Die Kraft des Raumes
Schiltach, ein kleiner Ort im Schwarzwald, bietet viel Traditionelles: Fachwerkfassaden, Brauchtumsfeste und Bauernmärkte, Wanderwege statt Autobahnen. Doch der Schein trügt: Hansgrohe, international bekannter Brausen- und Armaturenhersteller, plant und organisiert momentan neue Bürolandschaften, die mit badischer Tradition und konventioneller Büroatmosphäre nichts mehr gemein haben werden: "Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wünschen sich jetzt wieder das persönliche Gespräch, das Treffen vor Ort, die Begegnung mit Kolleginnen und Kollegen", erklärt Frank Semling, Vorstand Operations und Arbeitsdirektor Hansgrohe SE.
Das Unternehmen, so Semling, habe seit jeher von Teamarbeit profitiert und seine Innovationskraft aus dem kreativen und interdisziplinären Austausch der Teams geschöpft. Dies solle nun mit neuen Arbeitsplatzkonzepten weiterentwickelt werden. Weg von Einzelarbeitsplätzen, hin zu noch mehr Coworking Spaces. Flächen und Räume müssten von vorneherein flexibel und agil konzipiert sein, sich kontinuierlich dem Arbeitsalltag anpassen können. Die Gestaltung neuer Arbeitswelten sieht Semling dabei als "iterativen Prozess", bei dem die Mitarbeitenden von Anfang an mit einbezogen werden.
Das Corporate Office ist tot …
...es lebe das Corporate Office
Vergebliche Liebesmüh, könnte man meinen, wo der durch Corona beschleunigte Wechsel zum Homeoffice und mobilen Arbeitsmöglichkeiten doch den Abgesang der Büroräume eingeleitet haben könnte: Innerhalb der nächsten drei Jahre gehen 60 Prozent der von PWC in einer Studie zu Corporate Real Estate Management befragten Unternehmen von einer Reduktion des Flächenbedarfs aus – durchschnittlich sollen 20 Prozent der Flächen abgebaut werden.
Doch die reine Verkleinerung der bisherigen Bürogebäude, ein Weiterarbeiten wie vor Corona auf weniger Fläche wird den Chancen, die sich nun durch die veränderte Arbeitswelt bieten, nicht gerecht werden. Denn die Rückkehr an den Arbeitsplatz kann auch zum Schritt in eine neue Arbeitswelt gestaltet werden, in der überholte Prozesse und Praktiken der Vor-Coronazeit buchstäblich keinen Raum mehr haben. Für Volker Nürnberg, Gesundheitsexperte bei BDO, bietet das Bürogebäude gerade nach der Pandemie einen emotional, persönlich und sozial wichtigen Anlaufpunkt für Beschäftigte: "Die Entgrenzung der Arbeit, geringe reale Kontakte und die agile Dezentralität der Teams haben Mitarbeiter und Führungskraft über die Maßen gefordert. Corporate Offices bieten nun endlich wieder die Möglichkeit realer Kontakte, darauf werden Unternehmen wie Beschäftigte auch in Zukunft nicht verzichten können." Zudem, fügt der Gesundheitsexperte an, hätten die gemeinsam gemeisterten Probleme der Pandemie wie Startschwierigkeiten im Homeoffice, Kurzarbeit und mangelnde Kontakte einen neuen Zusammenhalt innerhalb der Organisation bewirkt und neue Potentiale freigesetzt – das müsse nun genutzt und weiter ausgebaut werden.
Dem Kulturwandel genügend Raum geben
Wie sich die Unternehmenskultur durch Corona verändert hat, hat die Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW gemeinsam mit dem IAP Institut für Angewandte Psychologie in seiner Teilstudie "Remote Work im New Normal" untersucht. Dabei wurde herausgearbeitet, dass insbesondere dem Thema Vertrauen durch die Erfahrungen des Lockdowns eine neue, hohe Bedeutung zukommt: In Unternehmen mit einer hohen Vertrauenskultur, so die Studienautoren, habe diese in der Krise geholfen. In anderen Organisationen habe sich Vertrauen durch die Krise entwickelt oder verstärkt, insbesondere, weil den hohen wirtschaftlichen Herausforderungen mit Zusammenhalt begegnet werden konnte.
In Unternehmen mit milderen wirtschaftlichen Herausforderungen, so die Studienergebnisse, wirkte die vermehrte Arbeit im Homeoffice häufig als Katalysator einer bereits begonnenen Entwicklung. Als Konsequenzen nennen die Wissenschaftler ein über den Arbeitsort hinausreichendes verändertes Arbeitsparadigma, Hierarchieabbau, agilere Abläufe, die Etablierung und Beschleunigung dezentralisierter und digitaler Prozesse, Stärkung von Diversität, Intensivierung von Feedbackprozessen, Stärkung von Selbstorganisation und einen besseren Fokus auf Führung und neue Führungsrollen. Bei der Rückkehr ins Büro bietet sich für Betriebe nun die seltene Chance, diesen Kulturwandel durch einen entsprechenden äußeren Rahmen zu unterstützen und die Rolle und Funktion des Büros neu zu definieren.
Büros post-Corona: Aufladestation für die organisationale Identität
"Neue Arbeitsplatzkonzepte bieten immer die Möglichkeit, die Unternehmenswerte neu aufzugreifen und zu kommunizieren", erklärt Dr. Katharina Radermacher, Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Personalwirtschaft der Universität Paderborn. Berücksichtigten sie die Bedürfnisse der Beschäftigten, würden diese sich mit den Werten identifizieren und sich somit stärker mit dem Unternehmen verbunden fühlen. Gerade für mobile Mitarbeitende, das zeigt schon eine Untersuchung von Radermacher aus dem Jahr 2017 ("Potenzial der Unternehmensarchitektur im Rahmen des Employer Branding", gemeinsam mit Professor Martin Schneider, Universität Paderborn) kann der Unternehmensstandort, in dem die Arbeitgebermarke hinreichend spürbar ist, als "Aufladestation" für die organisationale Identität dienen.
Einen starken Einfluss auf die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen übten auch die so genannten Spaß-Architekturen und die Förderung bestimmter Freizeitaktivitäten auf dem Unternehmenscampus aus. Das "Chillen" in der Hängematte, das Kickerturnier, das Zocken an der Spielekonsole – all diese Aktivitäten sorgten dafür, dass einst bewährte und abgegrenzte private Selbstdefinitionen nun wieder mit der Bindung der Mitarbeitenden an ihre Organisation verschmelzen. So würden die Beschäftigten als "ganzheitliche Person" in das Unternehmen eingebunden. (Das komplette Interview mit Katharina Radermacher lesen Sie hier).
Die neuen Aufgaben des Büros
Nach der Untersuchung der ZHAW kommen den Corporate Offices zukünftig insbesondere folgende neue Aufgaben zu:
- die Förderung der psychosozialen Ebene (durch zwischenmenschliche Begegnung, Möglichkeiten für Austausch, Veranstaltungen, Workshops, Meetings, Ort der Vernetzung, Teambuilding)
- das Fördern und Erlebbarmachen von Organisationskultur (Herz der Firma, Zugehörigkeit, Zusammengehörigkeitsgefühl) und daher auch der Ort fürs Onboarding neuer Mitarbeitender
- die Ermöglichung kollaborativer und kreativer Prozesse (Innovation, Ideen, Kreativität)
- Serviceaspekte (Sicherheitsupdates, vertrauliche Ausdrucke)
- Abstimmung der Reaktion auf Kundenwünsche und -anfragen
Architektinnen und Architekten, Planerinnen und Planer haben das Thema ganz oben auf der Agenda. CSMM-Chef Brehme nennt den auch in den eigenen Räumen umgesetzten "Hub and Home"-Ansatz eine Blaupause für den flexiblen Arbeitsplatz der Zukunft: "Als Hub definiert es einen zentralen Ort, an dem Verbindungen zusammenlaufen und somit Innovationen gefördert werden. Gleichzeitig dient es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Home zur Identifikation mit ihrem Unternehmen." Arbeitsräume könnten so einen Knotenpunkt bilden, der als Drehscheibe für Sozialisation, Kommunikation, Kreativität und Austausch funktioniert. "Die Pandemie hat nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch die Arbeitswelt dauerhaft verändert", erklärt Brehme und fährt fort: "Es ist an der Zeit, diesem Umstand nicht nur mit Zwischenlösungen Rechnung zu tragen, sondern ihn als sinnstiftend für die Gestaltung unseres künftigen beruflichen Umfelds zu begreifen. Das schafft Sicherheit nicht nur für die Belegschaft, sondern auch Planungssicherheit für Unternehmen."
Dieser Beitrag ist in ungekürzter Fassung im aktuellen Sonderheft "Personalmagazin plus: Arbeitswelten" erschienen, das Sie hier kostenlos als PDF herunterladen können.
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