Wie die Personaldienstleister den Koalitionsvertrag bewerten

Am 7. Dezember 2021 unterzeichneten die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP den Koalitionsvertrag für eine neue Bundesregierung. Zwei Tage später, am 9. Dezember, veröffentlichte das Marktforschungsunternehmen Lünendonk die Ergebnisse einer Blitzumfrage zur Stimmung im Markt der Personaldienstleistungsbranche in Deutschland. Die Befragten bewerteten unter anderem auch den Koalitionsvertrag. Dazu ein Kommentar von Dr. Thorsten Koletschka, Managing Director Commercial der ManpowerGroup Deutschland sowie Vorstandsmitglied des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP).

Die Zeitarbeit ist als Flexibilitätsinstrument sowohl besonders relevant für den Wirtschaftsstandort Deutschland als auch traditionell ein Frühindikator für konjunkturelle Entwicklungen. Sie hilft Unternehmen, Auftragsspitzen abzufedern und dient in wirtschaftlich schwierigen Phasen als Stabilisator, wie die vergangenen zwei Jahre deutlich gemacht haben: In der Logistik, in der Pflege, ebenso in der Industrie sorgt die Zeitarbeit dafür, dass bei plötzlich auftretendem Bedarf schnell personelle Ressourcen zur Verfügung stehen und Krisen dadurch zumindest abgeschwächt werden. Deshalb ist es zu begrüßen, dass im Koalitionsvertrag Zeitarbeit als eine tragende Säule unserer Wirtschaft erkannt und erörtert wird. Auf Seite 71 der Vereinbarung heißt es: "Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung sind notwendige Instrumente. Strukturelle und systematische Verstöße gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz verhindern wir durch effektivere Rechtsdurchsetzung. So sorgen wir auch für mehr Sicherheit bei Arbeit auf Abruf."

Mehrheit der Branche erwartet keine negativen Auswirkungen

Wenn laut Lünendonk-Studie 56 Prozent der befragten Zeitarbeits- und Personaldienstleistungsunternehmen sagen, dass der Koalitionsvertrag keine Auswirkungen auf ihr Geschäftsmodell habe, ist das bereits positiv zu werten. Denn in den zurückliegenden Legislaturperioden wurde die Branche von den Regierungen immer weiter beschnitten, mit sektoralen Verboten konfrontiert (Bauhauptgewerbe, Fleischindustrie) und stark reguliert. Während einzelne Parteiprogramme im Vorfeld der Wahl noch befürchten ließen, dass das so weitergeht, vermittelt die Vereinbarung der Ampel vielen Branchenvertretern jetzt den Eindruck, als ob zumindest die Negativentwicklung ein Ende hat. 28 Prozent der Befragten erwarten sogar, dass die im Dokument beschriebenen Vorhaben ihr Geschäftsmodell "eher stärken" (24 Prozent) oder "stärken" (4 Prozent) werden und beziehen sich dabei auch auf den Passus auf Seite 70 und 71 des Vertrags: "Beim Arbeitnehmerüberlassungsgesetz prüfen wir im Falle einer europäischen Rechtsprechung, ob und welche gesetzlichen Änderungen unter Berücksichtigung der Gesetzesevaluierung vorzunehmen sind. Wir verbessern den Schutz von Beschäftigten bei grenzüberschreitenden Entsendungen und bauen bürokratische Hürden ab. Für Saisonbeschäftigte sorgen wir für den vollen Krankenversicherungsschutz ab dem ersten Tag. Wir stärken 'Faire Mobilität' und klären Beschäftigte so besser über ihre Rechte auf."

Dass hier angekündigt wird, dass mögliche weitere Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen nur auf Basis der gesetzlich vorgeschriebenen Evaluierung der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) vorgenommen werden sollen, ist zu begrüßen. Ein Kernpunkt dieser Reform ist die umstrittene Höchstüberlassungsdauer von Zeitarbeitskräften, die 18 Monate beträgt und laut Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) häufig mit ungewollten Einsatzabmeldungen einhergeht und dadurch das Risiko für Arbeitnehmende sogar noch erhöht, in die Arbeitslosigkeit abzurutschen.

Eine Orientierung an der Europäischen Union kommt uns ebenfalls entgegen, weil die grenzüberschreitende Arbeitsüberlassung immer wichtiger wird. Auch die in der Koalitionsvereinbarung anklingende Stärkung der Arbeitnehmenden-Rechte können wir nur gutheißen, denn "Faire Mobilität", voller Krankenversicherungsschutz, Rechtsaufklärung etc. sind hohe Werte der sozialen Marktwirtschaft, die wir schätzen. 

Knackpunkt Kurzarbeit

Trotzdem sind 16 Prozent der Zeitarbeits- und Personaldienstleistungsunternehmen skeptisch und befürchten eine Gefährdung ihres Geschäftsmodells in der jetzt gestarteten Legislatur, wie die Lünendonk-Umfrage zeigt. Sie geben zu bedenken, dass der Vertrag nicht die Sichtweise aller Parteien widerspiegelt (8 Prozent) und die Pläne nicht ausreichend seien (15 Prozent). Beides ist richtig. Ein Knackpunkt ist beispielsweise die Kurzarbeitsregelung, die im Koalitionspapier auf Seite 71 ebenfalls thematisiert wird: "Die Krisenregelungen beim Kurzarbeitergeld werden wir nach der Corona-Pandemie evaluieren, insbesondere mit Blick auf Menschen mit geringem Einkommen", kündigt die Ampel an.

Dazu muss man wissen: Zeitarbeitende haben laut allgemeiner Rechtsauffassung in der Sozialgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland keinen Anspruch auf Kurzarbeit. Um zu verhindern, dass aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen Lockdowns in der Zeitarbeit massiv Arbeitsplätze verloren gehen, hat die Bundesregierung auch den Personaldienstleistern einen Anspruch auf Kurzarbeit eingeräumt – allerdings zunächst nur bis 31. März 2022. Dass die Überprüfung der Regelung jetzt auch im Koalitionsvertrag steht, kann ein gutes Zeichen sein. Denn zu wünschen wäre eine komplette Gleichstellung, weil das den Realitäten auf dem Arbeitsmarkt entspräche und damit auch die Leistungen der Branche für die Wirtschaft anerkannt würden.

Die Erholung nach der Krise wird länger dauern als 2010

Die Zeiten haben sich geändert und erfordern neue Sichtweisen und Regeln. Lange war es beispielsweise so, dass die Zeitarbeitsfirmen früher als andere Branchen davon profitierten, wenn die Wirtschaft wieder anzieht, weil unbefristete Arbeitsplätze erst dann geschaffen wurden, wenn Arbeitgebende sicher waren, die Position auch wirklich dauerhaft zu benötigen. Heute lässt sich das aber nicht mehr so ohne weiteres sagen. Das spiegelt sich auch in der Lünendonk-Umfrage wider: Die Zeitarbeitsfirmen blicken zwar optimistisch ins kommende Jahr und rechnen mit einem Plus von 12,4 Prozent gegenüber 2021. Die Erholung nach der Krise benötigt aber mehr Zeit als nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, als die durchschnittlichen Zuwachsraten bei 37,8 Prozent lagen.

Wie in vielen anderen Krisenfällen ist auch die Pandemie ein Brennglas, das Entwicklungen, die sich bereits angebahnt hatten, noch stärker hervortreten lässt. Und was wir jetzt sehen, ist, dass in einigen Branchen, wie Handel, Gastronomie und Reise, ganze Mitarbeitenden-Gruppen jetzt mitsamt ihren Qualifikationen komplett weggefallen sind. Sie waren dazu gezwungen, sich nach anderen Tätigkeiten umzusehen und sind nun in neuen Jobs und Branchen untergekommen. Das stellt die betroffenen Unternehmen vor massive neue Herausforderungen. Denn es heißt, dass in vielen Bereichen neu ausgebildet, neu qualifiziert werden muss. Das wird Zeit in Anspruch nehmen.

Personaldienstleister entwickeln neue Geschäftsfelder

Um sich den sich verändernden Marktbedingungen anzupassen, setzen immer mehr Zeitarbeits- und Personaldienstleistungsunternehmen auf Diversifikation und bieten zunehmend Leistungen außerhalb der klassischen Arbeitnehmerüberlassung an. Vor allem die großen Personaldienstleister befassen sich deshalb schon seit einiger Zeit intensiv mit Personalvermittlung und -qualifizierung, Recruitment-Services, Weiterbildung, Managed Service Providing oder anderen Angeboten. Die ManpowerGroup ist hier sehr breit aufgestellt. Sie verfügt beispielsweise über Expertise und Ressourcen, um Qualitätskontrollen im Automobilsektor komplett zu übernehmen und bietet ein komplexes Beratungsangebot im Bereich Talent Solutions. Und weil die Gruppe im Bereich IT- Dienstleistungen kräftig voranschreitet, ist Praxiserfahrung vorhanden, ganze IT-Gewerke für Kunden zusammenzustellen.

Die Diversifizierung in der Branche wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Ich gehe davon aus, dass neue Geschäftsmodelle bis 2030 im Branchendurchschnitt bereits etwa 30 Prozent des Umsatzes ausmachen werden und nicht mehr nur 6 Prozent wie heute (Quelle: Lünendonk-Studie).

Fazit: Die Zeitarbeit als wichtigstes Flexibilisierungsinstrument auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist unerlässlich, damit wir die Herausforderungen der Zukunft meistern können. Das hat die neue Regierung erkannt und in ihrem Koalitionsvertrag verankert. Diese Wertschätzung stimmt zuversichtlich. Hoffen wir, dass die Weichen richtig gestellt werden, um die schwierigen Aufgaben, die uns erwarten, zu lösen und unsere Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam voranzubringen.


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