Die Berufsausbildung hat Zukunft
Kein Zweifel: Die vergangenen zwei Jahre stellen einen bisherigen Tiefpunkt für die duale Ausbildung in Deutschland dar. Einer aktuellen IAB-Studie zufolge ist der Anteil an Betrieben mit Ausbildungsabschlüssen im Pandemiejahr 2021 auf 38 Prozent gesunken. Im Jahr 2019, vor Corona, waren es noch 55 Prozent.
Erhöhter Druck auf die duale Ausbildung
Vor diesem Hintergrund haben wir in der diesjährigen Ausgabe der Studie Azubi-Recruiting-Trends vor allem Zukunftsthemen in den Blick genommen. An der Befragung beteiligten sich 5.187 Azubis und Schülerinnen / Schüler sowie 1.571 Ausbildungsverantwortliche. Aus Sicht der Ausbildungsverantwortlichen ist während der Pandemie die Qualität der Ausbildung gesunken, 52 Prozent sehen das für alle Ausbildungsbereiche so, acht Prozent nur für die kaufmännische und sieben Prozent nur für die gewerbliche Ausbildung. Der pandemiebedingte Druck hat die strukturellen Probleme der dualen Ausbildung noch einmal verstärkt: Neben der demografischen Entwicklung wirkt sich vor allem die Sogwirkung der Hochschulbildung negativ aus. Selbst 42 Prozent der Azubis sind aktuell davon überzeugt, dass sie mit einem Studium bessere Karrierechancen haben als mit einer Ausbildung.
Aktuell schätzen zwar drei Viertel der Ausbilder die Zukunft der dualen Ausbildung in Deutschland als "gut" oder "sehr gut" ein. Jedoch gehen fast vier von fünf Unternehmen davon aus, zunehmend Schwierigkeiten bei der Besetzung ihrer Azubi-Stellen zu bekommen. Über zwei Drittel sehen dadurch die Fachkräftesicherung im Betrieb gefährdet. Besonders knapp wird es in den nächsten fünf Jahren bei den gewerblich-technischen Ausbildungen. Hier rechnen 35 Prozent mit einer "starken Abnahme" der Bewerberzahlen – und weitere 43 Prozent mit einem leichten Rückgang. Aber auch bei den kaufmännischen Berufen erwartet die Hälfte der Betriebe einen Rückgang.
Mit Blick auf die Kompetenzen der Azubi-Bewerber malen die Ausbildungsverantwortlichen die Entwicklung für die kommenden fünf Jahre gleichfalls in eher dunklen Tönen: Drei Viertel gehen von sinkenden Sozial- und Fachkompetenzen aus. Dieser defizitorientierte Blick ist nicht neu und hat sich während der früheren Befragungsrunden immer wieder gezeigt. Die Folge ist, dass diejenigen, die die Generation Azubi von einer Ausbildung überzeugen sollen, von deren Ausbildungsfähigkeit wenig überzeugt sind.
Duale Ausbildung: Reaktionen auf die Herausforderungen
Die Bewerberzahlen sinken, die Mehrheit der Azubis sucht sich aktuell ihren Ausbildungsbetrieb aus: 51 Prozent der Bewerbenden erhalten zwei oder mehr Angebote. Besonders eng dürfte es für die kleineren Ausbildungsbetriebe werden: 45 Prozent der Azubi-Bewerber zieht es aktuell in den Mittelstand, 39 Prozent bevorzugen Großunternehmen und nur 16 Prozent Kleinunternehmen.
Wie wollen die Betriebe auf die Herausforderungen reagieren? Immerhin jedes zwanzigste Unternehmen stellt das Angebot der dualen Ausbildung durch den Betrieb in Frage. Eine Mehrheit von 75 Prozent setzt jedoch auf Konzepte zur Ansprache alternativer Zielgruppen wie Quereinsteiger oder Studienzweifler. 27 Prozent wollen auf den Akademisierungstrend reagieren und die Angebote für das duale Studium verstärken. Sieben Prozent planen, anstatt Azubis Bachelorabsolventen einzustellen. Auf die Rekrutierung von Azubis im Ausland setzen 17 Prozent.
Alternative Zielgruppen und diverse Recruitingkanäle
Bei der alternativen Zielgruppenansprache setzen die meisten Ausbildungsbetriebe auf Studienzweifler, gefolgt von Quereinsteigern und Älteren. Die Ausbildung in Teilzeit hat mit acht Prozent nur wenig überzeugte Anhänger.
Die Hinwendung zu alternativen Zielgruppen zeigt: Mit den gängigen Mitteln stößt der Zugang zu Azubi-Bewerbern zunehmend an Grenzen. Interessant ist vor diesem Hintergrund, dass eine große Mehrheit der Ausbildungsverantwortlichen dennoch nicht davon ausgeht, dass sich die Ressourcen für Azubi-Marketing und -Recruiting in ihrem Betrieb erhöhen werden. Zugleich wollen rund 90 Prozent "mehr Recruitingkanäle" nutzen, um der Azubi-Misere zu begegnen. Das heißt, in den Köpfen der meisten Ausbildungsverantwortlichen besteht der Plan, mehr zu investieren, obwohl nicht mehr Geld vorhanden ist. Oder sind damit kostenfreie Kanäle gemeint? Das klingt in beiden Fällen nicht gerade durchdacht, denn kostenfreie Kanäle sind nicht unbedingt die am besten funktionierenden.
Apropos Kanäle: Hier besteht mit Blick auf die Zielgruppenorientierung Optimierungspotenzial. Zu den Kanälen, die von vielen Azubis zur Informationssuche, aber nur von wenigen Ausbildungsunternehmen genutzt werden, gehört Google. 83 Prozent der jungen Leute bedienen sich der Suchmaschine, um sich über Ausbildungen zu informieren. Unter den Ausbildungsverantwortlichen nutzen nur 22 Prozent aktiv diesen Kanal. Auf Arbeitgeber-Bewertungsplattformen bewegen sich 46 Prozent der Azubi-Bewerberinnen und -Bewerber, aber nur 19 Prozent der Betriebe sind dort nach eigenen Angaben aktiv. Auch bei den Azubi-Karriereseiten gilt es, etwas aufzuholen: Über drei Viertel der Bewerbenden nutzen sie, aber nur 59 Prozent der Betriebe bieten eine eigene Azubi-Karriereseite an.
Das Image der dualen Ausbildung verbessern
Um das Image der dualen Ausbildung ist es nicht gut bestellt. An welchen Schrauben können Betriebe drehen, um das Angebot attraktiver zu machen? Hier gibt es zum einen aus der Sicht beider Befragungsgruppen kaum einen isolierten Aspekt, mit dem sich das Image verbessern lässt. Keiner der zur Auswahl gestellten Aspekte findet die Zustimmung einer Mehrheit.
Dennoch lassen sich Prioritäten erkennen, die sich aber zwischen Ausbildungsverantwortlichen und Azubis zum Teil deutlich voneinander unterscheiden. Zu den von Ausbildungsverantwortlichen unterschätzten Faktoren gehören das Gehalt, die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und Karrierebedingungen nach der Ausbildung sowie das Betriebsklima. Die Differenz ist beim Gehalt am ausgeprägtesten. Zu den von Ausbildungsverantwortlichen überschätzten Faktoren gehören interessante und abwechslungsreiche Aufgaben, die Übernahmequote und moderne Arbeitsbedingungen.
Neun Tipps für die Zukunftssicherung der dualen Ausbildung
- Umarmen Sie die Generation Azubi: Ausbildungsbetriebe tun sich am leichtesten, wenn sie nicht über die Mängel der Generation Azubi klagen, sondern ihre Vorzüge in den Fokus nehmen und die Generation umarmen lernen. Ihre Bewerberauswahl sollten sie zum Beispiel darauf konzentrieren, welche Eigenschaften wirklich für den Job wichtig sind – anstatt den "Besten" hinterherzulaufen, die sie in den meisten Fällen langfristig an die Hochschulen verlieren werden.
- Gestalten Sie die Azubi-Auswahl zeitgemäß: Noch immer wählen zu viele Ausbildungsbetriebe Azubis nach Schulnoten aus. Doch Schulnoten sind als Auswahlkriterium ungeeignet, weil sie Ausbildungserfolg nicht valide vorhersagen. In der Auswahl nach Noten fallen Kandidatinnen und Kandidaten durchs Raster, die eigentlich hervorragend zu Beruf und Betrieb passen würden. Sinnvoll ist es, sich in der Azubi-Auswahl auf Leistungsmerkmale zu konzentrieren, die Ausbildungserfolg beschreiben. Die valideste Vorauswahl bieten hier nach der DIN 33430 wissenschaftlich fundierte Testverfahren. Tests haben eine hohe Akzeptanz bei der Zielgruppe – nur vier Prozent finden sie nicht gut. Der Einsatz von Online-Tests im ersten Auswahlschritt ermöglicht eine schnelle Reaktion und zahlt so auf die Kandidatenorientierung von Bewerbungsprozessen ein.
- Entwickeln Sie einen realistischen Budgetplan: Die goldene Kostenregel fürs Recruiting lautet: Auf sich verknappenden Talentmärkten steigen die Kosten für die Personalgewinnung. Da bildet das Azubi-Recruiting keine Ausnahme. Unternehmen müssen diese Mehrkosten einplanen und die Recruiting-Anstrengungen erhöhen.
- Sprechen Sie gezielt alternative Zielgruppen an: Ausbildungsbetriebe, die ihren Bewerberkreis um weitere Zielgruppen erweitern möchten, sollten diese bewusst adressieren. Eine einfache Möglichkeit besteht darin, Ausbildungsanzeigen um den Zusatz "wir freuen uns über die Bewerbung von Studienabbrechern, Umschülern und Quereinsteigern" zu ergänzen.
- Denken Sie über Ausbildung in Teilzeit nach: Die Ausbildung in Teilzeit ist unter Ausbildungsverantwortlichen unbeliebt. Während es bei der Ansprache der anderen alternativen Zielgruppen rasch eng werden kann, haben Ausbildungsbetriebe mit diesem Angebot ein Alleinstellungsmerkmal.
- Setzen Sie in der Kommunikation auf wenig bespielte Inhalte: Inhaltlich sollten Ausbildungsbetriebe möglichst auf Inhalte setzen, die nicht überall kommuniziert werden, etwa indem sie ihren Blick stärker auf die Zeit nach dem Abschluss richten: Was passiert nach der Ausbildung? Wie sieht der Berufsalltag aus? Welche Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten gibt es in dem Beruf? Besonders glaubwürdig als Kronzeugen für dieses Thema sind Mitarbeitende, die selbst eine duale Ausbildung absolviert und sich damit im Unternehmen gut entwickelt haben.
- Nutzen Sie Google – und zwar richtig: Betriebe, die in ihrer Azubi-Kommunikation herausstechen möchten, sollten vor allem auf Kanäle setzen, die von Bewerbenden stark genutzt werden, nicht aber von Ausbildungsbetrieben. Hier ist in erster Linie Google zu nennen. Eine aktive Suchmaschinenoptimierung ist nötig, damit die Ausbildungsanzeigen gefunden werden.
- Achten Sie auf Qualität – auch bei den Texten: Ein Blick auf aktuelle Azubi-Anzeigen vermittelt in Sprache und Inhalt den Eindruck, dass auf dem Ausbildungsmarkt ein Bewerberüberhang herrscht: Lange Anforderungsprofile und nur wenig über das Angebot des Ausbildungsbetriebs, ein Sprachniveau, das an der Zielgruppe vorbeigeht, und Auswahl- statt Überzeugungslogik bestimmen das Bild. Unternehmen sollten in die Qualität ihrer Texte investieren, denn diese werden von den Bewerbenden durchaus gelesen.
- Informieren Sie auf Azubi-Karriereseiten: Karriereseiten sind eine der wichtigsten Informationsquellen für Stellensuchende. Aber vier von zehn Ausbildungsbetrieben verfügen über kein solches Angebot. Gerade kleine und mittlere Betriebe sollten hier schnellstmöglich nachziehen.
Dieser Beitrag erscheint in Personalmagazin Ausgabe 7/2022. Lesen Sie das gesamte Heft in Kürze auch in der Personalmagazin-App.
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