"Liquid Learning ist unsere Bildungsmethode für die Zukunft"
Haufe Online-Redaktion: Die IE University setzt seit Anfang der Pandemie auf Liquid Learning. Was steckt hinter dem Begriff genau?
Nick van Dam: Der Begriff Liquid Learning bringt die Flexibilität und die Anpassungsfähigkeit, die die heutige Zeit von uns verlangt, auf den Punkt. Bei dem Konzept handelt es sich um die evidenzbasierte Bildungsmethode der IE, die den Studierenden und dem Lehrpersonal helfen soll, Fachwissen, Fähigkeiten und Denkweisen für die Arbeitsplätze der Zukunft zu entwickeln. Es gibt vier Komponenten: Erstens die Community, also mit wem man lernt. Zweitens das Design und die Methodik, das heißt, wie man lernt. Drittens die Umgebung - wo man lernt. Und viertens der Inhalt - was man lernt. Liquid Learning hat vier Leitprinzipien: Es ist kollaborativ, aktiv, personalisiert und angewandt.
Haufe Online-Redaktion: Im März 2021 haben Sie das "Center for Liquid Learning" gegründet. Warum brauchte es hier noch ein extra Angebot?
van Dam: Das Ziel des IE Centers for Liquid Learning ist es, Wissensaustausch zu erleichtern, Erfahrungen mit Liquid Learning zu vermitteln und eine Community aufzubauen. Das A und O ist die Interaktion mit hervorragenden und engagierten Lehrkräften. Das Center for Liquid Learning bietet dafür ein Online-Portal, wo jeder Zugang zu den Profilen von Lehrkräften, Lernwissenschaftlern und akademischen Führungskräften hat, die die IE-Methode Liquid Learning prägen. Wir informieren über unsere Pädagogik, unser Lerndesign und unsere Forschung. Wir werden auf der Seite Videos aller IE-Schulen veröffentlichen, die IE Liquid Learning in der Praxis zeigen. Außerdem stellen wir Bildungstechnologien und Tools vor und organisieren kostenlose Webinare sowie Bildungsprogramme für Lehrkräfte aus der ganzen Welt.
Innovatoren im Hochschulbereich in ganz Europa zusammenbringen
Haufe Online-Redaktion: Fürchten Sie nicht die Konkurrenz anderer Business Schools?
van Dam: Wenn wir die Innovatoren im Hochschulbereich in ganz Europa – zum Beispiel von der Bocconi University, von der Imperial College Business School, der Cambridge Judge Business School, der BI Norwegian Business School oder von Insead - mit denen der IE University zusammenbringen, bereichert uns das alle. Der Austausch von Wissen und bewährten Praktiken ist Teil unserer Aufgabe und Rolle in der Gesellschaft. Im Dezember 2021 veranstaltete das IE Center for Liquid Learning etwa das "EdTech Forum". Unter den 75 Dozenten von Wirtschaftshochschulen waren Experten von Harvard Business Publishing, der Erasmus-Universität, der ESMT Berlin und der Universität Leeds.
Eine Berufswege- und Kompetenzanalyse zu Beginn des Studiums gibt Aufschluss über die 'Persönlichkeit' und was für ein Lern-Typ jemand ist." - Nick van Dam, IE University
Haufe Online Redaktion: Die IE will die Entwicklung der Persönlichkeit in den Mittelpunkt des MBA-Programms stellen. Wissen die Studierenden zu Beginn ihrer Karriere überhaupt, wo genau sie hinwollen?
van Dam: Vor Beginn des offiziellen Studiums setzen wir eine Berufswege- und Kompetenzanalyse ein, die Kollegen unserer Karriereabteilung durch Gespräche unterstützen. Die Ergebnisse geben Aufschluss über die "Persönlichkeit" und was für ein Typ jemand ist – zum Beispiel "der Entschlossene", der weiß, was er sucht und warum. Oder "Der Entdecker", der sich auf der Grundlage der Lernreise, die er durchläuft, eine Meinung bildet. Die Erfahrung der Studierenden steht im Mittelpunkt des Lernprozesses an der IE.
Die "sokratische Lehrmethode": Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden
Haufe Online-Redaktion: Inwieweit haben Sie die Lerndidaktik mit Blick auf dieses strategische Ziel angepasst?
van Dam: Durch eine ganze Reihe von didaktischen Methoden, zum Beispiel die "sokratische Lehrmethode", die einen Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden beinhaltet. Es geht darum, gemeinsam reale Probleme zu lösen und kritisches Denken, Debattier- sowie Präsentationsfähigkeiten zu fördern. Wir setzen auch Simulationen und Spiele ein, um Teamarbeit zu fördern. Die Studierenden arbeiten in Teams von vier bis sechs Personen an verschiedenen Aufgaben und Projekten in Teamräumen gegenüber von den Klassenzimmern. Wie sich jemand in die Teamarbeit und in den Unterricht einbringt, fließt in die Bewertung der Studierenden ein.
Haufe Online-Redaktion: Sie sprechen davon, sinnvolle Interaktionen ermöglichen zu wollen …
van Dam: Ja, damit meinen wir zum Beispiel Gespräche über die Qualitäten als Führungskraft oder darüber, wie gut sich jemand selbst kennt, über persönliche und beruflichen Ziele im Leben oder sinnvolle Ziele für die Zukunft. Wir halten unsere Kurse in relativ kleinen Gruppen von 25 bis 50 Studierenden ab. Diejenigen, die online sind, sind in der Regel genauso beteiligt wie diejenigen vor Ort. Die Dozenten müssen darauf achten, alle einzubinden. Wir erwarten außerdem von den Studierenden, dass sie ihre Kamera einschalten, wenn sie online teilnehmen.
Bei konstruktivem Feedback geht es nicht darum, wer Sie sind, sondern immer um beobachtete Verhaltensweisen." - Nick van Dam, IE University
Haufe Online-Redaktion: Was macht konstruktives Feedback für MBA-Studierende aus und wer sollte es geben?
van Dam: Bei konstruktivem Feedback geht es nicht darum, wer Sie sind, sondern immer um beobachtete Verhaltensweisen. Eine affektive Erzählung für Feedback ist immer: Ich habe dieses Verhalten beobachtet, teile die Auswirkungen mit, fordere die Person auf, darüber nachzudenken, und bespreche schließlich die nächsten Schritte. Diese Art von Feedback kann von Kommilitonen und Lehrkräften kommen.
Auch das Feedback der Lehrkräfte erfolgt digital
Haufe Online-Redaktion: Welche Daten erheben Sie beim Liquid Learning?
van Dam: Je nach Programm sammeln wir Informationen über die Anzahl der Teilnehmenden am Unterricht – virtuell und persönlich -, über das Feedback der Studierenden zu Inhalten, Lernerfahrung, Lehrkräften, Einrichtungen, außerschulischen Aktivitäten, Teamarbeit und Zusammenarbeit mit Kommilitonen. Bei Online-Kursen erhalten wir Einblicke, wie Studierende Inhalte nutzen, wie lange, welche Videos sie anschauen, welche Aufgaben sie erledigen und wie stark sie zusammenarbeiten. Auch das Feedback der Lehrkräfte erheben wir inzwischen digital.
Haufe Online-Redaktion: Es kommt immer mehr darauf an, Lernerfahrung zu individualisieren. Reichen Daten dafür aus?
van Dam: Wir können über die erhobenen Daten sowohl die Inhalte als auch die pädagogischen Methoden verbessern. Aber wir führen auch viele Live-Gespräche mit Studierenden und Vertretern von Studentengruppen über die Lernerfahrung an der IE durch. So erhalten wir mehr Einblicke in den Kontext und können die Erkenntnisse aus den Daten validieren.
Haufe Online-Redaktion: Wie werden Sie im Lauf des Jahres Ihr Liquid-Learning-Konzept weiterentwickeln?
van Dam: Im Oktober 2022 wird das IE Center for Liquid Learning eine EMEA-Auflage der Remote-Konferenz organisieren. Dieses Gipfeltreffen bietet ein Forum, um bestmögliche Pädagogik, Technik und Tools für Online- und Blended-Learning zu identifizieren und zu fördern und den Lehrkräften dabei zu helfen, eine möglichst ansprechende Erfahrung für die Lernenden zu gestalten.
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