Immobilienwirtschaft für zeitnahe Öffnung des Handels
Abgesehen von Geschäften des täglichen Bedarfs ist der Einzelhandel im zweiten Corona-Lockdown seit dem 16.12.2020 geschlossen. Die Umsätze im Einzelhandel sind zu Beginn des neuen Jahres massiv eingebrochen – bereinigt um Preiserhöhungen (real) setzten die Unternehmen im Januar im Vergleich zum Vorjahresmonat real 8,7 Prozent und nominal 7,4 Prozent weniger um. Zwischen Dezember 2020 und Januar 2021 sind die Umsätze real um 4,5 Prozent und nominal um 3,9 Prozent gesunken, wie das Statistische Bundesamt berechnet hat.
Besonders hart hat es den Statistikern zufolge erneut den Textilhandel getroffen: Die Erlöse sind im Jahresvergleich im Januar 2021 real um 76,6 Prozent eingebrochen. Auch Möbelhändler und Heimwerkermärkte verzeichneten einen deutlichen Umsatzrückgang (43,2 Prozent) gegenüber Januar 2020. Profitiert von den staatlich angeordneten Schließungen haben Online- und Versandhandel mit einem Umsatzplus von knapp einem Drittel (31,7 Prozent) in diesem Zeitraum. Der Einzelhandel mit Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren machte ebenfalls bessere Geschäfte (plus 4,3 Prozent).
ZIA: Öffnungen des Handels jetzt ermöglichen
Die Immobilienwirtschaft fordert vor der für den 3. März geplanten nächsten Corona-Beratung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten der Länder eine zeitnahe Öffnung des Handels. "Die Abkehr von einer einseitigen Festlegung auf die Inzidenz von 35 ist mehr als überfällig", sagte Dr. Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA). Handel – und Hotellerie – hätten keinen Einfluss auf die Infektionsentwicklung. Blieben sie geschlossen, würden Firmen und Arbeitsplätze ohne Grund vernichtet. Betroffen sind auch Mitarbeiter aus der Immobilienbranche, da beispielweise die Mieten von Gewerbeimmobilien nicht bezahlt werden können.
Mattner plädierte für eine Öffnung unter Auflagen ab dem 8. März, etwa mit speziellen Öffnungszeiten für Menschen über 60, der Aufrechterhaltung der Maskenpflicht und eine Einbeziehung des Handels in die Impfstrategie. "Die heute viel umfangreicheren Testmöglichkeiten und der Fortschritt der Impfkampagne schaffen den Raum für Öffnungen, ohne dass wir die Kontrolle über das Infektionsgeschehen verlieren", so der ZIA-Chef.
vdp: Konsistente Strategie für Ende des Lockdowns
Auch der Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) appellierte vor dem Bund-Länder-Treffen an die Politik, "endlich eine verbindliche und konsistente Strategie für ein Ende des aktuellen Lockdowns zu präsentieren". Nötig sei ein einheitliches Stufenkonzept für alle Bundesländer mit einer Geltung über die Treffen im dreiwöchigen Turnus von Kanzlerin und Länderchefs hinaus.
Die Konsequenzen des Lockdowns für die Volkswirtschaft seien schon jetzt dramatisch, so vdp-Hauptgeschäftsführer Jens Tolckmitt. Der vdp sprach sich ebenfalls für eine schrittweise Wiedereröffnung von Handel, Hotels und Gastronomie – unter Beachtung strenger Schutz- und Hygieneregeln – ab dem 8.3.2021 aus.
Bund und Länder haben zuletzt Anfang Februar 2021 das weitere Vorgehen mit Lockdowns wegen der Corona-Pandemie bekannt gemacht. Die Schließungen betreffen nach wie vor insbesondere einen Großteil des Non-Food-Einzelhandels, Gastronomie, den Kultur- und Freizeitbereich sowie Hotels (Übernachtungsangebote im Inland sind weiter nur für notwendige und ausdrücklich nicht für touristische Zwecke erlaubt).
DAVE: Kommunen, Handel und Vermieter gefordert
Um den stationären Handel zu erhalten und die Innenstädte nach der Post-Corona-Ära wieder attraktiv zu gestalten, sieht der Deutsche Anlage-Immobilien Verbund (DAVE), ein Zusammenschluss von zwölf größtenteils inhabergeführten Immobiliendienstleistungsunternehmen, die Kommunen, den Handel und die Vermieter gemeinsam vor einer Zeitenwende.
Kommunen müssten "mutig" in öffentliche Räume für mehr Aufenthaltsqualität investieren, sagte etwa Jens Lütjen von Robert C. Spies. Doch auch der Handel und die Vermieter müssten neue Wege finden. Bislang trugen die Einzelhandelsmieten die Gewerbeobjekte. "Wenn die Handelsmieten jetzt sinken oder gar nicht mehr gezahlt werden, werden die Mieten für Büros oder Wohnungen in diesen Objekten steigen", erklärte DAVE-Mitglied Corvin Tolle von Tolle Immobilien. Die Corona-bedingte Änderung des Gewerbemietrechts sei ein zunächst richtiges Instrument, aber nicht ausreichend.
Sven Keussen von Rohrer Immobilien sprach sich für eine Übergangszeit zunächst für leistungsabhängige Mieten und flexible Mietlaufzeiten aus, um den Mietern von Handelsflächen entgegen zu kommen. Der stationäre Einzelhandel wird trotz Corona und E-Commerce den DAVE-Partnern zufolge auch weiterhin eine wichtige Rolle für die Innenstädte spielen.
Gewerbevermieter suchen nach eigenen Lösungen
Wegen der Corona-Einschränkungen haben sich einzelne Kommunen und Vermieter schon im Frühjahr 2020 entschlossen, ihren Mietern in Eigenregie unter die Arme zu greifen – mit Mietstundungen, Ratenzahlung und in Einzelfällen auch reduzierten Mieten. In Hamburg etwa werden Stundungsregelungen seit Ende März 2020 und zusätzliche Einzelfall-Lösungen seit dem Sommer 2020 umgesetzt, hieß es aus dem Senat.
"Im privaten Bereich ist durch die Beschlüsse auf Bundesebene ein Fenster für faire Lösungen zwischen gewerblichen Mietern und gewerblichen Vermietern geöffnet", erklärte Hamburgs Finanzsenator Dr. Andreas Dressel (SPD). Im Dezember 2020 hatte der Bundestag dem Eingriff ins Gewerbemiet- und Pachtrecht zugestimmt, der Mietern Verhandlungen über eine Mietanpassung erleichtern soll. "Im gewerblichen Bereich sitzen Mieter und Vermieter in einem Boot, sie müssen sich über eine faire Risiko- und Lastenverteilung in der Krise einigen – das ist auch unsere Linie in Abstimmung mit den beiden großen Branchenverbänden aus dem Handel HDE und der Immobilienwirtschaft ZIA", so Dressel.
Die Passantenströme in den Innenstädten waren schon vor dem ersten Bund-Länder-Gipfel am 28.10.2020 und den darauf folgenden Corona-Maßnahmen im freien Fall. In der dritten Novemberwoche 2020 brach der Umsatz im Einzelhandel im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum im Vorjahr um knapp ein Drittel ein, wie aus Zahlen des Handelsverbands Deutschland (HDE) hervorgeht.
Hotels – ebenfalls bereits vom Lockdown im Frühjahr 2020 hart getroffen – leiden besonders unter den bislang immer weiter verlängerten bundesweit verordneten touristischen Übernachtungsverboten. Auch die Gastronomie ist schwer betroffen: Alleine in Berlin sah sich Ende November 2020 jeder zweite Gastrobetrieb von Insolvenz bedroht, wie aus der Befragung der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) hervorgeht.
Finanzierer erwarten Preisverfall für Handelsimmobilien
Bei der Umfrage der Value AG sagten außerdem mehr als ein Drittel der Immobilienfinanzierer (37 Prozent) auch für den Hotelmarkt selbst im Bereich Geschäftsreisen einen Preisrückgang von rund acht Prozent voraus. Mehr als jeder zehnte (13 Prozent) der Kreditgeber geht von mehr als 15 Prozent aus. Immerhin nur neun Prozent der Experten erwarten, dass die Preise von Hotelimmobilien für Freizeitreisende nach der Pandemie wieder merklich steigen werden.
Die allgemein düsteren Aussichten für den Einzelhandel bestätigen auch die Immobilienfinanzierer, wie eine Umfrage der Hypoport-Tochter Value AG von Januar 2021 zeigt. Befragt wurden 100 Entscheider von Kreditinstituten. Rund ein Drittel (33 Prozent) gab an, dass selbst bei Objekten in Hauptlagen wie den Innenstädten starke Preiseinbußen von etwa acht Prozent hingenommen werden müssen. Für Immobilien in den Nebenlagen gehen 71 Prozent der Experten von sinkenden Preisen aus. Jeder zehnte (elf Prozent) Teilnehmer erwartet drastische Preiseinbrüche von mehr als 15 Prozent in den Hauptlagen, für Einzelhandelsobjekte in Nebenlagen sogar fast jeder Dritte (31 Prozent).
"Die erneute Schließung des Einzelhandels lässt die bereits hohe Zahl an Insolvenzen (insbesondere im Textilsegment) weiter ansteigen", erläuterte Martin Drescher, Immobiliengutachter bei der Value AG. Alle Lagen (sowohl A- und B- als auch Nebenlagen und Shopping-Center) seien von den negativen Preisentwicklungen betroffen. Nur Stadtteil- oder Kiezlagen könnten Drescher zufolge nach dem Lockdown einen schnellen Aufschwung erleben, sofern Liquidität da ist. Er rechnet auch mit einem "Wiederaufblühen" der Gastronomie.
"Verödete" Innenstädte erwartet der Finanzierungsexperte nur temporär. Nach einer Schockwelle mit vielen Insolvenzen und großen Leerständen sei von einem Anpassungsprozess auszugehen, so Drescher: Ein hohes Flächenangebot verbunden mit sinkenden Mieten führe perspektivisch zu einem neuen Interessenten- und Mieterkreis. "Die Corona-Krise bietet hier auch Chancen für die bisher fast ausschließlich auf Handel orientierten Innenstädte. Dies wird jedoch zu Einnahme- und Wertverlusten bei den Eigentümern führen", so Drescher. "Die Auswirkungen durch die Corona-Pandemie wird man (…) erst ab 2022 richtig beurteilen können", heißt es in der Studie.
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