Fernwärme: Chancen, Herausforderungen und Kosten

Fernwärme gilt als vielversprechende Option zur Reduktion von Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor. Doch wie zukunftsfähig ist ihr Einsatz? Corinna Schmid und Benjamin Richter von Rödl & Partner zu den wirtschaftlichen, technischen und regulatorischen Aspekten.

Herr Richter, wie umweltfreundlich ist Fernwärme?

Benjamin Richter: Die Fernwärmeversorgung im Jahr 2024 beruht überwiegend auf dem Einsatz sogenannter Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, bei welchen der Brennstoff (zum Beispiel Gas) nicht nur für die Gewinnung von Wärme, sondern auch für die Bereitstellung von elektrischer Energie genutzt wird. Bis spätestens 2045 soll der Umstieg auf eine treibhausgasneutrale Wärmeversorgung gelingen.

Für die bei der Fernwärmeerzeugung zum Einsatz kommenden Erzeugungsanlagen begründet dies einen sukzessiven Umstieg auf erneuerbare Energien, unvermeidbare Abwärme oder eine Kombination hieraus. Zu nennen sind beispielsweise der Einsatz von (Groß-)Wärmepumpen oder auch (Tiefen-)Geothermie.

Interview Fernwärme

Fernwärmeanschluss: Technische Aspekte und Installationskosten

Welche technischen Aspekte müssen bei der Planung und Koordination berücksichtigt werden, um eine optimale Integration in die Gebäudeinfrastruktur zu gewährleisten?

Richter: Aufseiten der Endkunden sind bei einem Anschluss an ein Fernwärmenetz in der Regel keine baulichen Veränderungen notwendig. Der Fernwärmeanschluss ersetzt im besten Fall lediglich die aktuelle Brennereinheit. Bei in die Jahre gekommenen Heizanlagen, die über hohe Rücklauftemperaturen verfügen, empfiehlt sich ein individueller Check. Die meisten Fernwärmeanbieter geben Rabatte für niedrige Rücklauftemperaturen.

Neu errichtete Gebäude hingegen haben den Fernwärmeanschluss bei der Planung bereits berücksichtigt, verfügen über niedrige Rücklauftemperaturen und ermöglichen eine platzsparende Integration der entsprechenden Wärmetauscher.

Welche Kosten sind mit der Installation von Fernwärme in Immobilien verbunden?

Richter: Die Vollkosten eines Fernwärmeanschlusses sind schon heute konkurrenzfähig mit dezentralen Heizanlagen. Etwa 16 Prozent der Gebäude in Deutschland sind bereits heute an ein Fernwärmenetz angeschlossen. Die Preise bewegen sich mittelfristig betrachtet stabil im Mittelfeld vergleichbarer Heizsysteme, wobei es bundesweit betrachtet immer auch Ausreißer in beiden Richtungen gibt.

Bei der Fernwärme wird ein verbrauchsfertiges Produkt geliefert, also inklusive Wartung, Instandhaltung und Brennstoffbeschaffung. Beim Kostenvergleich mit zum Beispiel einer herkömmlichen Ölheizung müssen entsprechend neben den Kosten für das Heizöl auch die Anschaffung, Wartung und Instandhaltung der eigenen Heizanlage und des Heizraums einbezogen werden, da diese und weitere Kosten beim Fernwärmebezug wegfallen.

Die Fernwärme ringt regelmäßig um neue Anschlüsse und ist angehalten, alle Kunden gleich zu behandeln. Dementsprechend wurden die Preissysteme in der Vergangenheit einheitlich so gestaltet, dass sie wettbewerbsfähig bleiben.

Welche regulatorischen Anforderungen müssen Eigentümer beachten?

Corinna Schmid: Der Anschluss an das Fernwärmenetz gilt als Ersatzmaßnahme für die Einbindungspflicht erneuerbarer Energien und reduziert dadurch diverse Auflagen und die Investitionshöhe aufseiten des Immobilienentwicklers. Entsprechend hoch ist die Nachfrage nach Fernwärmeanschlüssen vor allem beim Neubau.

Daneben gibt es Bestandsimmobilien in Deutschland, die in einem Anschluss- und Benutzungszwang-Gebiet liegen. Nach unserer Beobachtung ist dieses Instrument jedoch auf dem Rückzug, letztlich muss Fernwärme zu wirtschaftlichen Konditionen angeboten werden, ansonsten ist die Akzeptanz gefährdet.

Aufseiten der Immobilienentwickler ist es allerdings wichtig, einen verlässlichen Wärmelieferanten zu finden, der eine möglichst langfristige Wärmeversorgung vertraglich zusichert. Bei den Verträgen kommt es vor allem auf die eingesetzten Brennstoffe und deren Preisstabilität an. Bei der Auswahl einer "guten" Preisgleitklausel haben die Erfahrungen der Jahre 2022 und 2023 sehr geholfen.

Fernwärme: Erfüllungsoption nach dem GEG?

Inwiefern ist Fernwärme eine Erfüllungsoption im Sinne des Gebäudeenergiegesetz (GEG), welche Übergangsfristen sind darin vorgesehen? 

Schmid: Mit der Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) zum 1.1.2024 darf eine Heizanlage zum Zweck der Inbetriebnahme in einem Gebäude nur eingebaut oder aufgestellt werden, wenn sie mindestens 65 Prozent der mit der Anlage bereitgestellten Wärme mit erneuerbaren Energien oder unvermeidbarer Abwärme erzeugt, § 71 Abs. 1 GEG.

Wohingegen im Hinblick auf bestehende Gebäude zunächst die Übergangsfristen des § 71 Abs. 8 GEG gelten, müssen auch Bestandsgebäude ab spätestens dem 1.7.2028 die Vorgaben des § 71 Abs. 1 GEG erfüllen. Unter den Voraussetzungen des § 71b GEG steht der Anschluss an ein Fernwärmenetz und die damit einhergehende Bestätigung des Wärmenetzbetreibers im Sinne des § 71b Abs. 3 GEG der Erfüllung der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 GEG gleich.

Warum fordern die Energieverbände eine Novelle der Wärmelieferverordnung (WärmeLV) und was schlagen sie vor?

Schmid: Gegenstand der Wärmelieferverordnung sind die Vorschriften für Wärmelieferverträge, die bei einer Umstellung auf Wärmelieferung nach § 556c BGB geschlossen werden, sowie die mietrechtlichen Vorschriften für den Kostenvergleich und die Umstellungsankündigung nach § 556c Abs. 1 und 2 BGB. Kritisiert werden insbesondere die Anforderungen zur Kostenneutralität, da diese veraltet sind und nicht zu der gesetzgeberisch angestrebten Dekarbonisierung der Wärmeversorgung bis zum Jahr 2045 und den damit verbundenen hohen Investitionskosten passen.  

Richter: Um die Klimaziele zu erreichen, muss die Fernwärme schnell ausgebaut werden. Die über die Mietrechtsnovelle entstandenen Nachweispflichten und Haftungsregelungen haben dazu geführt, dass Fernwärmeversorger lieber Neubauten anschließen, anstatt Gebäude im vorhandenen Bestand auf Fernwärme umzustellen.

Aus unserer Sicht muss das Ziel sein, vor allem große Gebäude in bestehenden Fernwärmenetzen schnell und unkompliziert auf eine Fernwärmeversorgung umstellen zu können. Durch die entsprechende Fixkostendegression beim Einsatz erneuerbarer Energiequellen reduzieren sich dabei automatisch die Kosten für alle Wärmekunden.

Kommunale Wärmeplanung: 100.000 Fernwärmeanschlüsse pro Jahr

Wie viel kann die Wärmeversorgung mit Fernwärme zum Erreichen der Klimaziele im Gebäudesektor beitragen und wie viele (Wohn-)Gebäude können an Fernwärmenetze angeschlossen werden?

Schmid: Die Regierung hat auf dem Fernwärmegipfel ambitionierte Ziele verkündet und mit dem GEG und dem Wärmeplanungsgesetz die Grundlagen geschaffen, eine treibhausgasneutrale Wärmeversorgung in Deutschland bis spätestens 2045 (Zieljahr) sicherzustellen. Mittelfristig wird im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung festgelegt, wo sich Fernwärmevorranggebiete befinden sollen. Im Zuge der konkreten Umsetzung ist es dann an den lokalen Energieversorgern, die Transformation der vorhandenen Infrastruktur umzusetzen und rechtzeitig in allen geeigneten Bereichen einen Fernwärmeanschluss anzubieten.

Richter: Die Regierung strebt an, pro Jahr 100.000 neue Anschlüsse an das Fernwärmenetz zu erreichen. Die Fernwärme soll dann zum Beispiel durch unvermeidliche Abwärme aus industriellen Prozessen oder der Reststoffverwertung bereitgestellt werden. Aber auch die weiteren Technologien sollen ausgebaut werden: So sollen bereits 2030 jährlich 10 TWh an Wärmeenergie aus Tiefengeothermie genutzt werden können, heute stehen wir hier bei 1,6 TWh.

Wie sicher ist die Versorgung mit Fernwärme?

Richter: Im Gegensatz zu Einzelfeuerungsanlagen ist für die Versorgungssicherheit im Bereich der Fernwärme allein der Versorger verantwortlich. Aus unserem bundesweiten Fernwärme-Benchmarking sehen wir, dass die Ausfallzeiten von Fernwärmenetzen im Durchschnitt unter zwei Stunden pro Jahr liegen.

Die Fernwärmeanbieter gewährleisten eine Versorgungssicherheit "n-1", wonach jede Erzeugungsanlage durch ein Redundanzsystem abgesichert ist und auch bei Schäden an den Rohrleitungen die Haushalte weiter versorgt werden können.

Die Arbeitsgemeinschaft Fernwärme hat im Mai eine Fernwärme-Transparenzplattform etabliert: Was bringt das und welche spezifischen Vorteile könnten Vermieter durch die Nutzung dieser Plattform erwarten? 

Richter: Die Einführung der Plattform ist meines Erachtens ein Meilenstein zur Stärkung der Verbraucherrechte. Sie ermöglicht einen bundesweiten Vergleich der Fernwärmeversorgungsunternehmen. Ergänzend können spezifische Informationen, wie beispielsweise der aktuelle Primärenergiefaktor angezeigt werden.

Je nach eingesetzter Erzeugungsstruktur (zum Beispiel BHKW, Wärmepumpe oder Tiefengeothermie), kann es zu teilweise erheblichen, aber sachlich gut begründbaren Abweichungen kommen. Dies betrifft insbesondere die unter Vergleich gestellten Wärmepreise.

Schmid: Insbesondere in Abgrenzung zum "klassischen" Strom- und Gasvergleich müssen sich Verbraucher jedoch bewusst sein, dass es sich bei der Fernwärmeversorgung um einen stets dezentralen Markt handelt und die Produkte nur im jeweiligen Versorgungsgebiet bezogen werden können.

Zu den Interviewten:

Corinna Schmid ist Rechtsanwältin bei Rödl & Partner und berät Kommunen und Unternehmen der Fernwärme- und Erneuerbare-Energien-Branche in Fragen des Energierechts. Ihr Fokus liegt auf der Prüfung und Gestaltung von Wärmelieferungsverträgen, der Errichtung und dem Betrieb von Versorgungsinfrastrukturen sowie der kommunalen Wärmeplanung.

Benjamin Richter, ebenfalls Rödl & Partner, ist Betriebswirt mit Spezialisierung auf Erneuerbare Energien und die Wärmewirtschaft.


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Schlagworte zum Thema:  Energie, Erneuerbare Energien