Der Branchenvereiner
Darauf stimme ich ein Lied an. Leider solo. Andreas Mattner sollte mich eigentlich an der Gitarre begleiten. Hat aber abgesagt. Hat einfach zu viel zu tun ...
Im Februar traf ich ihn auf einer Veranstaltung. Er erzählte, dass er sich freue, ein Aufsichtsratsmandat abzugeben. Dafür komme etwas Neues. Nach welchen Kriterien er neue Mandate auswähle? Antwort: "Ich versuche, nur noch solche zu übernehmen, bei denen ich etwas lerne." Ich habe viel erfahren auf unserem Treffen im Mai, das locker zweieinhalb Stunden dauerte, habe Geschichten gesammelt, Bilder, aus denen Titelideen entstehen. Die alte Porträt-Latte "Gespräch nicht über eine Stunde" habe ich locker gerissen und es nicht bemerkt.
Als Titel erwäge ich:
- "Gestählter Navigator!" Immerhin fand er als Hotdog-Fahrer während der Schulzeit meist das, was er suchte ("Wenn Sie in Wuppertal eine Adresse finden, finden Sie sie überall!").
- "Super-Brain", nicht nur weil er in Hamburg in einem denkmalgeschützten Lazarettgebäude wohnt. Die Siedlung ist im Quartiersplan wie Gehirnhälften dargestellt. Der Titel könnte passen für einen, der von dort aus die Strippen zieht.
- "Immo-Hendrix", aber Gitarre hat er zuletzt auf seinem 50. Geburtstag gespielt. Mit seinem Sohn. Und eigentlich ist er doch eher Schlagzeuger.
Ich nehme keine der Ideen. Am Anfang unseres Gesprächs glaube ich noch, derjenige, der mir Tee trinkend gegenübersitzt, sei ein nur außergewöhnliches Wesen. Im großen Empfangszimmer steht ein Fauteuil, der aussieht wie ein Thron. Als die Fotografin dort ein Foto von ihm machen will, ist ihm das nicht recht. Nein, ein König sitzt da nicht. Eher ein Mensch im Sessel. Ein ausgeglichener ("Prägung meiner Mutter"). Seine Frau macht Kaffee. Die erwachsenen Kinder samt Enkel wohnen im großzügigen Komplex. Jetzt ein Familientyp. Er hat etwas nachzuholen. Schwärmt von seiner Frau. Die habe den Laden zusammengehalten. Klingt nicht abgeschmackt.
Ich tauche ein. Es wird offensichtlich: Da sitzt keiner, der seine Karriere plante. Mattner hat allerdings immer wieder neue Herausforderungen gesucht. Dass diese oft erfolgreich waren, hat mit Charaktereigenschaften zu tun, die er so beschreibt: "Ich habe immer aus der zweiten Reihe den Weg nach oben gefunden." Das war in der Hamburger Bürgerschaft nicht anders als bei der ECE. Teile und herrsche, so eine wichtige Maxime seines Lebens.
Er muss aufgefallen sein. Als er während der Abizeit einige Wochen bei Opel am Fließband arbeitete ("Reservereifen montieren, ich war nie der Stärkste"), wurde gerade er für ein Interview ausgewählt. Aber Auffallen war nur das eine. Seine Tochter sagte mal zu ihm: "Wenn du was wirst, wirst du nicht irgendwas, sondern immer Präsident." Das war beim Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA) nicht anders als beim Eishockeyclub Hamburg Freezers.
Programmierer, Radiobauer, Mythologe
Zeit, einmal über seine Begabungen zu reden. Mattner liebt Zahlen. Vielleicht geht er mal als Mister 37 Prozent in die Annalen ein, war es ihm doch ein Bedürfnis, als ZIA-Präsident die Quote herauszuarbeiten, die der Staat beim Bau von Immobilien einsackt.
Er hat ein großes Interesse an technischen Dingen, Elektrotechnik. Mit 14 Jahren fertigte er Schaltanlagen in der Firma, in der sein Vater tätig war. Verdrahtete sie. "Die kamen auch zum Einsatz." Er baute kleine Radios. Während seiner Studentenzeit lernte er Programmieren. Er entwickelte ein Computerprogramm, das Vornamen programmierte. Sagt, er habe sich damals schon mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt, als es das Wort noch kaum gab.
"Vordenker" wäre somit auch eine originelle Titelidee. Das Programm spuckte den Namen seiner Tochter aus: Xenia Danae steht für seine Liebe zu griechischer Mythologie, die schon als Schüler begann. Er liebte Science Fiction, das Lesen überhaupt. Der erste Name seines Sohnes Ijon Alexander entstammt einem Roman. Der Held: Ijon, Sternwanderer. Er mochte die Arbeit mit Texten. Später wird er viel schreiben, fachlich brillant, wie es scheint, er schafft es in die "Neue Juristische Wochenschrift".
Der Kontakt mit Zeitungen begann früh. Er gewann einen Malwettbewerb mit zehn. In seiner Schulzeit schrieb er für die "Ruhr Nachrichten", hatte das Alleinvertretungsrecht für vier Orte. Schreiben zu können erwies sich als eine wichtige Kompetenz, etwa für seine Politikkarriere als stellvertretender Bezirksvorsitzender der Jungen Union im Münsterland.
Autodidakt ohne Berührungsängste
Vieles hat er autodidaktisch gelernt. Er erzählt von seinen Großeltern, bei denen er die ersten sechs Jahre lebte, die eine einfachere Sprache pflegten. Er wollte mehr wissen. Auch rund 30 Jahre später, bei der ECE, hat er sich Projektentwicklung weitgehend selbstständig angeeignet. Er dachte oft breit, konnte komplizierte Sachverhalte verstehen.
Mattner hat in Münster Jura studiert. Promoviert. Das Referendariat abgeleistet. Und jetzt? Er hatte Lust, Kommunalbeamter zu werden, Bebauungspläne mitzugestalten. Um seinen Marktwert zu testen, schickte er eine Blindbewerbung an den Staatssekretär im Bundesbauministerium, den CDU-Landesvorsitzenden in Hamburg, Jürgen Echternach. Der stellte ihn ein als seinen persönlichen Referenten, aber Mattner musste nach Hamburg umziehen. Es gibt Schlechteres im Leben. Das fand auch seine Frau.
Wie wird man aber nun selbst zum Abgeordneten? Da war die Liebe zur Politik. Dass er damals bei Opel am Fließband arbeitete, hatte auch mit dem ehemaligen Bundesarbeitsminister Norbert Blüm zu tun, der das einmal selbst getan hatte. Mattners politische Heimat? CDU, durchaus. Aber eher links, Mitglied der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft CDA. Seine Promotion ging über das Sonn- und Feiertagsrecht, er war deshalb beliebt bei den Gewerkschaften, die ihn zum Einigungsstellenchef machen wollten. Er lehnte zwar ab. Berührungsängste zu anderen Parteien sollte er aber später in seiner Zeit bei der Hamburger Bürgerschaft nicht haben.
Freundschaften gab es damals vor allem mit Mitgliedern anderer Fraktionen. Mattner konnte eine Verfassungsparlamentsreform mitentwerfen. Eigentlich entwarf er sie, firmierte aber als Co-Autor. Seine intelligente Zurückhaltung öffnete ihm Türen. Der ehemalige Parlamentspräsident Martin Willich förderte ihn. Er wurde wohnungspolitischer Sprecher. Und einige Male ins Parlament gewählt. Irgendwann ging er wieder. Er wusste: Ganz nach oben würde er es in der Fraktion nicht schaffen.
Permanent neugierig, trotzdem treu
Bei der Einweihung eines Einkaufscenters begegnete er Repräsentanten der ECE, man lud ihn ein, Mattner überzeugte, und eine 30-jährige Zeit begann, davon viele Jahre als Hauptgeschäftsführer des Konzerns. Der prägte ihn – und umgekehrt. Er wird nicht müde, über sein gutes Verhältnis zum damaligen ECE-Chef Heinrich Kraft zu sprechen, über Werner Otto, seine Frau und Sohn Alexander. Über deren Visionen zu Diversität und Nachhaltigkeit, als beides noch nicht in aller Munde war, über ihr gesellschaftliches Engagement.
Aber so sehr Mattner verwoben war mit der ECE, so sehr war er damals schon anderweitig aktiv. In diversen Aufsichtsräten, dem Wirtschaftsrat der CDU. Und wenn er die rhetorische Frage stellt, wie er sich denn sonst Abwechslung hätte holen sollen, muss man fast an einen Ehemann denken, der sich austobt, um doch immer wieder zu seiner Liebsten zurückzukehren. Bei allem ging es ihm auch um Weiterbildung. Mattner wollte immer dazulernen.
Wichtig war für ihn die Stiftung "Lebendige Stadt", die den Umgang mit Licht zu einem Schwerpunkt machte. Sie illuminierte die Speicherstadt in Hamburg, viele Städte in Ost und West und bis heute den Berliner Reichstag. Neu war die Art: von unten nach oben. Und schon wieder ein möglicher Porträt-Titel, der sich nicht durchsetzte. Eckhard John von Freyend lockte ihn 2009 als Präsident zum ZIA. Nach einigem Überlegen, wie er betont, sagte er zu.
Das Verdienst, das man Mattner zusprechen muss, ist, dass unter seiner Ägide aus einer zersplitterten Branche ein fast Ganzes geworden ist und dass er sogar die Schnittstellen, etwa zu den Kommunen, besetzt hat. Heute sind 33 Verbände im ZIA. Was ist das Erfolgsgeheimnis? "Ich habe ihn immer wie ein Unternehmen geführt, sachorientiert, logisch. In der Politik werden oft Entscheidungen getroffen, über die Unternehmen den Kopf schütteln. Aber Unternehmer müssen auch nicht wiedergewählt werden."
Als Andreas Mattner sich erkannte
Es war die Feier seines 50. Geburtstags. Der damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hielt die Laudatio. Er sprach von Netzwerkern. Andreas Mattner sei selbst in vielen Netzwerken. Hamburg Freezers, Wirtschaftsrat, Lebendige Stadt, ECE und einigen mehr. Das Besondere aber sei: Er verbinde Netzwerke miteinander. Andreas Mattner, Netzwerkverbinder. "Das war ein großes Kompliment. Da habe ich mich erkannt."
Mattner will, dass die Immobilienwirtschaft mit einer Stimme spricht. Auch mit den vereinzelten Verbänden, die nicht im ZIA sind, sucht er über die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID) gemeinsame Positionen. Dass der GdW und Haus & Grund den Verhandlungen beim Bündnis für bezahlbares Wohnen ferngeblieben sind, hält er für einen fatalen Fehler. Er sagt das und es klingt, als spreche er eine objektive Wahrheit aus. Dass man nicht miteinander redet, ist für ihn völlig undenkbar.
Im Mai 2023 ist er aus der ECE ausgeschieden. Er verbleibt in der Firmenstiftung und im Vorsitz des ESG-Boards. Im Juni 2024, auf dem Tag der Immobilienwirtschaft, wird sich Andreas Mattner nicht mehr zur Wahl zum ZIA-Präsidenten stellen. Er wollte eigentlich schon vorher gehen. Doch dann kam Corona. Jetzt aber sei ein guter Zeitpunkt, auszusteigen.
Generalist mit Tiefgang
Sein Ziel? Die Fünftagewoche! Die sei grundsätzlich auch möglich, da der ZIA viel seiner Zeit beansprucht habe. Er wolle unabhängiger werden, öfter nach Mallorca fliegen, sein Golfspiel verbessern. Das sei der einzige Sport, den er zusammen mit seiner Frau ausüben könne. Das war‘s? Ja! (Aus gut unterrichteten Kreisen sickerte allerdings durch, dass er nebenbei noch die deutsche Immobilienwirtschaft in Europa nach vorne bringen will.)
Die Bundesregierung in Gestalt von Klara Geywitz, Marco Buschmann und Sören Bartol mache übrigens an sich einen guten Job in der Wohnungspolitik. Die Probleme lägen eher in den föderalistischen Strukturen, deren großer Anhänger er eigentlich sei. "Nur ab und zu funktionieren die nicht. Besonders in Krisen."
Mattner sagt, er sei stolz darauf, Generalist zu sein. Er hat tatsächlich viel gemacht im Leben. Davon sicher auch einiges, was nicht so in die Tiefe geht. Wie Gitarre spielen. Aber die Immobilienwirtschaft vereinen (um das Beispiel zu nennen), kann sicher keiner, der nur an der Oberfläche kratzt. Auf seine designierte Nachfolgerin Iris Schöberl freut er sich. Sie könne Menschen begeistern und mitnehmen.
Später bringt er mich zum S-Bahnhof. Er freut sich auf den folgenden Sonntag: Da gehe die ganze Familie zum FC St. Pauli, um den Aufstieg in die Erste Bundesliga zu feiern. St. Pauli hat es tatsächlich geschafft. Mattner einst auch. Jetzt geht er, freiwillig. Er ist lange oben geblieben, hinterlässt tiefe Spuren. Und St. Pauli? Freiwillig gehen werden die schon mal nicht ...
Dies ist ein Beitrag aus unserem Fachmagazin "Immobilienwirtschaft".
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