen einbuchen. Wir brauchen helfende Hände und Geld, damit wir mehr aufforsten können. Da ist es uns erst einmal egal, wie groß ein Unternehmen ist. Vielmehr schauen wir auf die Werte des Unternehmens, dafür haben wir auch Ausschlusskriterien.
Welche Anforderungen stellen Sie also an Unternehmen?
Wer sich für eine Zusammenarbeit interessiert, muss bei uns keinen riesigen Bewerbungsprozess durchlaufen. Das würde nur hohe Verwaltungskosten verursachen. Und doch zählt, ob ein Unternehmen halbwegs zu uns passt. Ein Konzern, der Wasser in Afrika privatisiert, ein Unternehmen aus der Fleischindustrie, das keine Fleischersatzprodukte herstellt oder ein Tankstellenbetreiber, der eher an Greenwashing interessiert ist, kommen als Partner wenig infrage.
Die Zusammenarbeit mit Mineralölkonzernen kommt also nicht infrage?
Ich würde Mineralölkonzerne nicht vollständig ausschließen, denn auch mit deren Budgets lässt sich etwas machen. Trotzdem müssen wir genau darauf achten, mit wem wir es zu tun haben und was hinter einer Bewerbung steckt. Wir geben jedem Unternehmen die Chance, sich und seine Pläne vorzustellen. Am Ende entscheiden fünf Menschen in unserem Gremium, ob wir ein Unternehmen nehmen oder nicht. Es ist uns am wichtigsten, dass daraus eine glaubwürdige und nachhaltige Zusammenarbeit entsteht. Wer unser Logo offensichtlich nur für Greenwashing haben will, wird es schwer haben, meine Stimme zu bekommen.
Haben Sie bereits Anfragen abgelehnt?
Wir haben bisher zwei Anfragen abgelehnt. Das geschah schon früh. Das eine war ein großer Nahrungsmittelkonzern, der mit Wasser arbeitet. Und das andere war ein rein fleischverarbeitender Betrieb, dessen Anfrage über eine Agentur zu uns kam. Im Gegenzug habe ich großen Respekt davor, wenn ein Unternehmen, dessen Aktivitäten für die Umwelt nicht förderlich sind, nun deutlich umweltfreundlichere Lösungen entwickelt. Uns kommt es nicht darauf an, wo ein Unternehmen steht, sondern dass es aufzeigt, wo es hingehen will.
Was können Unternehmen von dieser Zusammenarbeit erwarten?
Eigentlich geht es um gelebten Umweltschutz. Unternehmen, die eine Partnerschaft mit der Aktion Baum haben, spenden nicht nur Geld und packen irgendein Label auf ihre Produkte, sondern sie können ihre Mitarbeitenden dazu einladen, beim Pflanzen zu helfen und sich aktiv am Umweltschutz zu beteiligen. Und genau das wird immer mehr bei uns angefragt. Unternehmen müssen selbst nichts organisieren oder mitbringen, sie müssen nur zum Termin kommen und mitmachen. Das alles machen wir, um die Barrieren so gering wie möglich zu halten. Am Ende pflanzen neun von zehn Unternehmen selbst mit. Das ist nicht verpflichtend, aber wir sehen das gerne, denn wir können damit immer auch einen Bildungsauftrag wahrnehmen und Themen wie Waldsterben und Waldschutz in die Köpfe der Mitarbeitenden bekommen. Viele Unternehmen werden feststellen, dass ihre Mitarbeitenden dankbar dafür sind, wenn sie Umweltschutz aktiv leben.
Unternehmen brauchen Trennbilder
Was für einen Nachweis gibt es am Ende für diese Pflanzaktionen?
Von uns erhalten Unternehmen ein Baumpflanz-Zertifikat, auf dem steht, wie viele Bäume gespendet wurden und wo sie gepflanzt wurden. Das ist kein offizielles CO2-Zertifikat, aber so etwas kann man sich ja eh einkaufen, wenn man Greenwashing betreiben will. Wenn Unternehmen jedoch mit ihren Mitarbeitenden etwas für ihre Heimat und die Umwelt zu tun, kommen sie zu uns.
Und was machen Unternehmen mit diesem Nachweis?
Viele sprechen über die Partnerschaft im Nachhaltigkeitsbericht und auf der Website. Das ist völlig legitim. Den 15.000 berichtspflichtigen Unternehmen in Deutschland möchte ich aber auch sagen: Natürlich gilt es für den Nachhaltigkeitsbericht mehr als tausend Datenpunkte zu berücksichtigen. Aber ein Unternehmen braucht auch coole Trennbilder. Wenn in einem Bericht nur Zahlen stehen, liest sich das niemand durch. Wenn jedoch auf Seite 17 steht, dass das Unternehmen auch Müll sammelt oder Bäume pflanzt, ist das schon attraktiver.
Welchen Impact hat die Arbeit der Aktion Baum?
Letztes Jahr haben wir 60.000 Bäume gepflanzt, dieses Jahr waren es 100.000. Das ist ein Impact für die Umwelt. Der größte Impact liegt jedoch darin, wenn wir über den Wald sprechen und Menschen dafür sensibilisieren. Wenn ich Postings bei LinkedIn zu anderen Themen wie Female Empowerment sehe, wird deutlich: Da steckt richtig viel Power drin. Der Wald ist aber auch wichtig und er wird ein wenig vernachlässigt. In Deutschland sind 80 Prozent der Bäume nicht gesund, die Waldlobby ist eher klein. Alle lieben den Wald, aber niemand kennt ihn und niemand setzt sich dafür ein.
Welche Ziele verfolgen Sie in Zukunft?
Wir wollen in jedem Bundesland ein Pflanzgebiet haben und dafür wollen wir langfristig mit Unternehmen pflanzen. In einem Traumszenario bepflanzen wir in den nächsten drei Jahren beispielsweise um die Stadt Hamburg einen Radius von zehn Kilometern, in 10 Jahren dann 20 Kilometer. Ob wir Unternehmen dazu bewegen, auf staatlichen oder privaten Flächen aufzuforsten, spielt erstmal keine Rolle. Wir wollen aufforsten und bewirken, dass Unternehmen jedes Jahr wiederkommen, damit auch ihre Mitarbeitenden sehen, was sie eigentlich schon geleistet haben.
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