Vor dem Jahreswechsel ist nach dem Jahreswechsel


Kolumne Arbeitsrecht: Rückblick 2018 und Vorschau 2019

Zum Jahreswechsel nimmt sich unser Kolumnist Alexander Zumkeller noch einmal vor, was ihn im vergangenen Jahr beschäftigt hat - und was das neue Jahr bringen könnte. Eine Verschnaufpause für Arbeitsrechtler ist dabei offenbar nicht in Sicht.

Ein bewegtes Jahr 2018 liegt hinter uns. Eine Reihe grundsätzlicher neuer Regelungen und Urteile haben uns begleitet und werden uns als Praktiker ab 2019 heftig in Anspruch nehmen. Ich habe an dieser Stelle über etliche Gesetzesinitiativen und Regelungen geschrieben, die uns 2019 beschäftigen werden, angefangen bei der Brückenteilzeit und ihren spezifischen Herausforderungen, neue Schwellenwerte und Beweislastumkehr,  Schwächen im Betriebsrentenstärkungsgesetz aber auch Rechtsprechung, die uns (aus unterschiedlichen Gründen) bewegt, etwa den Aufbruch des Arbeitsrechts in die Kirche hinein und Vergütung bei Reisezeiten.

Was am Qualifizierungschancengesetz wichtig ist

Die nun neueste gesetzliche Regelung ist das Qualifizierungschancengesetz. Worum es geht? "Es geht darum, aus technologischem Wandel sozialen Fortschritt zu machen", so Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Nun ja, etwas übertrieben finde ich. Aber vermutlich meinen Sie ohnehin, dass dieses Gesetz für Sie nicht so wichtig ist. Falsch gedacht. Denn wir haben mit diesem Gesetz ein Artikelgesetz. Und die Erfahrung zeigt: Irgendwo in einem Artikelgesetz steckt immer noch etwas Wichtiges. So auch in diesem Fall.

Erstmal einen großen Dank an die Bundesregierung. Sie hat einen riesigen Wunsch von mir aufgenommen, "richtiges Recht" zu schaffen. Worum es geht? Seit bald zehn Jahren wissen wir, dass die Regelung in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB, nach der bei der Berechnung der Verlängerung der Kündigungsfrist nach Jahren der Betriebszugehörigkeit Jahre, die vor dem 25. Lebensjahr liegen, nicht berücksichtigt werden dürfen. In den meisten Textausgaben findet sich daher die Anmerkung, dass diese Regelung durch den EuGH "gelupft" worden ist.

Zu meiner freudigen Überraschung lese ich nun in Artikel 4d des Qualifizierungschancengesetzes den mich in freudige Erregung versetzenden Satz "§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB … wird aufgehoben.". Endlich! Danke (und ich meine das ganz ehrlich). Lange habe ich und der BVAU, dessen Präsident ich die Freude habe zu sein, das etwa in der Heidelberger Erklärung gefordert! Nun können wir wirklich davon ausgehen, dass das, was wir in § 622 BGB lesen, auch richtig ist.

Änderung am Tarifvertragsgesetz

Auch dort zu lesen – in Art. 4 f – ist eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes. Wir erinnern uns: Das Tarifvertragsgesetz sollte geändert werden, um die Tarifkonkurrenz auf gesetzliche Beine zu stellen (oder besser gesagt: abzuschaffen). Das hat der Gesetzgeber gemacht – nur nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht ganz perfekt. Was sagt nun Art. 4f?

"In § 4a Absatz 2 Satz 2 des Tarifvertragsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969 (BGBl. I S. 1323), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. Juli 2015 (BGBl. I S. 1130) geändert worden ist, werden vor dem Punkt am Ende die Wörter "(Mehrheitstarifvertrag); wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem nach dem ersten Halbsatz nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses Tarifvertrags anwendbar" eingefügt."

Bisher stand da "Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat."

Heißt: Der sogenannte Mehrheitstarifvertrag soll dann, und nur dann, Anwendung finden, wenn bei seinem Abschluss die Interessen der Minderheitengewerkschaft hinreichend Berücksichtigung fanden. Zu begrüßen ist, dass (allerdings kurz vor Torschluss, das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber ja aufgegeben, bis Ende 2018 die Korrektur umzusetzen) der ernstliche Wille zur Korrektur sich durchgesetzt hat.

Aber schafft sie Rechtsfrieden? Oder doch nur ein weiteres Einfalltor der sogenannten Minderheitengewerkschaft? Wie lange wird es dauern, bis die erste Minderheitengewerkschaft klagt, dass doch ihr Tarifvertrag (auch) anzuwenden sei, weil eben ihre Interessen nicht ernstlich Berücksichtigung fanden? Wird man damit Streiks von "Minderheitengewerkschaften" abwenden können? Wie lange wird es dauern, wenn die erste Klage kommt, bis rechtskräftig feststeht, ob der Mehrheitstarifvertrag die Interessen der Minderheitengewerkschaft hinreichend berücksichtigt hat? Und wie vielen Klagen und Urteilen des Bundesarbeitsgerichts werden wir entgegensehen müssen, bis wir – ich denke in fünf bis zehn Jahren – eine hinreichend stabile Kasuistik hierzu haben? Entschuldigung: Steine statt Brot - liegen auch schwer im Magen, sind nur schwerer verdaulich.

Arbeit für 2019 … und Jahre darüber hinaus

Wenn wir also darüber sprechen wollen, was uns 2019 beschäftigten wird: erst mal das Tarifvertragsgesetz. Wie in den vergangenen Tagen viele haben spüren dürfen, ist in einer der großen Branchen, in die die Gesetzesnovelle des TVG Ruhe bringen sollte, der Deutschen Bahn, der Tarifstreit voll im Gange. Da wird sich doch auch schnell die Frage der Tarifeinheit stellen …

Was ist noch offen aus dem Koalitionsvertrag? Die Befristungsquote. "… Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten (dürfen) nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. Bei Überschreiten dieser Quote gilt jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen." So der Koalitionsvertrag. Und: nur 18 Monate (statt bisher 24). Nun, wir müssen zumindest damit rechnen, dass diese Änderung kommen wird.

Öffnungsklausel im Arbeitszeitgesetz – nun ja, darauf warten wir noch und hoffentlich ohne große Transaktionskosten. Wie man es machen kann, zeigt uns Nachbar Österreich: Nach § 9 AZG darf dort nun maximal zwölf Stunden täglich gearbeitet werden. Auch interessant: Nach der dortigen Regelung darf der Beschäftigte wählen, ob er die über zehn Stunden hinausgehende Arbeitszeit in Geld oder Zeit ausgeglichen haben möchte. Das Modell, das – eventuell – bei uns eingeführt wird, bedarf aber der Transaktionskette Tarifvertrag–Betriebsvereinbarung–Einverständnis.

Die österreichische Regelung ist da aber ganz pragmatisch: Es kann über zehn Stunden gearbeitet werden – muss aber nicht, denn der Beschäftigte kann benachteiligungsfrei der Beschäftigung von über zehn Stunden widersprechen. Klar, bei uns wäre dann noch wegen der Lage der Arbeitszeit der Betriebsrat im Boot. Aber das würde doch reichen, um Flexibilität effizient herbeizuführen und Arbeitnehmerinteressen effizient zu schützen?

Anspruch auf mobile Arbeit – mal sehen. Mehr und mehr Betriebe haben Homedays & Co eingeführt. Lieber Gesetzgeber: Vor einer gesetzlichen Regelung – bitte evaluieren! Ein Gesetz ist nur nötig, wo etwas geregelt werden muss. Ist das der Fall, wenn mittlerweile mobiles Arbeiten gang und gäbe ist?

Der Jahreswechsel als "Durchgangsposten"

Das Jahr 2018 hat sich also durchaus aufregend verabschiedet und 2019 fängt gleich mit viel Arbeit an. Einen Schnitt wird man also gar nicht wirklich merken, ein Aufatmen zwischen den Jahren gibt es nicht. Dem einen ist es recht, dem anderen nicht. Ganz unpolitisch: Auf jeden Fall wird es ein Haufen Arbeit! Und unabhängig davon, was kam und noch kommt und wem es recht oder nicht recht ist – glücklicherweise setzt man sich in Deutschland erst gemeinsam an den Tisch und geht dann auf die Straße. Anders als in unserem westlichen Nachbarland Frankreich.

Und in diesem Sinne wünsche ich uns allen ein – wenngleich sehr arbeitsames – friedliches neues Jahr 2019!

Schlagworte zum Thema:  Gesetz, Arbeitsrecht